Winterausfall Wie die Menschen im Harz mit dem schneelosen Winter leben

02. März 2020, 18:59 Uhr

Im Harz ist die Wintersaison 2019/2020 so gut wie ausgefallen. Ski-Langlauf war fast gar nicht möglich. Alpin-Ski nur an den wenigen Tagen, die kalt genug für die Beschneiungsanlagen an Wurmberg, Sonnen- und Bocksberg im Westharz waren. MDR SACHSEN-ANHALT hat Menschen getroffen, denen der Schnee ganz besonders fehlt.

Eine dünne weiße Schneedecke liegt über dem Feld. "Loipenanfang" steht auf einem gezimmerten Holzgerüst am Ortsausgang von Tanne. Bis gestern war hier noch alles braun. "Heute ist es der fünfte Winter in diesem Jahr. Und das wird auch nicht das letzte Mal sein", sagt Hartmut Bartel. Was der Wegewart vom Harzklubzweigverein Tanne meint: Fünfmal hat es in diesem Winter geschneit, ein paar Tage später war immer alles wieder weg. Bartel, der hier bei Schnee die über 40 Kilometer Loipen spurt, kam in dieser Saison noch nicht zum Einsatz.

Das ist ja nicht nur diesen Winter, der letzte Winter war genauso.

Hartmut Bartel, Wegewart beim Harzklub Tanne

Jeden Tag vor der Arbeit oder nach Feierabend würde der ehrenamtliche Wegewart, der von Beruf Ranger im Nationalpark ist, mit einem zum Schneemobil umgebauten Quad, an das ein Spurgerät gehängt wird, hier unterwegs sein. Stattdessen kontrolliert er nun etwas öfter die Wanderwege. Schaut, ob Brücken und Bänke repariert oder Wanderwegschilder ersetzt werden müssen.

Ohne Schnee fallen Traditionen aus

Privat schmerzt ihn am meisten, dass mit dem Ausbleiben des Schnees auch Traditionen ausfallen. Der Tanner Skifasching zum Beispiel fand 2018 zum letzten Mal statt. Auch Bartels Kostüm liegt seitdem ungenutzt zu Hause. Als was er sich verkleidet hätte, will er nicht verraten. Auch das ist Tradition.  

Da sind auch viele Leute aus dem Ort, die sich da Kostüme einfallen lassen haben. Aber wer weiß, was nächstes Jahr in der politischen Lage los ist.

Hartmut Bartel, Wegewart beim Harzklub Tanne

Den Gästen versucht der Harzklub im kleinen Ort Tanne auch ohne Schnee winterliche Erlebnisse anzubieten. Fackelwanderungen durch den Wald etwa. Mit Glühwein, Würstchen und Musik. Zu Weihnachten, Silvester und in den Winterferien sind die besonders beliebt. An einen Klimawandel mag Hartmut Bartel aber noch nicht so recht glauben.

Das sind Wetterkapriolen, sage ich. Die letzten zwei Jahre hatten wir einen heißen Sommer. Einen langen, trockenen Sommer. Dementsprechend sind die Winter ausgefallen.

Hartmut Bartel, Wegewart beim Harzklub Tanne

Zwar hofft Bartel, dass der Schnee in den kommenden Winterwochen noch einmal etwas länger liegen bleibt. Allerdings bekommt das Schneequad schon in ein paar Wochen seine "Sommerräder". Dann ist das Loipen-Ziehen sowieso nicht mehr möglich.

Ein Skiverleih ohne Kundschaft

Nur gut vier Kilometer von Tanne entfernt, in Benneckenstein, betreibt Rainer Just einen Skiverleih. Hier dreht sich fast alles um den Langlauf. Just ist Rentner, betreibt den Skiverleih nur noch aus Spaß und Verantwortungsgefühl. Er ist sich sicher: Wenn Schnee liegt, dann braucht ein Ort wie Benneckenstein seinen Service. Als Standortvorteil. Viele Stammkunden, vor allem aus Norddeutschland, verlassen sich auf ihn.

In diesem Winter hat er allerdings nur für zwei Tage Ski an eine Familie aus Dresden verliehen. Dann war der Schnee wieder weg. Durch seine Buchführung weiß Just immer ganz genau, wann es in den letzten Jahren in und um Benneckenstein genug Schnee zum Ski fahren gab.

Es wird ja immer so gesagt, wir hatten keinen Winter. Das stimmt ja meist nicht. Ein bisschen was ist immer gewesen. Aber dieses Jahr ist wirklich krass. So schlimm war's noch nicht.

Rainer Just, Skiverleiher

Rainer Just war Skispringer. Trainierte in Thüringen und Sachsen, zusammen mit Olympiasiegern und Weltmeistern. Heute ist er über 70 und gibt noch Grundlagenkurse im Skifahren. Und er ist Wanderführer.

Mein Spezialgebiet ist rund um den Brocken. Die harten Sachen. Natur bis zum geht nicht mehr und krasse Natur. Wo man durch Moor watet und auf Felsen klettert, da oben auf 900 bis 1.000 Meter. Rund um den Brocken. Das ist mein Highlight.

Rainer Just, Skiverleiher

Für ihn ist der Trend "Wandern" im Harz schon fast zu gut angekommen: "Das ist ein Massenbetrieb geworden. Der Harz ist das Highlight in Deutschland." Projekte wie die "Harzer Wandernadel" haben, so Rainer Just, dafür gesorgt, dass jedes Jahr mehr Menschen in die Berge strömen. Wer sich die "Wandernadel" verdienen will, muss sich an 222 sehenswerten Plätzen im Harz einen Stempel besorgen. Just hat selber noch nicht alle zusammen. Denn mehr als 30 Stempel im Jahr schafft er nicht.

Zwei Meter Schnee bis Ostern

Seine Liebe zum Harz spricht aus jedem seiner Sätze. Winter mit Schnee wird er hier künftig auf jeden Fall vermissen. Als Rainer Just Kind war, gab es im Harz kaum jemanden, der nicht Ski laufen konnte. In der Schule war es Pflichtfach.

Im November fing das hier an. Dann hatten wir bis zu zwei Meter Schnee und Ostern hatten wir immer noch Schnee. Da mussten wir die Eier bunt anmalen, damit wir sie im Schnee überhaupt finden. Das ist ein bisschen komisch jetzt. Der Mensch kann sich, glaube ich, schlecht dran gewöhnen, wenn man im Gebirge wohnt und keinen Schnee hat. Und das wird in Zukunft so bleiben.

Rainer Just, Skiverleiher

Darum wird es den Skiverleih und die Skischule von Rainer Just wohl noch eine Weile geben. Denn er möchte erst nach dem nächsten richtig guten Winter aufhören.

Ski fahren bleibt kein Volkssport

Schwierig ist so ein schneeloser Winter für die Wettkampfsportler. Die Skiroller, die vor allem für Training und Wettkämpfe im Sommer gedacht sind, kommen in diesem Jahr fast pausenlos zum Einsatz. Beim Skiverband Sachsen-Anhalt in Wernigerode sorgt das nicht unbedingt für Bauchschmerzen. Thomas Hedderich ist dort der Sportkoordinator und war in seiner aktiven Zeit auch viel auf Rollen unterwegs.

Bei uns in Sachsen-Anhalt sind viele Vereine gar nicht im Harz, in der Gebirgsregion angesiedelt. Das Beispiel Köthen ist da auch als erfolgreiches Modell zu nennen. Die sind jetzt über 90 Jahre im Biathlon tätig. Und haben zu Hause fast nie die Möglichkeit, auf Schnee zu trainieren.

Thomas Hedderich, Sportkoordinator beim Skiverband Sachsen-Anhalt

Rein technisch gibt es, so Hedderich, auf den Rollern auch kaum einen Unterschied. Allerdings fehlt einfach das Gefühl. Jeder Wintersportler freut sich das ganze Jahr lang auf eine helle, schön verschneite Landschaft. Deutschlandweit gibt es zurzeit, so die aktuellen Zahlen des deutschen Skiverbandes, etwa 11 Millionen aktive Wintersportler. Thomas Hedderich ist sich sicher, dass das nicht so bleiben wird. Künftig werde Skilaufen kein Volkssport mehr sein.

Skiveranstaltungen schneeunabhängig planen

Auch die Skispringer sehen aus der Luft lieber verschneite Bäume. Training auf Matten ist für sie aber genauso normal, wie die Skiroller für Läufer. Einige wichtige Springen, etwa im Zwölfmorgental in Wernigerode, finden bereits jetzt im Sommer statt.

Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir zunehmend schneeunabhängig auch unseren Sport durchführen können. Nicht nur im Trainingsalltag, sondern auch was Veranstaltungen betrifft.

Thomas Hedderich, Sportkoordinator beim Skiverband Sachsen-Anhalt

Geplant und organisiert werden die Wettkämpfe von den einzelnen Vereinen. Und für die heißt das in diesem Winter, vor allem Termine für Laufveranstaltungen zu verschieben. Denn auch Skiroller sind nicht immer eine Lösung. Michael Finzel, der Vorsitzende des WSV Benneckenstein, kennt das gut. Manchmal ist einfach zu wenig Schnee für Ski und zu viel für Roller.

Wir haben ja hier länderübergreifend die 'Tour de Harz' und die hat sich in den letzten Jahren so entwickelt, dass wir schon 50, wenn nicht 60 Prozent der Wettkämpfe auf Nichtschnee planen. Weil es einfach nicht anders geht.

Michael Finzel, Vorsitzender WSV Benneckenstein

Zum Training geht es dann mit dem Nachwuchs in die Turnhalle. Oder die Kinder müssen zum Crosslauf ins Gelände.

Besser Strecken für Skiroller?

Wenn Michael Finzel an den Wald rund um Benneckenstein denkt, hat er einen Traum: Einen wetterunabhängigen 1,5 Kilometer-Rundkurs für Skifahrer auf Rollen. Auch für Rad- oder Segwayfahrer wäre so ein Weg nutzbar. Eine Straße, die nur noch ausgebaut werden müsste, sei bereits da. Viel Hoffnung schwingt allerdings nicht mit, wenn Finzel von diesem Projekt schwärmt. Denn die Kosten von mindestens 10.000 Euro wären für einen Ort wie Benneckenstein vermutlich nicht zu stemmen.

Über die Autorin Katja Luniak arbeitet seit Januar 2019 für die Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT. Davor war und ist immer noch das Radio ihre Heimat. In Magdeburg, Halle, Berlin und Sidney hat sie so ungefähr alles mitgemacht, was das Medium Radio erlaubt. Jetzt arbeitet sie als Hörfunk- und Online-CvD, ist aber am liebsten mit Mikrofon und Fotoapparat im Land unterwegs. Auch privat. Dann aber eher mit dem Fahrrad, mit Wanderschuhen, auf Ski...

Quelle: MDR/kl

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 02. März 2020 | 10:30 Uhr

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