Tourismus im Klimawandel Wie wichtig der Wintertourismus für den Harz und Sachsen-Anhalt ist

02. März 2020, 17:47 Uhr

Zu warm und kaum Schnee: Der Winter in Sachsen-Anhalt ist zu weiten Teilen ausgefallen. Eine Folge: leere Ski-Pisten und geschlossene Lifte. Wie wichtig der Wintertourismus im Land ist, erklärt Datenjournalist Manuel Mohr und gibt Einblicke in seine Recherchen.

Die Brockenbahn bei untergehender Sonne im Winter.
Aus dem Archiv: Die Brockenbahn in schneeweißer Landschaft. In diesem Winter war das ein äußerst seltener Anblick. Bildrechte: Collage: Jörn Hoffmann/Manuel Mohr

Meine Recherche beginnt mit einer simplen Frage: Wie wichtig ist der Wintertourismus überhaupt für Sachsen-Anhalt? Denn schließlich fanden die vergangenen Tourismus-Höhepunkte wie das Lutherjahr oder das Bauhaus-Jubiläum vorwiegend im touristischen Sommerhalbjahr – also zwischen Mai und Oktober – statt. Und zumindest überregional ist Sachsen-Anhalt auch nicht unbedingt als das St. Moritz des Nordens bekannt.

Erste Anlaufstelle bei der Suche nach einer Antwort ist der Tourismusverband Sachsen-Anhalt. Auf meine Anfrage antwortet mir allerdings die Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt mbH (IMG). Grund: Die IMG ist unter anderem verantwortlich für die touristische Vermarktung Sachsen-Anhalts. Meine Frage, welche Rolle der Wintertourismus generell in Sachsen-Anhalt spielt, wird wie folgt beantwortet:

Wintertourismus ist ein regionales Thema im Harz und Harzvorland und kein Landesthema in Sachsen-Anhalt. Das Themeninteresse der Gäste in Sachsen-Anhalt konzentriert sich vor allem auf Städtereisen, Kultur, Natur, Parks und Gärten und auf das Thema Rad und Wandern.

IMG Sachsen-Anhalt

Meine Ausgangsfrage ist damit schnell beantwortet. Gleichzeitig ergibt sich aber eine nicht minder interessante Anschlussfrage:

Wie wichtig ist der Wintertourismus für den Harz?

Zunächst muss ich klären, was mit "Harz und Harzvorland" genau gemeint ist. Schnell werde ich beim Statistischen Landesamt fündig. Demnach wird Sachsen-Anhalt in fünf Reisegebiete unterteilt:

Die Landkreise Harz und Mansfeld-Südharz zusammen ergeben dabei das Reisegebiet Harz und Harzvorland. Aus bereits veröffentlichten Daten des Statistischen Landesamts erfahre ich zudem, dass jährlich mehr als ein Drittel aller Touristen in Sachsen-Anhalt den Harz bereisen und die Region damit die landesweit meistbesuchte ist.

Ich möchte nun allerdings genauer wissen, wie das Verhältnis von Sommer- und Wintertouristen in den Harzer Gemeinden ist. Dafür gibt es in der amtlichen Tourismus-Statistik – lerne ich – die Unterteilung in Sommer- (Mai bis Oktober) und Winterhalbjahr (November bis April des Folgejahres). Ich frage die entsprechenden Zahlen für die zurückliegenden Jahre beim Statistischen Landesamt an und muss aufgrund der Fülle an angeforderten Daten einige Tage auf eine Antwort warten.

Wintersport bringt zusätzliche Besucher

In der Zwischenzeit wende ich mich an den Harzer Tourismusverband, der mir auf umfassend auf meine Fragen antwortet. Ich erfahre, dass das Wanderwege- und Mountainbike-Routennetz sowie die vielfältigen Kultureinrichtungen, Freizeitangebote und Veranstaltungen das ganze Jahr über Gäste in die Region locken. Bei einem starken Sommerhalbjahr wäre ein schneearmer Winter zu verkraften – insgesamt habe sich der Harz seit Jahren erfolgreich zu einer "Ganzjahresdestination" entwickelt, der den Gästen auch bei ausbleibendem Schnee genügend Angebote bieten könne.

Dennoch – so erfahre ich weiter – würden alpine oder nordische Wintersportangebote bei entsprechender Schneelage von Januar bis März für ein zusätzliches Besucheraufkommen sorgen. Besonders die spontan anreisenden Wintersportler, die Tages- oder Wochenendausflüge kurzfristig und in Abhängigkeit vom Schnee planen, seien hiermit gemeint. Fazit:

Dieses Zusammenspiel von Winter- und Sommertourismus sorgt für eine seit Jahren ausgeglichene, stabile Tourismusbilanz im Harz.

Christin Wohlgemuth, Harzer Tourismusverband e.V.

Ein Blick in die Daten des Statistischen Landesamts, die in der Zwischenzeit eingetroffen sind, bestätigt diese Aussage:

Für mich dennoch überraschend: In den von mir ebenfalls beim Harzer Tourismusverband erfragten Wintertourismus-Hotspots Schierke, Oberharz am Brocken und Thale lagen die Übernachtungszahlen in den Sommerhalbjahren seit 2008 immer über denen im Winter. Ein weiterer Beleg dafür, dass der Harz bei Touristen tatsächlich ganzjährig gefragt ist – im Sommer sogar mehr als im Winter.

Wie sich der Tourismus in Ihrer Gemeinde – sofern dazu Daten vorliegen – entwickelt hat, können Sie folgender Grafik entnehmen. Suchen Sie einfach über die Aufklapp-Menüs (oben links) gezielt nach einer Gemeinde und wählen Sie zwischen Übernachtungen, Ankünften und der Tourismusintensität (Übernachtungen je 1.000 Einwohner) aus:

"Wintersport wird zur Sahne auf dem Kaffee"

Was ich ebenfalls vom Harzer Tourismusverband erfahre: Der Klimawandel ist bereits seit Jahren Bestandteil bei der Entwicklung von neuen Tourismuskonzepten. So beispielsweise im "Zukunftskonzept Harz 2025" oder beim Umbau des ehemaligen Natureisstadions in Schierke zur ganzjährig nutzbaren Veranstaltungsarena, die 2017 eröffnet wurde.

Was bleibt am Ende meiner Recherchen, sind folgende Erkenntnisse:

  • Wintertourismus ist für das Reisegebiet Harz und Harzvorland ein regionales Thema, aber kein Landesthema in Sachsen-Anhalt.
  • Dennoch übernachten auch in den Harzer Gemeinden im Sommerhalbjahr mehr Touristen als im Winterhalbjahr.
  • Ein Grund dafür: Der Harz verfolgt ein Tourismuskonzept, das auf das ganze Jahr angelegt und damit nicht ausschließlich auf schneereiche Winter angewiesen ist.
  • Wintertourismus ist folglich Teil eines Modells, aber nicht dessen Zugpferd.
  • Das Konzept geht auf: Die ganzjährigen Übernachtungszahlen im Harz steigen seit Jahren kontinuierlich an.

Über die Zukunft des alpinen Skisports im Harz gab es erst vor wenigen Wochen eine Diskussionsrunde des Harzklub – einem Verein, der sich seit 130 Jahren mit Wandern, Naturschutz und Heimatpflege im Harz beschäftigt. Eingeladen waren Vereinsmitglieder und die Bürger des Oberharzes, um über Für und Wider des Alpin-Ski im Harz zu diskutieren. Das Fazit von Harzklub-Präsident Oliver Junk fasst gut zusammen, wie die Rolle des Wintertourismus im Harz künftig aussehen kann:

Wir werden nicht mehr das Geld verdienen mit dem Wintersport, deshalb müssen wir uns hin zu einem Ganzjahrestourismus entwickeln. Das gelingt uns schon sehr gut. Überall steigen die touristischen Zahlen. In Zukunft wird der Wintersport immer öfter nur die Sahne auf dem Kaffee sein.

Oliver Junk, Harzklub-Präsident

Über den Autor Manuel Mohr arbeitet seit 2017 als Datenjournalist bei MDR SACHSEN-ANHALT. Sein Aufgabenschwerpunkt liegt in der Recherche und Analyse von Daten, aus denen Geschichten entstehen. Als gebürtiger Magdeburger liegen seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt vorwiegend in seiner Heimatstadt. Gegen eine Wanderung im Harz hat er aber auch nichts einzuwenden.

Quelle: MDR/mm

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 02. März 2020 | 19:00 Uhr

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