Mammut-Projekt der Evangelischen Kirche Kunst in 100 Kirchen in der Altmark wird untersucht
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31. Dezember 2023, 04:00 Uhr
Die Kirchen im Norden Sachsen-Anhalts sind nicht nur besonders alt, sondern auch besonders reich ausgestattet. Nun will die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland das dortige Kunstgut untersuchen und systematisch erfassen. Insgesamt betrifft das 100 Kirchengebäude in der Altmark. Die Verantwortlichen stehen vor großen Herausforderungen.
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- Das kirchliche Kunstgut in der Altmark zu erfassen, ist eine umfangreiche Aufgabe.
- Hinter vielen Objekten stecken spannende Geschichten, die zum Teil erst kürzlich ans Tageslicht kamen.
- Ein Dutzend Profis erfassen die Kunst-Gegenstände in den altmärkischen Kirchen.
Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) steht in den kommenden zwei Jahren vor einer großen Aufgabe: Das Kunstgut in altmärkischen Kirchen soll erfasst werden. Zwölf sogenannte Erfasser stehen mit Beginn des Jahres 2024 vor einer immensen Aufgabe. In genau 100 Kirchen in der Altmark sollen sie sämtliches Kunstgut sichten. 41 davon befinden sich im Kirchenkreis Stendal und 59 im Kirchenkreis Salzwedel.
Laut Diana Seeber-Grundmann von der EKM handelt es sich einerseits um sogenannte Prinzipalstücke wie Altare, Taufbecken und Kanzeln. Aber es geht andererseits auch um Skulpturen, Gestühl, Emporen, Epitaphe, Wand- und Deckenmalereien bis hin zu Klingelbeuteln, Almosentafeln und Vasa Sacra, also heilige Gerätschaften wie Hostienschalen oder Kännchen für Weihrauch.
Eine Mammut-Aufgabe für die Evangelische Kirche
Die Aufgabe, diese ganzen Dinge zu erfassen, klingt eigentlich einfach, ist aber bei genauer Betrachtung eine sehr aufwändige Angelegenheit. Die altmärkischen Kirchen, so Seeber-Grundmann bei MDR KULTUR, seien besonders reich ausgestattet. Viele von ihnen stammten aus dem Mittelalter, sagt die Fachfrau der EKM. "Allein 250 Kirchenbauten stammen noch aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Diese bewahren mittelalterliche Wandmalereien und Architekturfassungen. Andere wiederum gehören zur Nordroute der Straße der Romanik."
Es werden laut Seeber-Grundmann auch besonders wertvolle Stadtkirchen wie die in Jerichow, St. Stephan Tangermünde oder St. Marien Stendal erfasst. In der Marienkirche Stendal befindet sich zum Beispiel eine der ältesten astronomischen Uhren im europäischen Raum – und in St. Stephan Tangermünde die jüngste. Dort hat ein Ingenieur eine astronomische Uhr entworfen und bauen lassen. Das Stück ist vor wenigen Wochen eingeweiht worden und jetzt schon Kunstgut. Der Erfasser in Tangermünde wird es in seine Liste aufnehmen.
Erfassung von Kirchenkunst gleicht Detektivarbeit
Andernorts müssen die Erfasser fast schon kriminologische Untersuchungen vornehmen. So ist seit Anfang September 2023 in der Seehäuser Petrikirche ein Gemälde aus dem 18. Jahrhundert zu sehen, das zuvor mehrere Jahrzehnte versteckt hinter einem Schrank im Pastorenhaushalt stand.
In der Kirche zu Groß Rossau wird erst seit kurzem wieder ein Johanneskopf gezeigt, der mehr als sechzig Jahre lang in einer Ausstellung in Arendsee lag und später in einem Pastorenschrank verschwand. Erst das Nachstochern des Pfarrers von Groß Rossau brachte den Johanneskopf wieder zutage.
Die Erfassung des Kunstgutes in den 100 altmärkischen Kirchen ist also eine Fleißarbeit, die nur von Sachverständigen ausgeführt werden kann.
Hundert Kirchen, zwölf Profis, zwei Jahre Zeit
Bei den sogenannten Erfassern handelt es sich laut Seeber-Grundmann von der EKM um ausgebildete Kunsthistoriker und Restauratoren aus verschiedenen Regionen wie Berlin, Halle, Dresden. Sie sollen zuerst bei Probe-Inventarisierungen vor Ort begleitet und in Weiterbildungen in die systematische Erfassung von kirchlichem Kunst- und Kulturgut eingewiesen werden.
Zwei Jahre haben die Profis insgesamt Zeit, möglichst alles Kunstgut in den hundert Kirchen in der Altmark aufzunehmen und zu kategorisieren. Sie sollen auch den jeweiligen Zustand feststellen, zum Beispiel den Befall mit Holzwürmern oder Farbverluste registrieren. Anhand dieser Ergebnisse können die Kirchenverantwortlichen dann Prioritätenlisten für die Rettung einzelner Stücke erstellen. So kann im Katastrophenfall rasch entschieden werden, was wie schnell und auf welche Art geborgen werden muss.
Die Kunstgut-Erfassung hat aber noch einen weiteren Vorteil: In Fällen von Diebstahl kann schnell analysiert werden, was fehlt. Dabei sei die Arbeit der Erfasser eine wichtige Grundlage für die künftige Arbeit, betont Seeber-Grundmann im Gespräch mit MDR KULTUR. So sollen die neu erstellten Übersichten auch weitergeführt werden. "Es werden Neuanschaffungen eingetragen oder Einträge aktualisiert, wenn etwas restauriert werden konnte", so die EKM-Mitarberiterin. Die Daten können für die Betreuung des Kulturerbes gemeinsam mit dem Landesdenkmalamt genutzt werden.
Auch anderswo soll Kunstgut erfasst werden
Neben der Erfassung in den altmärkischen Kirchen schickt die EKM künftig auch Fachleute in die Regionen Halle-Saalkreis, Torgau-Delitzsch und Haldensleben-Wolmirstedt. Die Hälfte der Kosten trägt das Land Sachsen-Anhalt. Es handle sich allerorten um "erhebliche ideelle und auch materielle Werte", mahnt Seeber-Grundmann.
Insgesamt gehören mehr als 3.000 Kirchen und Kapellen zur EKM. Damit hat sie die meisten Gotteshäuser aller Landeskirchen in Deutschland. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland ist eine von 20 Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EDK). Sie ging 2009 aus der Vereinigung der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen hervor. Das Landeskirchenamt ist in Erfurt angesiedelt. Als Bischofskirche dient der Magdeburger Dom. Landesbischof ist seit 2019 Friedrich Kramer.
Quelle: MDR KULTUR (Katharina Häckl), Evangelische Kirche in Mitteldeutschland
Redaktionelle Bearbeitung: bh
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Morgen | 31. Dezember 2023 | 08:15 Uhr