Blick aus der Vogelperspektive auf eine überflutete Landschaft.
Nach dem Deichbruch bei Fischbeck 2013 breiteten sich die Wassermassen aus. (Archivbild) Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Elbehochwasser Hochwasser 2013: Als bei Fischbeck der Deich brach

15. Juni 2023, 14:28 Uhr

Vor zehn Jahren stieg der Pegel der Elbe unaufhörlich an und erreichte in der zweiten Juniwoche historische Höchststände. Am 10. Juni 2013, kurz nach Mitternacht, brach schließlich der Deich bei Fischbeck und setzte fast den gesamten Elb-Havel-Winkel unter Wasser. Ein Rückblick.

Ein Mann steht vor einem Bücherregal
Bildrechte: MDR/Hannah Singer

Ein bisschen muss sich Burkhard Henning im Juni 2013 wie der Konstrukteur der Titanic gefühlt haben, nachdem das Schiff mit dem Eisberg kollidiert war. Der Titanic-Ingenieur Thomas Andrews wusste 1912, dass sein sicher geglaubtes Schiff sinken würde.

Genauso erging es gut hundert Jahre später dem Direktor des Landesbetriebs Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW), Burkhard Henning, als der Elbpegel immer weiter stieg und die Deichbauwerke an ihre Belastungsgrenzen stießen. Ein Deichbruch wurde immer wahrscheinlicher – die Frage war nur noch, wo es passieren würde.

"Den ersten Deichbruch gab es ja schon in Breitenhagen", erinnert sich der heute 64-jährige Burkhard Henning. Man habe in Stendal im Katastrophenstab zusammengesessen, als am Sonntag, den 9. Juni 2013 immer deutlicher wurde, dass der Deich in Fischbeck nicht mehr zu halten war. "Man muss irgendwann eine Entscheidung treffen, wann es nicht mehr geht", sagt Henning. Gegen Mittag am 9. Juni wurde der kleine Elbort Fischbeck evakuiert. In Stendal war die Sporthalle des Berufsschulzentrums als Notunterkunft eingerichtet worden.

Helfer rechtzeitig vom Deich abgezogen

Helfer kämpften derweil noch am Deich bei Fischbeck. Es wurden große Sandsäcke vom Flugplatz Stendal Borstel eingeflogen. Der aufgeweichte Deich sollte stabilisiert werden. Bundeswehr, Bundespolizei und THW arbeiteten Hand in Hand. Viele freiwillige Helfer waren dabei. "Als sich der Riss abzeichnete, war klar, dass nicht mehr viel zu machen ist", sagt Henning.

Er sei froh, dass am Sonntagabend, am 9. Juni, die Helfer zum richtigen Zeitpunkt vom Deich abgezogen wurden. Am Montag, den 10. Juni, zwei Minuten nach Mitternacht, brach der Deich bei Fischbeck. "Bei der Wucht der Wassermassen, die später durch die Bruchstellen geflossen sind, hätte niemand eine Chance gehabt, der dort reingeraten wäre", sagt der Experte. 500 Kubikmeter pro Sekunde waren es, schätzt er. "Das ist gewaltig."

Bei der Wucht der Wassermassen, die später durch die Bruchstellen geflossen sind, hätte niemand eine Chance gehabt, der dort reingeraten wäre.

Burkhard Henning Direktor des Landesbetriebs Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft

Elbpegel erreicht kurz vor Deichbruch Rekordhöhe

Auch der Fischbecker Ortsfeuerwehr-Chef André Köppe kann sich erinnern, dass bis zuletzt Helfer am Deich waren. "Wir waren im Feuerwehrgerätehaus, als es passierte", erinnert sich Köppe. Am Sonntagmittag seien dann die Feuerwehrleute vom Deich abgezogen worden, sagt Köppe. "Wir wurden zur Nachtruhe aufgefordert." Seit Sonnabend hätten sie Sandsäcke gefüllt und zum Deich gebracht, sonntags Pappeln entlang des Deiches gefällt. "Es wurde Platz für Hubschrauber gebraucht", sagt der heute 53-Jährige, der immer noch die Ortsfeuerwehr Fischbeck/Wust leitet.   

Als am Sonntag die großen Sandsäcke Richtung Fischbeck geflogen wurden, feierte Stendal eigentlich den letzten Tag des Rolandfestes. Doch von Feiern konnte trotz strahlendem Sonnenschein keine Rede sein. Es herrschte gespenstische Ruhe. Viele Menschen waren als Helfer und Einsatzkräfte an den verschiedenen Orten im Landkreis unterwegs.

Bis zum Deichbruch in der Nacht zum 10. Juni 2013 war der Pegelstand der Elbe kontinuierlich gestiegen. Zuletzt erreichte er die Rekordhöhe an der Pegelmeßstelle Tangermünde – direkt gegenüber von Fischbeck – von 8,36 Metern. Mit dem Deichbruch sackte der Elbpegel noch am selben Tag um mehrere Zentimeter ab. Das verdeutlicht die Wassermassen, die sich in den folgenden Tagen fast 25 Kilometer weit Richtung Havelberg ausbreiteten.

Deich Anwohnern zufolge mit großen Knall gebrochen

Anwohner erzählten damals, dass mit dem Deichbruch ein großer Knall einherging. Einige äußerten daraufhin den Verdacht, dass der Bruch absichtlich herbeigeführt worden sei, um das Wasser gezielt in eine einwohnerarme Region laufen zu lassen. "Es ist möglich, dass der Deichbruch weithin zu hören war", sagt Henning. Denn es habe beim Deich einen sogenannten Grundbruch gegeben. Das Wasser habe sich unter den Deich geschoben und die Erdmassen mit einem Schlag weggedrückt.

"Ich habe nichts gehört", sagt Feuerwehrchef André Köppe über den Deichbruch. Er möchte am liebsten gar nichts mehr vom Thema Hochwasser hören. "Das war eine schwere Zeit. Es hat auch im Nachhinein viel Unruhe in den Ort gebracht", sagt er.

Das war eine schwere Zeit. Es hat auch im Nachhinein viel Unruhe in den Ort gebracht.

André Köppe Feuerwehrchef

"Leck" im Deich mit Lastenschiffen gestopft

Gestopft wurde die rund 90 Meter breite Deichbruchstelle fünf Tage später auf spektakuläre Weise: Am Sonnabend, am 15. Juni 2013, wurden gegen Abend zwei Lastenschiffe an die Stelle gefahren und durch Sprengung zum Sinken gebracht. Tags darauf folgte noch ein drittes Schiff. Mit großen Sandsäcken hätte man die Bruchstelle niemals schließen können, erklärt Henning. Diese wären "wie Fingerhüte weggespült" worden.

Der damalige Innenminister Holger Stahlknecht sprach als Leiter des Krisenstabs von einer "risikobehafteten Aktion". Den ganzen Tag über beobachteten Hunderte Menschen von Tangermünde aus das Vorgehen an der Deichbruchstelle in Fischbeck. Am Ende konnte das "Leck" im Deich bis auf zehn Meter geschlossen werden.

Kurz darauf wurde an der Bruchstelle eine Spundwand eingezogen. Diese war fertig, als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 23. Juli 2013 die Bruchstelle besuchte, um dort den Fischbecker Bürgermeister Bodo Ladwig, Landrat Carsten Wulfänger (CDU) und Bürger aus dem Elb-Havel-Winkel zu treffen.

Millionen Euro für Hochwasserschutz

Viele Millionen Euro an Hilfen flossen später in den Wiederaufbau der Infrastruktur. Allein für den Hochwasserschutz sind seit 2013 im Landkreis Stendal laut LHW etwa 254 Millionen Euro ausgegeben worden.

Mittlerweile entsprechen 411 Kilometer Deich an der Elbe den erforderlichen Standards – das sind 88 Prozent. Erster Spatenstich für den Deich bei Fischbeck war bereits 2014. 2017 war dieser von Jerichow bis zur B188 auf einer Länge von 6,5 Kilometern fertig.

Mehr zum Thema: Hochwasser 2013

MDR (Maria Hendrischke)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 09. Juni 2023 | 06:30 Uhr

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