Kommentar Warum ich mich freue, in Magdeburg oben ohne baden zu dürfen
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25. Juni 2024, 18:42 Uhr
In den städtischen Bädern in Magdeburg dürfen nun auch Frauen oben ohne baden. Ein wichtiges Zeichen, findet unsere Kommentatorin. Denn schließlich sollten vor dem Gesetz alle Brüste gleich sein.
- Unsere Kommentatorin Alisa Sonntag freut sich, dass in den städtischen Bädern Magdeburgs jetzt auch Frauen oben ohne baden dürfen.
- Das mache nicht nur Sinn, weil Männer- und Frauenbrüste biologisch gar nicht so unterschiedlich seien.
- Es könne außerdem helfen, Sexualisierung abzubauen und die Verantwortung für sexuelle Belästigung zurück an die Täter zu verweisen.
Ich habe zwei Brüste. Es sind Drüsen mit Fett- und Bindegewebe drum herum, die mein Kind zwei Jahre lang mehr oder weniger kostenlos versorgt haben. Praktisch.
Allerdings sind diese Brüste auch der Grund dafür, dass es für mich mit hoher Wahrscheinlichkeit ungemütlich wird, wenn ich mich im Park oberkörperfrei sonne. Oder besser gesagt: Nicht meine Brüste sind der Grund, sondern einige Männer. Denn sexuelle Belästigung – Anfassen, Sprüche und Blicke – habe ich als Frau auch schon im Wintermantel erfahren. Meine Vermutung ist, dass ein Bikinioberteil keinen Belästiger abhält. Wovon ein Bikinioberteil mich allerdings verschont, ist Ärger mit dem Gesetz. Denn ohne könnte man mir im schlimmsten Falle Erregung öffentlichen Ärgernisses oder Belästigung der Allgemeinheit vorwerfen.
Oben-ohne-Baden auch in vielen anderen Städten erlaubt
In den städtischen Freibädern in Magdeburg kann mir das jetzt nicht mehr passieren. Dort ist es seit vergangener Woche laut Stadtratsbeschluss auch Frauen ganz offiziell erlaubt, oben ohne zu baden. Eine Regelung, die in vielen anderen Städten, wie unter anderem Dresden, Hannover, Leipzig, Berlin und München schon seit mehreren Jahren gilt.
Wir sind von Nippel-Gleichberechtigung noch weit entfernt.
Die Diskussionen ums Oben-ohne-Baden führen wir in Deutschland seit mehreren Jahren. Im Sommer 2021 war in Berlin eine Mutter des Platzes verwiesen wurde, weil sie sich oberkörperfrei an einen Wasserspielplatz gelegt hatte – wie ihr männlicher Begleiter. Eine klare Ungleichbehandlung, fand Anwältin Leonie Thum, die daraufhin das Land Berlin gemeinsam mit der Betroffenen auf Entschädigung wegen Geschlechterdiskriminierung verklagte. In zweiter Instanz bekam sie Recht. "Nach dem Gesetz sollten alle Brüste gleich sein", sagt Thum dem Deutschlandfunk. Die unterschiedliche Behandlung aufgrund sekundärer Geschlechtsmerkmale stelle eine Diskriminierung dar. Auf ihrem Blog schreibt die Rechtsanwältin: "Wir sind von Nippel-Gleichberechtigung noch weit entfernt."
Männer- und Frauenbrüste anatomisch ähnlich
Ich freue mich, nun auch in Magdeburg ohne Bikinioberteil ins Wasser springen zu dürfen. Schließlich kann ich nichts dafür, dass ich Brüste habe. Ich hatte nicht darum gebeten. Ich möchte nicht in Gefahr sein oder mich bedecken müssen – nur, weil sie da sind. All das, während männlich gelesene Menschen neben mir seit Jahrzehnten stolz ihre Brüste in die Sonne halten.
Spannenderweise sind männliche und weibliche Brüste aus anatomischer Sicht gar nicht so unterschiedlich: Auch Männer haben Brustdrüsen und Milchgänge und Prolaktin, das Hormon, das die Milchbildung steuert. Und teilweise haben auch Männer Brüste, die nicht flach und damit von weiblichen Brüsten nicht zu unterscheiden sind. Andersherum können auch Frauen flache Brüste haben. Alleine das zeigt, wie absurd die Unterschiede sind, die beim Oben-ohne-baden zwischen Männern und Frauen gemacht werden. Nicht nur, dass die Unterscheidung zwischen Männerbrüsten und Frauenbrüsten oft alles andere als offensichtlich ist – sie lässt auch eine Menge nicht-binäre Menschen außen vor.
Unterschied zwischen Männer- und Frauenbrüsten ist nicht nur die Biologie
Es ist nicht allein die Biologie, die dafür gesorgt hat, dass weiblich gelesene Brüste gesellschaftlich eine ganz andere Rolle spielen als männlich gelesene. Stichwort: Sexualisierung. So sagte Sexologin Ann-Marlene Hennig (die übrigens ihre Masterarbeit in Sexologie an der Fachhochschule Merseburg in Sachsen-Anhalt zum Thema "Das genitale Selbstbild der Frau" geschrieben hat) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Ob und wie der weibliche Körper sexualisiert wird, ist eine Frage kulturell geprägter Bewertung. Und die verändert sich immer wieder im Lauf der Zeit." In den Achtzigern hätten Frauen als spießig gegolten, die nicht oben ohne schwimmen wollten.
Ob und wie der weibliche Körper sexualisiert wird, ist eine Frage kulturell geprägter Bewertung.
Heute gilt: Männliche Brüste sind in der Regel einfach ein Körperteil, wie der Bauch oder ein Arm. Weibliche Brüste werden in unserer Gesellschaft sexualisiert. Sie sind nicht einfach da – sie sollen Begehren wecken, Männer erfreuen, werden immer und immer wieder auf Werbeplakaten in sexuellen Kontexten gezeigt. Es ist offensichtlich, welches Geschlecht über lange Zeit den Blick auf den weiblichen Körper geprägt hat. Kleiner Tipp: Es waren nicht die Frauen. Die durften nämlich über lange Zeit überhaupt nichts prägen.
Was Nutzende bei MDR SACHSEN-ANHALT dazu sagen
Aber das ändert sich langsam. So, wie der Stadtratsbeschluss in Magdeburg zum Oben-ohne-Baden dafür sorgen könnte, dass nackte weibliche Brüste Stück für Stück ihre Sexualisierung verlieren und als das gesehen werden, was sie eigentlich sind: Ein Körperteil, das die Hälfte der Weltbevölkerung einfach hat.
Dann ganz ehrlich wundert euch nicht, wenn ihr angegafft werdet.
In den Kommentarspalten von MDR SACHSEN-ANHALT sorgt die Neuerung allerdings für gemischtes Feedback. So schreibt zum Beispiel eine Kommentatorin: "Dann ganz ehrlich wundert euch nicht, wenn ihr angegafft werdet." Ein anderer Kommentator wird noch konkreter und verdächtigt vor allem Menschen aus islamischen Ländern der sexuellen Belästigung: "Es kann jeder machen, was er, in diesem Fall sie will. Aber jammert hinterher nicht rum, wenn Ihr als Fleischobjekte angegafft werdet, gerade von denen, die bisher nur zusammen geklappt "Sonnenschirme" kennen und mit ihrer Reizüberflutung nicht wissen, wohin damit. Da seid Ihr dann selber schuld‼️"
Hören Sie hier die Umfrage unter Magdeburgerinnen und Magdeburgern zu dem Thema:
Warum Oben-ohne-Baden kein Grund für Belästigung ist
Was beide Kommentare gemeinsam haben? Täter-Opfer-Umkehr. Das bedeutet in dem Fall, dass Frauen, die sexuelle Belästigung erfahren, verantwortlich gemacht werden für das, was ihnen passiert ist. Eigentlich Opfer, werden sie zur Täterin stilisiert. Eine bequeme Sichtweise für viele – bedeutet es doch, dass keiner zu genau auf tatsächliche gesellschaftliche Probleme schauen muss. Dass kein Mann sich unbequeme Fragen zu seinem Verhalten stellen muss. Dass viele Frauen sich nicht trauen, sich gegen ihre Belästiger zu wehren oder anzuziehen, was sie wollen. Und ein paar Jahrhunderte lang hat das ja auch gut funktioniert. In der gleichberechtigten Gesellschaft, die wir eigentlich in unserem Grundgesetz stehen haben, ist dafür aber kein Platz mehr.
Niemand trägt die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass er oder sie nicht sexuell belästigt wird. Niemand muss sich klein machen, im Sommer lange Hosen tragen – oder, wie im Magdeburger Fall, ein Bikinioberteil anziehen. Andersherum haben allerdings alle, jede einzelne Person in diesem Land, die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sie nicht selbst zum Belästiger werden. Die Entscheidung des Magdeburger Stadtrates, Oben-ohne-Baden zu erlauben, bekräftigt in meinen Augen genau das: Dass die Verantwortung bei den Tätern liegt und nicht bei den Opfern.
MDR (Alisa Sonntag)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 20. Juni 2024 | 14:30 Uhr
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