Kohleausstieg in Sachsen-Anhalt Strukturwandel: Vogelbeobachtungstürme statt neuer Arbeitsplätze
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von Uli Wittstock, MDR SACHSEN-ANHALT
08. Januar 2024, 13:56 Uhr
Sachsen-Anhalt hat 4,8 Miliarden Euro Fördergelder zur Verfügung, um die Folgen des Kohleausstiegs abzufedern. Dass nach dem Ende der Kohle gleichwertige Arbeitsplätze in der Region entstehen, bezweifeln inzwischen viele. Und die Verwendung der Fördermittel wirft sowohl bei der Wirtschaft als auch bei Gewerkschaften Fragen auf.
- Sachsen-Anhalt bekommt 4,8 Milliarden Euro, um die Folgen durch den Kohleausstieg abzufedern. In die Schaffung neuer Arbeitsplätze kann das Geld aber nicht investiert werden.
- Arbeitgeberpräsident Langhof kritisiert, dass die Wirtschaft an den Investitionen nicht beteiligt wird.
- Nach Ansicht des DGB enstehen zwar neue Jobs, allerdings seien sie schlechter bezahlt als die in der Kohleindustrie.
Ist man am Stausee Kelbra unterwegs, dann fällt ein großer Holzturm auf. 480.000 Euro hat der 14 Meter hohe Turm gekostet. Er soll zur Beobachtung von Vögeln dienen, insbesondere von Kranichen, wenn die auf der Durchreise sind. Diese Kraniche sollen wiederum Touristen anlocken, weswegen der Beobachtungsturm errichtet wurde – mit Geldern aus dem Kohleausstiegs-Topf. Allerdings drehte sich in Kelbra nie ein Braunkohlebagger. Zudem entstehen in Kelbra keine direkten Arbeitsplätze, aber das war offenbar auch gar nicht geplant.
Kohleausstieg in Sachsen-Anhalt – Strukturwandel ohne Wirtschaft?
Die Landesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Susanne Wiedemeyer, spricht von einem Webfehler im Gesetz zum Strukturwandel: "Wir dürfen ja das Kohlegeld nicht direkt in neue Arbeitsplätze einbringen. Vermutlich wäre es auch wegen der EU-Vorschriften nicht gegangen." Um einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen, haben sich die EU-Staaten grundsätzlich verpflichtet, die Wirtschaft nicht staatlich zu unterstützen, wobei es Ausnahmen gibt, im Bereich der Regionalförderung oder auch der Energie- und Umweltpolitik.
[...] der Strukturwandel umfasst eigentlich den wirtschaftlichen Strukturwandel nicht und das ist ein wirklich gravierendes Problem.
So kann also ein Kranichbeobachtungszentrum in Kelbra gefördert werden, während Unternehmen aus Sachsen-Anhalt vom Geld des Kohleausstiegs nicht profitieren. Das sei ein Konstruktionsfehler, kritisiert auch Marco Langhof, Präsident der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände Sachsen-Anhalt (AWSA): "Die wesentlichen Mittel werden ausgereicht an Kommunen oder an wissenschaftliche Einrichtungen. Das heißt, der Strukturwandel umfasst eigentlich den wirtschaftlichen Strukturwandel nicht und das ist ein wirklich gravierendes Problem."
Wandel ja – aber wohin?
Noch drehen sich die Kohlebagger im Revier, aber in den letzten Jahren sieht man nun auch vermehrt Windräder, die deutlich machen, wo die energetische Zukunft liegt. Der Braunkohleförderer Mibrag plant zudem Windparks auf den rekultivierten Flächen. Und auch die Investitionen in das Umfeld begrüßt Arbeitgeberpräsident Langhof: "Natürlich ist es gut, wenn man Umgehungsstraßen baut, Kirchen anstreicht oder Kitas renoviert. Das ist auch wichtig. Aber wenn man die Grundlage dessen, also die Wirtschaft, nicht wirklich beteiligt, dann haben wir ein Problem."
Es brauche in der Region neue wirtschaftliche Ideen, um Arbeitsplätze und Wertschöpfung zu sichern, so Langhof. Aber dazu brauche es die richtigen Partner: "Und das kann eben nur die Wirtschaft, das kann keine Kommune. Das kann auch kein wie auch immer geartetes Gründerzentrum. Wir brauchen die Leute selbst aus den Unternehmen, die dort neue Ideen und Produkte entwickeln. Die sollten dafür auch ein bisschen Unterstützung bekommen."
Befürchtung: Neue Jobs, aber mit weniger Lohn
Traditionell wird im Bergbau gut verdient, es werden Tariflöhne gezahlt, der Einfluss der Gewerkschaft ist groß. Der Strukturwandel könnte auch in diesem Bereich Folgen haben, befürchtet DGB-Chefin Susanne Wiedemeyer: "So gut bezahlte Arbeitsplätze wie im Bergbau bei der Mibrag werden wir in anderen Bereichen nicht bekommen. Die zahlen ausgesprochen gut, auch mit guter Betriebsrente." Dass eine neue Großansiedlung den Verlust der Jobs in der Kohle wettmachen könnte, danach sieht es ja derzeit nicht aus.
Andererseits zeichnet sich immer deutlicher ein Mangel an Arbeitskräften ab. Doch ein Problem bleibe ungelöst, so Wiedemeyer, die Qualität der Arbeit: "Es entstehen ja auch neue Arbeitsplätze, aber eben nicht ganz auf dem Bezahlungsniveau. Wir setzen uns dafür ein, dass neue Arbeitsplätze mit Tarifvertrag entstehen. Aber mehr können wir nicht machen." Auch bei der Bezahlung ist es letztendlich die Aufgabe der Wirtschaft, erfolgreich neue Märkte zu bedienen, was zugebenermaßen alles andere als einfach ist.
Bürokratie verlangsamt die Entwicklung
Sachsen-Anhalts Wirtschaft ist überwiegend mittelständisch geprägt. Forschung und Entwicklung spielen in den meisten Firmen keine große Rolle, was sich nun im Strukturwandel als zusätzliches Problem erweist. Auch deshalb hätte sich Marco Langhof mehr Unterstützung für Unternehmen gewünscht: "Welche neuen Geschäftsfelder können energieintensive Unternehmen entwickeln? Wie können sie sich neu orientieren? Wie können sie die Erfahrung, die sie haben, irgendwie transformieren? Das wäre es wert gewesen, dafür Geld auszugeben."
Aber auch die Bürokratie verhindere so manches, was zunächst als gute Idee erschien, kritisiert DGB-Chefin Wiedemeyer. Das zeige sich beispielhaft an der geplanten S-Bahn von Leipzig über Zeitz nach Gera. Die Idee ist, das Revier enger mit dem Ballungsraum Leipzig zu verzahnen: "Wir hatten immer wieder Gespräche dazu. Die S-Bahn muss viel schneller kommen, nicht erst 2035, wie jetzt geplant." Aber im Verhältnis zu anderen Bundesländern schneide Sachsen-Anhalt noch recht gut ab, so Wiedemeyer. Ein Großteil der Gelder sei immerhin verplant, die Umsetzung der Projekte habe begonnen.
MDR (Uli Wittstock, Fabienne von der Eltz) | Erstmals veröffentlicht am 04.01.2024
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 07. Januar 2024 | 12:00 Uhr
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