Knöllchen ohne Konsequenzen Nur Sachsen-Anhalts Minister-Fahrer haben Freifahrtschein

14. Juli 2023, 15:26 Uhr

Kaum ein Fahrer der Minister-Limousinen muss mit einem Knöllchen rechnen. Das ergab eine MDR-Recherche. Jetzt zeigt eine Abfrage in Mitteldeutschland: Sachsen-Anhalts Rechtsauslegung um die Auskunfts-Sperre der Minister-Fahrer ist ein Sonderweg. Sachsen und Thüringen lassen ihre Fahrer zahlen.

Bereits im Februar berichtete MDR SACHSEN-ANHALT von einem Sonderfall aus den Landesministerien: Wird ein Fahrer einer Minister-Karosse hier geblitzt oder steht im Halteverbot, muss er nicht zwangsläufig mit einem Bußgeld rechnen.

Die Fahrzeuge der Landesregierung sind üblicherweise nicht mit einem Kennzeichen des Landes unterwegs (z.B.: LSA-XX-XX), sondern stattdessen mit einem Tarn-Kennzeichen, einem zivilen Ersatz-Kennzeichen, wie es offiziell heißt, beispielsweise mit der Magdeburger Orts-Marke "MD".

Verstößt ein Fahrer oder eine Fahrerin mit solch einem Kennzeichen gegen die Verkehrsregeln, läuft die Abfrage nach dem Fahrzeughalter ins Leere, weil es dafür eine Auskunfts-Sperre gibt.

Parallel dazu wird das jeweilige Ministerium über die Halter-Abfrage in Kenntnis gesetzt und kann selbst entscheiden, ob sie die Fahrer-Daten an die Ordnungsbehörde weitergibt. Eine Kleine Anfrage der Linken zeigt: In über 230 Fällen wurden seit 2020 keine Halter-Daten übermittelt und somit auch keine Knöllchen bezahlt. Andere Bundesländer sind da konsequenter.

Thüringen und Sachsen melden (fast) alle Verstöße

Nach einer Abfrage des MDR in anderen Bundesländern ist Sachsen-Anhalts Vorgehen beispiellos: In Thüringen und Sachsen werden fast ausnahmslos alle Halter bei Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung übermittelt.

Lediglich die Staatskanzlei in Thüringen gibt an, dass man sich vorbehalte, eine Prüfung auf Sonderrechte vorzunehmen. Gleichzeitig sind auch die Ordnungswidrigkeiten im Vergleich zu Sachsen-Anhalt deutlich geringer. Nur etwas mehr als 50 Verstöße wurden durch die Ministerien dokumentiert. Zwei Ministerien führen keine Statistik, "weil Verstöße nur äußerst selten vorkommen".

Ähnlich sieht es in Sachsen aus: Dort gibt es weitergeleitete Ordnungswidrigkeiten durch Fahrzeuge mit sogenannten Tarn-Kennzeichen.

Spitzenreiter der Verstöße in Sachsen-Anhalt: Das Innenministerium

Eine Kleine Anfrage der Linken in Sachsen-Anhalt gibt eine Übersicht, in wie vielen Fällen Ordnungsbehörden versucht haben, Halter- und Fahrer-Informationen durch die jeweiligen Ministerien zu bekommen. In der Tabelle sind es allein für Sachsen-Anhalts Innenministerium und die untergeordneten Behörden wie Polizei und Verfassungsschutz zwischen 2020 und 2022 in der Summe 89 Fälle. Hierbei handelt es sich nach Angaben des Ministeriums um Geschwindigkeitsüberschreitungen und Falschparker. Davon wurde kein einziges Vergehen an die Bußgeld-Stellen übermittelt.

Das Innenministerium und der Verfassungsschutz in Thüringen weisen im gleichen Zeitraum 52 Fälle aus. Diese wurden nach Angaben des Ministeriums ohne Ausnahme gemeldet.

Bildungsministerium in Sachsen-Anhalt korrigiert auf erneute Nachfrage die Zahlen

In einer Anfrage des MDR aus dem Januar bestätigt das Bildungsministerium drei Vorfälle, die derzeit noch in der Prüfung sind, in denen die Fahrer-Daten nicht an die zuständige Behörde weitergegeben wurden. In der Kleinen Anfrage aus dem März 2023 wird die MDR-Anfrage bestätigt.

Jedoch gab es Hinweise, die MDR SACHSEN-ANHALT vorliegen, dass es weitere Verstöße im Ministerium gab. Eine erneute Dringliche Anfrage der Linken im Landtag ergab: Für 2020 kann das Ministerium zwar weiterhin keine Angaben machen, jedoch wurden 2021 zehn und 2022 acht Fälle nicht an die Ordnungsbehörden weitergegeben.

Insgesamt hielt das Ministerium 18 Fälle zurück. Als Grund für die Nicht-Übermittlung informierte das Ministerium MDR SACHSEN-ANHALT: "Für das Jahr 2022 waren das zum Zeitpunkt der Fragestellung fünf; drei weitere befanden sich zu dem Zeitpunkt noch in der Prüfung – ergibt eine Gesamtzahl von acht, die alle das Maß der Ordnungswidrigkeit nicht überschritten und daher nicht an Ermittlungsbehörden weitergeleitet wurden." Gleiches führt das Ministerium auch für das Jahr 2021 aus.

Linke fordern mehr Transparenz

Weil Sachsen-Anhalt hier einen Sonderweg geht und die Fahrer der Minister schützt, fordert Die Linke im Land nun eine Gleichbehandlung. "Politik hat hier ganz klar eine Vorbildwirkung. Wer eine Ordnungswidrigkeit begeht, der muss dafür belangt werden. Egal, ob Normalbürger oder Fahrer eines Minister-Fahrzeugs. Vor diesem Hintergrund muss die Landesregierung Transparenz schaffen," fordert Eva von Angern, Fraktionsvorsitzende der Linken.

Das Land hatte in der Vergangenheit jedoch auf das Straßenverkehrsgesetz verwiesen: "Nach § 41 Abs. 1 StVG ist die Anordnung von Übermittlungssperren in den Fahrzeugregistern zulässig, wenn erhebliche öffentliche Interessen gegen die Offenbarung der Halterdaten bestehen. Dieses Interesse besteht auch bei den Fahrzeugen der Landesregierung." Im Einzelfall würde man jedoch prüfen, "wenn an der Kenntnis der gesperrten Daten ein überwiegendes öffentliches Interesse, insbesondere an der Verfolgung von Straftaten besteht." Ordnungswidrigkeiten sind zumindest nach den vorliegenden Zahlen offenbar nicht im öffentlichen Interesse.

MDR (Lars Frohmüller, Björn Menzel)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 14. Juli 2023 | 12:00 Uhr

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