Abenteuerurlaub in Sachsen-Anhalt Statt der Eiger-Nordwand: Warum Klettern im Harz boomt

24. August 2020, 11:42 Uhr

Homeoffice, Distanzunterricht und nun auch noch Heimferien: Von den Temperaturen kann ja der Balkon mit dem Balkan mithalten, doch so mancher sucht im Urlaub ja die Abwechslung vom Alltag. Dass Sachsen-Anhalt ein Reiseland ist, hat sich herumgesprochen – doch ist es auch ein Erlebnisland, zum Beispiel für Anhänger von Trendsportarten wie Klettern? MDR SACHSEN-ANHALT hat es getestet.

Portrait-Bild von Uli Wittstock
Bildrechte: Uli Wittstock/Matthias Piekacz

Es gibt Dinge, die man als Ungeübter tunlichst vermeiden sollte. Auf einem Hochseil balancieren etwa, mit dem Mountainbike steile Pisten runter rasen oder an steilen Felswänden hochklettern. Aber man kann so etwas erlernen, mit Hilfe von Trainern. Wer sich nun kurzentschlossen für einen Kletterkurs im Harz entscheidet, der allerdings hat Pech. Wo immer man auch anruft, die Antwort ist die gleiche: Ausgebucht auf Wochen.

Tatsächlich ist die Nachfrage nach Klettertouren im Harz in diesem Jahr rapide angestiegen. Interessenten kommen vor allem aus westdeutschen Regionen. So mancher geplanter Kletterkurs in Südtirol oder Spanien wurde nun in den Harz umgebucht, als direkte Folge der Corona-Krise.

Klippen-Klettern bei Schierke

Das bestätigt auch Frank Höfner vom Deutschen Alpenverein (DAV) in Wernigerode. Derzeit sei die Nachfrage nach Kletterkursen im Harz sprunghaft angestiegen. Dabei war der Harz bislang unter Kletterfreunden eher ein Geheimtipp. Obwohl er selbst im Harz aufgewachsen ist, entdeckte Frank Höfner erst vor rund zehn Jahren die Möglichkeiten vor seiner Haustür. "Die Kletterfreunde vom DAV hier in Wernigerode haben mir nach und nach den Horizont eröffnet, welche Klettermöglichkeiten es im Harz gibt, quasi vor der Nase, direkt in der eigenen Heimat." Ein Beispiel dafür sind die Schnarcherklippen, eine Viertelstunde von Schierke entfernt, zwei Granitfelsen, die wie Eckzähne nach oben ragen.

Schon Johann Wolfgang von Goethe regte die romantische Szenerie zum Nachsinnen an. Im Faust 1 ist zu lesen: "Seh die Bäume hinter Bäumen, wie sie schnell vorüberrücken, und die Klippen, die sich bücken, und die langen Felsennasen, wie sie schnarchen, wie sie blasen!"

Viele Möglichkeiten für Einsteiger und Profis

Besonders hoch sind die beiden Felsen nicht, keine dreißig Meter. Doch dafür ragen sie steil empor, mit zahlreichen Schründen, Rissen, Überhängen und Furchen. Die größere der beiden Klippen kann man über eine Leiter begehen. Doch die 26-jährige Sofie Berger hat sich für den direkten Aufstieg entschieden. Durch ein Seil gesichert hält sie sich spinnenartig zwischen Himmel und Erde fest. Eine Viertelstunde braucht sie für den Aufstieg, dann seilt sie sich ab.

Anstrengend sei das schon, räumt sie ein und setzt dann hinzu: "Man hat hier sehr viele Klettermöglichkeiten, es gibt ganz unterschiedliche Touren. Auch das Gestein ist hier unterschiedlich, so dass man sich immer ein wenig umgewöhnen muss. Sowohl Einsteiger wie auch Fortgeschrittene finden hier wirklich viele Möglichkeiten."

Klettern kennt keine Altersgrenze

Die Werbeprospekte der Kletterregionen zeigen zumeist junge und drahtige Menschen, die scheinbar mühelos an Felsvorsprüngen hängen. Doch wer Klettersport als Hobby betreibt, der muss nicht täglich seinen Körper stählen.

Denn auch wenn eine gewisse Fitness nötig ist, wichtiger als die Muskelmasse ist die Klettertechnik, sagt Frank Höfner: "Der stärkste Muskel des Menschen ist eigentlich das Gehirn. Und wenn der Wille da ist, dann kann man auch mit ein paar Kilo zu viel auf den Rippen einen Einstieg in diesen Sport finden. Man muss es einfach mal probieren – allerdings nur mit Anleitung. Und dann kann mal austesten, was einem liegt und was nicht. Jeder kommt irgendwo hoch."

Auch soziale Komponente ist wichtig

Das kann Gerhild Jüttner bestätigen. Als Achtzigjährige ist sie das älteste aktive Mitglied im Wernigeröder Alpenverein. Vor zwanzig Jahren begann sie mit dem Klettersport, da war sie schon Rentnerin. "Ich beneide die jungen Leute, dass sie heute diese tollen Möglichkeiten hier im Harz haben. Ich habe das damals nicht gewusst. Als Kinder sind wir auf Bäume geklettert, Felsklettern kannten wir nicht."

Seit zwei Jahrzehnten ist Gerhild Jüttner aktive Kletterin im Harz. Klimmzüge mache sie nun nicht mehr räumt sie ein, das aber sei auch nicht nötig. "Im Laufe der Zeit sammelt man Erfahrung und kann dann mit Technik vorankommen, wo so mancher Kraftbolzen es nur mit Hau Ruck schafft." 

Neben der körperlichen hat das Klettern auch eine soziale Komponente. Anders als in Politik oder Wirtschaft, wo der Begriff "Seilschaft" ja eher schlecht beleumdet ist, ist beim Klettern der Zusammenhalt am Berg eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg. Wer also eine Auszeit beim Klettern nimmt, der nimmt auch eine Auszeit aus einer Ich-bezogenen Leistungsgesellschaft.

Chancen für die Region

Derzeit rätseln Experten noch, wie grundsätzlich sich das Reiseverhalten der Menschen ändern wird. Während die großen Touristikkonzerne ums wirtschaftliche Überleben kämpfen, merken die regionalen Anbieter eine vermehrte Nachfrage. Das gilt auch für die Veranstalter von Klettertouren im Harz, so Frank Höfner: "Je mehr Menschen in der Region bleiben, umso mehr nutzen sie auch die übrigen Angebote, von der Gastronomie über den Kletterausstatter, wo man sein Material kauft, bis hin zu den Kletterführern hier vor Ort. Insofern ist das jetzt eine Win-Win-Situation. Und bevor man hunderte Kilometer unterwegs ist, sollte man erstmal nutzen, was vor der eigenen Haustür liegt."

Als Wander- und Wintersportregion hat sich der Harz ja inzwischen gut positioniert, als Kletterregion ist er bislang nur ein Geheimtipp, das aber könnte sich ändern.

Portrait-Bild von Uli Wittstock
Bildrechte: Uli Wittstock/Matthias Piekacz

Über den Autor Geboren ist Uli Wittstock 1962 in Lutherstadt Wittenberg, aufgewachsen in Magdeburg. Nach dem Abitur hat er einen dreijährigen Ausflug ins Herz des Proletariats unternommen: Arbeit als Stahlschmelzer im VEB Schwermaschinenbaukombinat Ernst Thälmann. Anschließend studierte er evangelische Theologie. Nach der Wende hat er sich dem Journalismus zugewendet und ist seit 1992 beim MDR-Hörfunk. 2016 erschien sein Roman "Weißes Rauschen oder die sieben Tage von Bardorf" im Mitteldeutschen Verlag Halle

Quelle: MDR/olei

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