Sommer im Freibad Halbnackter Spaß: Oben-ohne-Baden in Dresden – ein Selbstversuch
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08. Juli 2023, 14:48 Uhr
Nachdem Göttingen als erstes Bad in Deutschland ganz offiziell Frauen das Oben-ohne-Baden erlaubt, zogen einige Großstädte nach, so auch Dresden. Frauen sind nicht mehr angehalten, ihre Brüste zu verdecken. Wird das angenommen? Wie fühlt es sich an, barbusig durch die Dresdner Bäder zu ziehen? Die MDR-Redakteurinnen Madeleine Arndt und Katrin Tominski haben es ausprobiert.
- Dresden erlaubt jetzt Oben-ohne-Baden für alle in städtischen Bädern. MDR-Redakteurinnen testen die neue Regel im Selbstversuch.
- Bademeister zeigen sich unbeeindruckt und Badegäste sind positiv überrascht.
- Aktivistinnen gründen Initiative "Gleiche Brust für alle".
Wahrscheinlich bleiben wir ein Leben lang im Herzen Teenager. Schon bei der Besprechung einer möglichen Oben-ohne-Reportage kichert es in der Redaktionssitzung durch alle Altersgruppen, so als säße man noch einmal im Biounterricht der fünften Klasse. Auch in der crossmedialen Tagessitzung flammt sofort reges Interesse auf. Also gesagt getan, meine Kollegin Madeleine und ich erklären uns bereit, den Oben-ohne-Selbstversuch in verschiedenen Dresdner Freibädern zu wagen.
Am Montag durchfährt mich ein Schreck, gerade wollen wir ins Freibad aufbrechen. Mist, ich habe meinen Badeanzug vergessen. Ach, stimmt ja, den brauchen wir gar nicht. Erst langsam rieselt das Bewusstsein für die neue Halbnacktheit ein. Mit dem Fahrrad fahren Madeleine und ich in das Hebbelbad nach Dresden-Cotta. Das Thermometer zeigt 30 Grad im Schatten, die Sonne brennt und während wir mit trockener Kehle über die Flügelwegbrücke strampeln, kann ich mir nichts Besseres vorstellen, als nachher ins kalte Wasser zu springen. Nur zehn Minuten später erklärt uns die Frau am Einlass, wo wir die Bademeister finden.
Madeleine: Ich bin mit dem Schwimmsport in der DDR aufgewachsen. Vom Vorschulalter weiß ich noch, wie wir – Jungs wie Mädchen – im Becken der Schwimmhalle meiner Heimatstadt die ersten Schwimmzüge lernten. Und zwar nur mit Badekappe! Begründet wurde das Nacktschwimmen in der DDR als Bestandteil der Sexualerziehung, heißt es in einer Reportage aus den 1980er-Jahren. Ich glaube dagegen, dass es in der Planwirtschaft hin und wieder an Badebekleidung für Kindergruppen fehlte. Denn es dauerte nicht lange und wir hatten unsere Einheitsbadeanzüge aus Dederon in blau.
Seither bin ich un- oder halbbekleidet durch kein öffentliches Schwimmbecken mehr gekrault. Dementsprechend nervös fühle ich mich jetzt, als ich mit meiner Kollegin im Hebbelbad in Cotta stehe, um oben-ohne zu testen. Bevor ich kneife, entscheide ich mich für die Flucht nach vorn: Klamotten runter, Bikinischlüpfer an und auf zum Bademeister fürs erste Interview.
Katrin: Ja, die Bademeister. Darüber hatten wir ja noch gar nicht gesprochen. Führen wir das Gespräch mit ihnen auch oben-ohne oder bedecken wir uns für die Interview-Situation? Es bleibt keine Zeit, über die Antwort zu sinnieren. Kaum sind wir auf der Liegewiese, legt Madeleine ihre Tasche ab, zieht blank und steuert die Bademeister an. Diese Frage ist also beantwortet.
Erhobenen Hauptes (jetzt ja keine Unsicherheit anmerken lassen) laufen wir über die Wiese zum Beckenrand, biegen kurz links ein und steuern direkt zwei Bademeister an. Blicke treffen uns – vom Kiosk, vom Wasser, vom Beckenrand. Gefühlt steuern wir durch einen ganzen Korridor verhohlener Blicke. Gerade bin ich ganz froh, dass ich hier nicht allein bin.
Nackte Brüste - noch niemals Beschwerden
Die Bademeister stehen unter dem Sonnenschirm, den Blick auf das Wasser gerichtet und begrüßen uns lässig. Kein Zeichen der Verwunderung. "Sie sind nicht die ersten Frauen oben-ohne", erklärt Bademeister Robert. "Wir haben das schon immer und es war nie ein Thema, ich hatte niemals Beschwerden. Wer sich obenrum ausziehen will, zieht sich aus." Meistens würden die Frauen einzeln für sich auf der Wiese in der Sonne liegen. Beschwerden wie in Berlin habe es noch nie gegeben, weder von der einen noch von der anderen Seite.
Ich hatte niemals Beschwerden. Wer sich obenrum ausziehen will, zieht sich aus.
FKK-Kultur in Dresden
Madeleine: Auch in anderen Dresdner Freibädern wird das Oben-ohne-Sonnen toleriert. Es wolle ja keiner Bikinistreifen haben, versetzt sich Schwimmmeister Robert in die Bikiniträgerfraktion hinein. Da gehe ich mit. In und um Dresden kann ich jede Menge Plätze zum FKK-Baden aufzählen, angefangen mit dem Freibad in Dölzschen und dem FKK-Bad Wostra.
Mal liegen die Nackigen weit entfernt von den Textilen, mal grenzen Schilder auf einer unsichtbaren Linie den Bereich ab und man kann sich direkt auf dem "Grenzstreifen" eine Decke teilen. An Seen und Teichen trifft man sowieso auf ein Sammelsurium textilbedeckter und nackter Haut.
Nackt an der Kiesgrube
Katrin: Bademeister Marco fügt hinzu: “Nackte Brüste sind wirklich das geringste Problem, was wir in den Dresdner Freibädern haben.” Seit 35 Jahren verfolgt er das Leben im Sommer vom Beckenrand. Was ist heute anders als vor 30 Jahren? "Die Heranwachsenden waren nicht so sexualisiert wie heute", erklärt er. "Wir haben alle nackt an der Kiesgrube gelegen, da war gar nichts dabei." Grundsätzlich solle jeder baden können, wie er sich wohlfühle. "Von oben-ohne bis Burkini – alles ist möglich."
Frauen bestärken uns
Das findet eine 69-jährige Dresdnerin gut. Als wir nach dem Gespräch ins Becken springen, winkt sie zu uns herüber. "Oben-ohne – das finde ich prima, würde ich auch sofort machen, wenn ich zehn Jahre jünger wäre", meint sie lachend. Madeleine ist erfreut und enttäuscht zugleich. "Nackte Brüste sind doch nicht ans Alter gebunden", antwortet sie. "Ja", meint die Dresdnerin, aber für sie persönlich komme (Halb)Nacktheit im geschützten FKK-Umfeld eher in Frage. "Bei der Jugend", erzählt sie weiter, "werden die Badesachen immer länger. Selbst das Umziehen werde zum Problem, alles scheint verkrampfter. Ich hoffe, diese Befangenheit setzt sich nicht durch", erklärt sie.
Diese Meinung teilt ein Rentner auf einer Bank am Beckenrand. Nacktheit sei in seiner Generation kein Problem. "Wir sind gewöhnt, FKK zu baden. Daher kann ich die neue Regel der Dresdner Bäder nur begrüßen", sagt er. Eine andere Frau strahlt uns aus dem Wasser an, schwimmt an den Beckenrand und fragt nach: "Ich wusste nicht, dass man oben-ohne baden kann. Ich finde das toll. Warum sollen sich die Frauen verhüllen?" Mit so viel positiver Resonanz haben wir nicht gerechnet. Wahrscheinlich waren uns die Berlin-Ereignisse zu präsent.
Initiative "Gleiche Brust für alle"
Madeleine: Denn faktisch haben Frauen wegen derselben Freizügigkeit schon einen Platzverweis bekommen. So sollte in Berlin eine barbusige Frau 2021 einen Wasserspielplatz verlassen, ein Jahr später durfte eine Frau nur mit Badehose bekleidet nicht in einem Berliner Hallenbad schwimmen.
Unter dem Motto "Gleiche Brust für alle" gründeten sich daraufhin deutschlandweit Gruppen - auch in Sachsen. Einer ihrer Grundsätze: Ein nackter Oberkörper erregt kein öffentliches Ärgernis und stellt keine Belästigung der Allgemeinheit dar.
Halbnackt im Textilbereich
Katrin: Aya ist zweifache Mutter, lebt in der Sächsischen Schweiz und engagiert sich als Aktivistin von "Gleiche Brust für alle" in Dresden. Für uns ist sie extra ins Georg-Arnhold-Bad gekommen, wohin wir jetzt auch gewechselt sind. Wir können ja nicht nur ein Freibad besuchen. Jetzt stehen wir am Beckenrand, den heißen Beton unter den Füßen. Auch hier gibt es verhohlene Blicke, denn wir drei Frauen sind oben-ohne fast die einzigen. Halbnackt im Textilbereich - dieses sonderbare Gefühl bleibt.
Pflicht zur Verhüllung entstammt dem Religiösen
Aya holt aus: "Die Pflicht zur Verhüllung entstammt dem Religiösen und hat eigentlich immer etwas mit Unterdrückung zu tun. Es sind immer die weiblichen Personen, die unterdrückt worden sind oder unterdrückt werden", erklärt uns die 31-Jährige. Es dominiere eine sexualisierte Lesart der Dinge: "Männer müssen vor ihren eigenen Trieben geschützt werden, indem Frauen ihre Haare oder wie im alten Japan ihr Handgelenk zu bedecken haben, weil es sonst anstößig ist."
Die Pflicht zur Verhüllung entstammt dem Religiösen und hat eigentlich immer etwas mit Unterdrückung zu tun.
Frauen sind nicht für die Triebe der Männer verantwortlich
Aya fordert: "Davon müssen wir gesellschaftlich wegkommen, weil es ein Machtverhältnis ist. Weil es Männer in Schutz nimmt, dass sie ihre eigenen Triebe nicht zu regulieren haben und uns in die Pflicht nimmt, für die Triebe anderer verantwortlich zu sein. Das stammt aus dem vorigen Jahrhundert – oder besser aus vielen Jahrhunderten vor unserer Zeit."
Katrin: Ich verstehe, was sie sagen will. Auch ich bin groß geworden mit der Maßgabe: "Zieh' dich ordentlich an. Der Rock bitte nicht zu kurz! Das ziemt sich nicht." Auch ich bin groß geworden in einer Zeit, in der Jungs und Männer irgendwie mehr Dinge selbstverständlicher tun durften. Früher dachte ich immer, Emanzipation brauchen wir nicht, wir Frauen sind gleichberechtigt. Je älter ich werde, desto mehr stelle ich das in Frage.
Bäderbetrieb reagiert auf gesellschaftliche Veränderung
Madeleine: Im Zuge der Diskussion um nackte Brüste in Bädern schickten die Aktivistinnen "Gleiche Brust für alle" vor einem Jahr einen Brief an die Städtischen Bäder von Dresden. Allerdings blieb er unbeantwortet. Das änderte sich mit einer Beschwerde einer des Bades verwiesenen barbusigen Schwimmerin in Berlin. Als Folge wurde das Oben-ohne-Baden in Berliner Schwimmhallen und Sommerbädern geschlechterunabhängig zugelassen.
Wir haben uns entschieden, unsere Haus- und Badeordnung entsprechend zu ändern.
Es habe dazu mehrere Abstimmungen zwischen den Bädergesellschaften deutscher Großstädte gegeben, sagt Dresdens Bädersprecher Lars Kühl auf Anfrage von MDR SACHSEN. "Im Ergebnis haben auch wir uns dazu entschieden, unsere Haus- und Badeordnung entsprechend zu ändern und so auf die gesellschaftliche Entwicklung in Bezug auf die Sensibilität für die sogenannte Geschlechtergerechtigkeit und die damit verbundene Forderung nach Gleichbehandlung zu reagieren." Seit Mai dieses Jahres wird nun in Dresden explizit auf die Möglichkeit des Oben-ohne-Schwimmens hingewiesen.
Gleichberechtigung für alle
Für Aya ist die Gleichberechtigung der Geschlechter wichtig. Ungerechtigkeiten begännen schon im Kindergarten, wenn etwa gezielt für Jungs eine Lego-Ecke eingerichtet und es den Mädchen schwergemacht werde, dort zu spielen. Das habe sie als Mutter erlebt. Aber auch sie selbst will das tun, was Männern in keiner Weise abgesprochen wird. Unter anderem oberkörperfrei schwimmen.
Als sie im vergangenen Jahr im Freitaler Schwimmbad so auftrat, habe es keine Probleme mit dem Bademeister gegeben, erinnert sie sich. Allerdings musste sie sich mit den Sprüchen einiger Jugendlicher auseinandersetzen. Eine öffentlich gemachte Badeordnung wie hier in Dresden mache das Schwimmen ohne Oberteil für sie definitiv stressfreier.
Oben-ohne-Baden war nie verboten
Dabei sei und war Oben-ohne-Baden nie verboten, betont Aya. "Im Grundgesetz steht, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Am Grundgesetz kann auch eine Badeordnung nicht rütteln", meint sie. Allerdings seien Badeordnungen immer wieder geschlechterspezifisch ausgelegt worden, was wiederum dem Grundgesetz widersprochen habe.
"Jetzt erklären die Dresdner Bäder explizit, dass das Grundgesetz auch gilt, die primären Geschlechtsorgane zu bedecken sind und das Oben-ohne-Baden also möglich ist. Das ist prima und können wir nur begrüßen", sagt die Aktivistin.
Ganz sacht: Neue Realität stellt sich ein
Katrin: Aya wird von einer Freundin begleitet. Eben ist sie noch mit den Kindern im Becken gewesen, jetzt kommt sie zu uns. "Ich fand es schon immer grenzwertig, dass Männer oben-ohne gehen dürfen und wir Frauen nicht", erklärt die 20-jährige Helena. "Für mich ist die neue Regel definitiv ein Fortschritt. Sie erzeugt eine neue Realität auf eine sanfte Art, die nicht auf Kampf aus ist."
Die frühe Sexualisierung des weiblichen Körpers bereite so vielen Mädchen und jungen Frauen Probleme. Ständig verglichen sie sich bei Instagram und anderen Plattformen mit der sogenannten Norm. Ein natürlicher Umgang mit dem weiblichen Körper ermögliche eben auch zu zeigen, dass die Norm eben nur ein Ideal ist und alle Frauen total verschieden aussehen, erklärt Helena.
Blicke, aber kein Stress
Madeleine: Im Gegensatz zum beschaulichen Hebbelbad in Cotta herrscht im Arnhold-Bad im Zentrum von Dresden ordentlich Trubel. Tatsächlich stehe ich auch mal oben-ohne neben einem Mädchen im Burkini und wir bilden die äußersten Extreme gestatteter Badebekleidung in Dresdner Bädern ab. Katrin und ich machen auch hier den Test und schwimmen ein paar Runden. Es gibt Blicke, aber keinen Stress oder abfällige Bemerkungen. Im Strömungskanal sinkt mein Wohlfühlfaktor aufgrund der Enge jedoch rapide.
Barbusig auf der Metallliege
Vor dem Becken liegt Claudia barbusig auf einer roten Metallliege und liest. "Ich bin das erste Mal oben-ohne im Arnhold-Bad", sagt die 57-Jährige. "Sonst war ich immer in Cossebaude, da kann man ja FKK baden". Sie bade gerne frei und mache sich da nicht so'n Kopf drum. Es sei viel besser, als "mit dem nassen Ding hier zu sitzen und diese ganzen Verrenkungen, die man da so vollzieht, um das zu wechseln. Also ich fühle mich einfach frei." Ins Becken ist Claudia oben-ohne nicht gestiegen. "Aber wenn mehrere es tun würden, dann würde ich das auch machen."
Da gehe ich voll mit ihr mit. Als Außenseiterin mit freiem Oberkörper Bahnen durchs Becken zu ziehen, ist mir doch unangenehm. Aber sich zu sonnen, ist wiederum besser ohne Klamotte auf der Brust. Ich gehe an der Rutsche vorbei, wo gerade eine ältere Frau demonstrativ ein Handtuch vor die Mitte ihres Mannes hält. Der entledigt sich seiner nassen Badehose. Die verdeckte Aktion misslingt allerdings völlig, doch auch an nackten Männerhintern scheint sich niemand zu stören.
Von Teenagern und Selbstermächtigung
Katrin: Das Arnhold-Bad ist wirklich eine andere Nummer. Hier geht es zur Sache. Gefühlt hunderte Teenager-Jungsgruppen dominieren sich quer durch das Bad. Stimmt, so war das damals auch – und so ist es wohl immer noch. Irgendwie bin ich froh, dass wir hier mit Madeleine und den zwei Aktivistinnen zusammen barbusig auf dem Präsentierteller stehen; ich nicht alleine bin. Es fühlt sich trotzdem nach Selbstermächtigung an: Sich nicht mehr verhuscht bedecken müssen, sondern einfach mit freien Brüsten herumstehen, als wäre es die größte Selbstverständlichkeit der Welt. Hier bin ich und hier kann ich sein. Irgendwie ganz befreit.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Dresden | 01. Juli 2023 | 09:30 Uhr
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