Kommentar Sprache in Gefahr? Wenn Politik und Verwaltung unverständlich reden
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10. September 2023, 15:33 Uhr
Schon im Alltag kann man an Fachsprache scheitern: Sicherlich verstehen nur wenige den Steuerbescheid auf Anhieb. Oder: Schnell mal in einem Gesetz nachlesen, was erlaubt ist und was nicht – das geht oft nur mit einem mehrjährigen Studium. Doch durch diese Expertensprache werden viele Menschen ausgegrenzt, obwohl sie ein Anrecht auf Teilnahme haben, kommentiert unser Autor Uli Wittstock.
- Experten fordern, mehr Wert auf eine einfache und verständliche Sprache zu legen.
- Fachsprache von Behörden oder Institutionen grenzt viele Menschen aus, weil sie den Inhalt nur schwer verstehen können.
- Dadurch ist zu befürchten, dass das Verständnis zwischen den Menschen abnimmt.
Martin Luther, der in Eisleben geboren und gestorben ist, war auch deshalb so erfolgreich, weil er seinerzeit in einem Deutsch predigte, das vom gemeinen Volk verstanden wurde. Hatte Luther sich seinerzeit vor allem mit dem Kirchenlatein auseinanderzusetzen, so gibt es nun ein Politikerlatein, ein Behördenlatein, ein Wirtschafts- und Börsenlatein sowie viele weitere Fachsprachen. Geredet wird folglich viel, verstanden allerdings offenbar immer weniger.
Mehr als ein halbes Jahrtausend später versucht nun Tim Appel mit dem Büro für leichte Sprache diese alte lutherische Tradition wieder aufzugreifen. Und dazu gibt es auch eine politische Verpflichtung, so Appel: "Deutschland hat die UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben und sich damit auch verpflichtet, Informationen in leichter beziehungsweise einfacher Sprache zur Verfügung zu stellen."
Ein Problem dabei sei allerdings ziemlich grundsätzlicher Natur, so Tim Appel. Behördentexte haben immer einen Bezug zur Sprache der Rechtssprechung und diese sei besonders unverständlich. Leichte oder auch nur verständliche Sprache gebe es in Gesetzestexten nicht.
Leichtes oder einfaches Sprechen
Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen leichtem und einfachen Sprechen. Leichte Sprache ist für Menschen gedacht, die aus unterschiedlichen Gründen beim Verstehen der Sprache beeinträchtigt sind. Einfache Sprache hingegen soll Fachwissen so aufbereiten, dass jeder es versteht. Wirkliche Teilhabe ist eben nur möglich, wenn alle in der Lage sind, das Gesagte oder Geschriebene zu verstehen.
Leichte Sprache setzt auf leichte Verständlichkeit und erfüllt damit der Barrierefreiheit. Und obwohl die Behörden gesetzlich verpflichtet sind, Texte auch in leichter Sprache zu Verfügung zu stellen, sieht der Verwaltungsalltag anders aus.
Beispielhaft zeigte sich das Anfang des Jahres, als Millionen von Bundesbürgern aufgefordert waren, ihre Grundsteuererklärung abzugeben. Auch Tim Appel forstete sich durch digitale Sprachwüste: "Ich hätte mir diesen Steuerbescheid auch in einfacher Sprache gewünscht, beziehungsweise auch die Erklärung dazu. Es müsste viel mehr Wert darauf gelegt werden, bei der Entwicklung solcher Sachen auch Fachleute im Bereich der barrierefreie Sprache einzubinden."
Sprachbarrieren schließen aus
Eigentlich haben ja unsere Vorfahren die Sprache erfunden, um sich besser zu verständigen. Inzwischen kann man jedoch den Eindruck gewinnen, dass Sprache zunehmend dazu dient, sich abzugrenzen. Das zeigt sich häufig im Umgang mit Ämtern, wo man zwar seine gesetzlichen Rechte einfordern kann, allerdings vor den Paragraphenrittern einen Kniefall machen muss, wie seinerzeit beim Fürsten. Vor allem wenn es um Anträge aus dem Sozialbereich geht, sind die Verständnishürden hoch. Das bemängeln auch diejenigen, die sich von Berufswegen damit beschäftigen, nämlich die Sozialarbeiter in den Beratungsstellen.
Barbara Höckmann ist Präsidentin des Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Das Wohngeldgesetz zum Beispiel sei eine gute Idee, so Höckmann, doch die konkrete Umsetzung hingegen Problem. "Das könnte man auch mit einer leichteren Sprache gestalten oder mit einer besseren Anleitung, damit die Leute wissen, was von ihnen verlangt wird." Aus Sicht der AWO-Präsidentin sind das zusätzliche Hürden, die da möglicherweise auch einen bestimmten Hintergrund haben. "Man könnte vermuten, dass das Interesse nicht sehr groß daran ist, dass alle ihre Leistungen in Anspruch nehmen."
Die Sprache, das Geld und die Politik
Aber auch in der Politik ist nicht unüblich, Sprache für die eigenen Zwecke einzuspannen, von links bis rechts. Wenn es um die Verschleierung von Schulden geht, spricht man von einem Sondervermögen oder auch von Stabilisierungsfonds. Und wenn die Summe besonders hoch ist, ist auch mal von einem "Doppelwumms" die Rede. Sachsen-Anhalts aktueller Landeshaushalt lässt sich im Internet nachlesen, steht also für jeden Interessierten offen, der mal nachlesen will, wofür seine Steuern so ausgegeben werden.
Selbst langjährige Landtagsabgeordnete räumen aber ein, die Untiefen der Zahlenkolonnen nicht ergründen zu können, es sei denn, man redet mit ausgewiesenen Finanzexperten. Aber wem eine kurze Übersicht reicht, der kann eine Kurzfassung lesen, in der sich nun auch der Begriff "Gender Budgeting" finden lässt. Angefügt ist jedoch auch ein Wörterbuch der einfachen Sprache, dem man entnehmen kann, dass "Gender Budgeting" geschlechtergerechtes Geldausgeben meint.
Doch warum muss so ein Text zur besseren Verständlichkeit überhaupt erst übersetzt werden, er könnte doch gleich in "normalem" Deutsch geschrieben werden. Diese Frage treibt Tim Appell vom Büro für leichte Sprache schon länger um. "Wir müssen davon wegkommen, Fachwörter zu verwenden, oder auch englische Begriffe, die eben oft zu Verwirrung führen." Allerdings beziehen sich vor allem Verwaltungstexte auf rechtlichen Grundlagen, was die Verständlichkeit eben einschränkt.
Sprache und Lebenswelt
Schon der deutsche Dichter Lessing gab seinerzeit den Ratschlag: "Schreibe, wie du redest, so schreibst du schön." Das allerdings ist nun immerhin 280 Jahre her und die Lebenswelt hat sich seitdem geändert. Bettina Scheithauer ist Sprachwissenschaftlerin und ebenfalls im Büro für leichte Sprache in Eisleben engagiert.
Sie beobachtet eine Zunahme von Fachbegriffen im Alltag, auch als Folge immer speziellerer Berufe: "Arbeite ich in einer Autowerkstatt oder in einer Chipfabrik, das prägt dann auch die Art zu sprechen. Es ist die Lebenswelt, die unsere Sprache formt." Und je mehr diese Lebenswelt auseinanderklafft, umso unverständlicher werden wir untereinander.
Aus Sicht von Bettina Scheithauer gibt es noch eine weitere Entwicklung, welche eine Veränderung deutlich macht: "Mir ist aufgefallen, dass es gar nicht mehr nötig ist, jemanden zu fragen. Ich kann ja alles digital recherchieren. Ich muss nicht nach dem Weg fragen, sondern gucke einfach in mein Telefon." Und so bleibt jeder in seiner Welt verfangen. Sprache, die eigentlich Brücken bauen soll, wird zum Trennfaktor.
Kommentar: Und was lernt man daraus? Wenn Politiker und Medien sich in der Unverständlichkeit ihrer Sprachwelt eingerichtet haben, dann haben es Populisten in Parlamenten und auf Marktplätzen leicht. Es geht dabei weniger um die Richtigkeit der Aussagen, sondern vielmehr um Verständlichkeit und Wirkung. Wer eine Landtagsdebatte in Sachsen-Anhalt verfolgt, der erlebt sehr unterschiedliche Redetalente. Leider entsteht mitunter der Eindruck, dass verständliches und mitreißendes Reden nicht unbedingt als Kernkompetenz von Politikerinnen und Politikern gesehen wird. Im nächsten Jahr stehen in Sachsen-Anhalt sowohl die Europa- wie auch die Kommunalwahlen an. Wer das Wahlvolk begeistern will, hat also noch genug Zeit, zu trainieren.
MDR (Uli Wittstock)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 07. September 2023 | 07:40 Uhr
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