Kommentar zur digitalen Verwaltung Die große Panne: Warum das Online-Zugangsgesetz gescheitert ist
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28. Dezember 2022, 17:09 Uhr
Obwohl das Online-Zugangsgesetz in wenigen Tagen in Kraft tritt, sind die Behörden in Sachsen-Anhalt bislang nur wenig digitalisiert. MDR-Autor Uli Wittstock hat dazu mit einem Experten gesprochen – und kommentiert hier, welche Schlüsse er persönlich aus dem Scheitern zieht.
- Vor fünf Jahren brachte der Bundestag das Online-Zugangsgesetz auf den Weg – und verzichtete auf Sanktionen.
- Auch Sicht des Verwaltungsexperten Jens Weiß scheitern Verwaltungen schon an der grundlegendsten Digitalisierungsmaßnahme: dem papierlosen Arbeiten.
- Ein Treiber für digitale Behörden könnte in nächster Zeit der Fachkräftemangel werden.
Hundesteuer, Bauantrag, Kitaplatz, Personalausweis, Führerschein – in Deutschland gibt es kaum einen Lebensbereich, in dem es ohne eine Behörde geht. Ab 1. Januar 2023 gilt immerhin das Online-Zugangsgesetz (OZG). Das verpflichtet staatliche Behörden, die Abwicklung von Verwaltungsvorgängen auch online anzubieten. Allerdings hält sich in Deutschland keine Verwaltung an diese Vorgabe. In einem Vergleich landeten die Städte Magdeburg und Halle zuletzt abgeschlagen auf den hinteren Plätzen.
Als der Bundestag vor fünf Jahren das Online-Zugangsgesetz auf den Weg brachte, verzichtete der Gesetzgeber darauf, mit Sanktionen zu drohen, sollten die Städte und Gemeinden das Ziel verfehlen. Und so wird also in Deutschland flächendeckend gegen geltendes Recht verstoßen und kaum jemanden regt das auf.
Jede Kommune geht in Sachen Verwaltung eigene Wege
Das habe auch etwas mit einer deutschen Besonderheit zu tun, sagt Prof. Dr. Jens Weiß, Verwaltungswissenschaftler an der Hochschule Harz: "Es gibt in Deutschland nicht eine Verwaltung, sondern es gibt 10.000 Kommunen, und jede Kommune hat grundgesetzlich garantiert die Hoheit in Verwaltungsfragen."
Wie etwas bearbeitet wird, im Rahmen der rechtlichen Regeln, wird also vor Ort entschieden.
Das geht bei der Frage los, wie das Personal eingesetzt wird, bis hin zur Frage, welche Software zur Anwendung kommt. Und so kann es also viele Arten geben, aus der Hundesteuer einen Verwaltungsakt zu machen. Fast immer jedoch endet das Verfahren in einem Aktenordner.
Experte: Digitalisierung scheitert bereits beim papierlosen Arbeiten
Nun sind die Städte und Gemeinden in den vergangenen Jahren bei der Digitalisierung nicht vollständig untätig geblieben, denn einige Formulare lassen sich im Netz herunterladen und ausfüllen, doch dann endet die digitale Kette: Weiterleitung per Fax oder Post ist in den allermeisten Fällen noch immer Standard. Als Digitalisierungserfolg gilt das Beschwerdemanagement vieler Städte und Gemeinden in Sachsen-Anhalt, unter dem Schlagwort "Sag's uns doch". Dort können sich Engagierte melden, um Schlaglöcher, kaputte Straßenbeleuchtung oder illegale Müllhaufen zu melden.
Das sei eine schöne Schnittstelle zwischen Bürger und Verwaltung, so Professor Weiß. Doch interessant sei, wie es dann weitergeht: "Hinterher wird ein Stück Papier ausgedruckt, in eine grüne Akte gelegt und dann durch das Rathaus getragen." Das sei das bisher größte Defizit der Digitalisierung in Deutschland. Um den Kern habe man sich noch zu wenig gekümmert, nämlich das papierlose Arbeiten. Ein Roboter, der Akten im Amt verteilt, sei hingegen eine falsche Idee der Digitalisierung.
Online-Wirtschaft setzt die Standards
Wer bei einem Online-Händler Ware bestellt, bekommt mitgeteilt, wann das Paket versandfertig ist, wann es ausgeliefert und zugestellt wurde. Auch Pizzadienste bieten diesen Service. Wären die Arbeitsabläufe in der Verwaltung ähnlich digitalisiert, dann könnte der Bürger eventuell sehen, in welchem Amt sein Antrag gerade schlummert. Man ahnt, dass so viel Transparenz nicht gerade auf große Zustimmung in den Verwaltungen trifft.
Für Verwaltungswissenschaftler Weiß stellt sich noch eine grundsätzliche Frage, die derzeit kaum jemand im Blick habe: "Man darf natürlich nicht schlechte Verwaltungsprozesse digitalisieren, sondern, wenn man sie digitalisiert, muss man sie auch überarbeiten." Weitere Fragen würden sich anschließen. Was könne man eigentlich automatisieren? Wo könne künstliche Intelligenz bei Entscheidungen helfen? Wo könnten Überprüfungen, die heute manuell laufen, automatisiert werden? "Dieses Thema wird in den nächsten fünf, sechs, sieben Jahren sicher deutlich wichtiger werden." Künstliche Intelligenz in den Amtsstuben hätte übrigens den Vorteil, dass sie rund um die Uhr arbeitet, auch freitags nach 13 Uhr und an Wochenenden.
Fachkräftemangel könnte Digitalisierung beschleunigen
Digitalisierung, Entbürokratisierung, schlanke Verwaltung – da sind Stichworte, die seit vielen Jahren die Debatte um den öffentlichen Dienst prägen. In der Umsetzung ist man bislang jedoch kaum vorangekommen. Das allerdings ändert sich jetzt und die Gründe dafür sind keine technologischen. Die nächsten Jahrzehnte werden nämlich von einem Mangel geprägt sein, und zwar von einem Mangel an Fachkräften.
Die Intensität, mit der heute verwaltet wird, die werden wir nicht mehr haben.
Aus Sicht von Professor Jens Weiß steht auch die Verwaltung vor einer Zeitenwende: "Die Intensität, mit der heute verwaltet wird, die werden wir nicht mehr haben, weil wir einen erkennbaren Fachkräftemangel haben." Verwaltungen würden sich daher ohnehin überlegen müssen, welche Dinge noch mit Menschen erledigt werden könnten. "Und natürlich geht es auch darum, welche Leistungen dann nicht mehr erbracht werden können." Entbürokratisierung durch demografischen Wandel, darauf seien bislang weder Verwaltung noch Bürger vorbereitet.
Wohngeld, Bürgergeld, Gaspreisdeckel – viel Arbeit für Verwaltungen
Seit Wochen klagen Landkreisverwaltungen, dass durch die neuen Regeln zum Wohngeld ein erheblicher Antragsstau zu erwarten ist, Antragsteller werden wohl Monate auf das Geld warten müssen, auch weil es keine Möglichkeit gibt, den Antrag digital zu bearbeiten. Der Gaspreisdeckel greift erst ab März, weil es nicht möglich sei, die Regeln schneller umzusetzen, denn es fehlten die entsprechenden Daten – so die offizielle Erklärung.
Sachsen-Anhalts Präsident des Landkreistages, Götz Ulrich (CDU), verwies vor wenigen Tagen auf Probleme bei der Umsetzung des neuen Bürgergeldes. Die Verwaltungen würden zwischen Weihnachten und Silvester mit Hochdruck arbeiten, um sich auf die Antragsflut vorzubereiten. Tausende Beschäftigte in den Verwaltungen seien unter Druck gesetzt. Und dass der Bürger bei der Neuberechnung der Grundsteuer die Daten selber zusammentragen musste, die ja eigentlich in den Ämtern vorliegen, zeigt ja deutlich, wie rückschrittlich deutsche Behörden strukturiert sind.
Datenschutz als Bremse für digitale Verwaltungen?
Estland gilt weltweit als Vorreiter bei der Digitalisierung der Verwaltung. Dort ist es dem Staat verboten, Daten, die bereits erhoben wurden, noch einmal abzufragen. In Deutschland liegt die Wohnadresse in jedem Einwohnermeldeamt vor. Dennoch wird erneut bei jedem Antrag nach eben jener Adresse gefragt, ähnliches gilt für persönliche Angaben zu Alter, Geschlecht, Geburtsort etc. Genau diese Umstände führen jedoch zu jenen Aktenbergen, über die derzeit die Verwaltungen klagen.
Wir sind offensichtlich bereit, es in großem Maße zu akzeptieren, wenn die Privatwirtschaft unsere Daten nutzt.
Doch es ist möglicherweise auch eine Frage der deutschen Mentalität. Es gilt ja seit vielen Jahrzehnten als schick, dem deutschen Staat so wenig Daten wie möglich zu überlassen. Gegenüber privaten Firmen sei man da hingegen viel weniger voreingenommen, so die Beobachtung von Jens Weiß: "Wir sind offensichtlich bereit, es in großem Maße zu akzeptieren, wenn die Privatwirtschaft unsere Daten nutzt. Ich weiß aber nicht, ob wir bereit sind, es zu akzeptieren, wenn das der Staat macht." Wenn man Datensätze kombiniert, entstünden neue Wissensbestände, die einerseits viel Mehrwert schaffen würden, aber andererseits auch eine ganz andere Transparenz der Bürgerinnen und Bürger erzeuge.
Insofern wird man wohl davon ausgehen müssen, dass auch in den nächsten Jahren das Stempelkissen zur Grundausstattung der deutschen Behörden zählen wird. Allerdings dürfte der Leidensdruck sowohl bei den Verwaltungen wie auch bei den Verwalteten steigen, denn der Papierdschungel produziert vor allem eines: Mehrarbeit und längere Verwaltungsvorgänge.
MDR (Uli Wittstock)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 23. Dezember 2022 | 21:45 Uhr
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