Portrait eines Heimatforschers Wie Timmenrodes Ortschronist die Geschichte seiner Heimat festhält
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09. November 2022, 19:02 Uhr
Zwei Tage war MDR SACHSEN-ANHALT in Timmenrode, um herauszufinden, was die Menschen in dem Harz-Dorf beschäftigt. Entstanden ist eine vierteilige Serie. Im letzten Teil geht es um den Heimatforscher Lothar Wiegmann. Akribisch dokumentiert der 68-Jährige die Geschichte seines Dorfes und digitalisiert dabei quasi nebenbei die Ortschronik.
- Lothar Wiegmann dokumentiert für die Nachwelt, was in Timmenrode passiert.
- Er ist einer von rund 650 Ortschronisten in Sachsen-Anhalt, für die es sogar eine offizielle Ausbildung gibt.
- In Zukunft will er die Chronik in einer Heimatstube öffentlich präsentieren, doch es fehlt an geeigneten Räumlichkeiten im Ort.
Wenn Lothar Wiegmann in die Vergangenheit seines Heimatortes Timmenrode reist, geht er über eine schmale Treppe auf den Dachboden seines Hauses. Neben staubigen Terrakottafiguren und Motorradhelmen lagern dort in Pappkartons und Regalen Dutzende Hefter und Aktenordner. Darin fein säuberlich abgeheftet: Augenzeugenberichte, Zeitungsausschnitte, Akten und Aufzeichnungen aus der mehr als 800 Jahre langen Geschichte Timmenrodes.
Warum MDR SACHSEN-ANHALT in Timmenrode war
Einmal im Jahr lädt der MDR bei der "Programmmachen-Aktion" interessierte Menschen ein, für einen Tag in einer Redaktion mitzuarbeiten. Im Rahmen dieser Aktion war der Timmenröder Ortschronist Lothar Wiegmann im September zu Gast in der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT. Dort berichtete er, was die Menschen in Timmenrode derzeit bewegt. Diesen Themen ist MDR SACHSEN-ANHALT vor Ort nachgegangen.
Was bei den Ortschaftsratssitzungen 1991 besprochen wurde, wie ein Schlachtefest in den 1950er-Jahren ablief oder welche Vereine bei der 800-Jahr-Feier des Ortes im Festumzug dabei waren – Lothar Wiegmann kann es jederzeit nachschlagen. Als einer von zwei Timmenröder Ortschronisten ist es seine Aufgabe, die Geschichte des Harz-Dorfes und die Geschichten, die sich im Laufe der Jahrhunderte dort ereignet haben, zu archivieren, für die Nachwelt zu erhalten und interessierten Menschen zugänglich zu machen.
"Alles, was heute passiert, ist morgen Geschichte", sagt Wiegmann und zeigt im Obergeschoss des Hauses, in dem er sein Arbeitszimmer hat, auf dem Laptop die noch unfertige Jahreschronik 2022, an der er gemeinsam mit seinem Chronistenkollegen Klaus-Peter Sewohl gerade arbeitet. "Am meisten Spaß", sagt Wiegmann, "macht es, all die Daten und Infos zu systematisieren und digital aufzubereiten."
Ortschronik als Website und Podcast
Er habe immer gerne mit Computertechnik gearbeitet, sagt der 68-Jährige. Deswegen hat er sich auf die Fahnen geschrieben, für die Timmenröder Ortschronik, die bislang vor allem aus staubigen Aktenordnern bestand, eine online abrufbare Version zu entwickeln.
Und so gibt es, seit Wiegmann die Timmenröder Geschichte dokumentiert, eine Website, auf der er mehrmals im Monat Beiträge über aktuelles und historisches Geschehen im Dorf veröffentlicht. "Die Leute hier im Dorf lesen den Blog, das freut mich natürlich", sagt Wiegmann, der schon am nächsten Digitalprojekt für Timmenrodes Ortschronik arbeitet. Bald soll es die auch zum Hören geben. Wiegmann will einen Podcast auf die Beine stellen. Eine erste Probefolge hat er bereits produziert.
Landesweit gibt es nach Angaben des Heimatforschernetzes Sachsen-Anhalt etwa 650 Ortschronistinnen und -chronisten. Wiegmann ist seit rund zwei Jahren einer von ihnen. Damals war der heute 68-Jährige gerade in Rente gegangen. Die letzte Zeit seines Berufslebens hatte er als Betreuer im Timmenröder Jugendklub verbracht. Bei seiner Abschiedsfeier habe ihn jemand aus dem Ortschaftsrat gefragt, ob er nicht Ortschronist werden wolle, erinnert er sich.
Wiegmann, der sein ganzes Leben in Timmenrode verbracht hat, gut im Dorf vernetzt ist und ohnehin auf der Suche nach einer sinnvollen Aufgabe für die Rentenzeit war, sagte ja. Dann begann er, die Kisten voller Material, die seine Vorgänger hinterlassen hatten, auf den heimischen Dachboden zu schleppen.
Zertifizierte Heimatforscher
Auch eine offizielle Ausbildung zum Ortschronisten absolvierten er und sein Chronistenkollege Klaus-Peter Sewohl. Drei Monate lang besuchten sie den "Grundlagenkurs für Ortschronik und Heimatforschung" des Landesheimatbundes und des Kulturministeriums, mussten sogar eine Abschlussprüfung schreiben. Erst vor ein paar Wochen bekamen sie in Halle ihre Abschlusszertifikate überreicht.
In Timmenrode sind Wiegmann und Sewohl derweil fast täglich in Sachen Heimatforschung unterwegs. Wann immer im Dorf ein Fest stattfindet oder ein Haushalt aufgelöst wird, ist mindestens einer von ihnen vor Ort, um nach alten Aufzeichnungen Ausschau zu halten oder die aktuellsten Entwicklungen im Dorf aufzuschnappen. Dazu kommen regelmäßig Gespräche mit älteren Einwohnerinnen und Einwohnern über ihre Erinnerungen. "Und natürlich gucken wir auch jeden Tag, ob Tageszeitungen oder der MDR etwas für uns relevantes berichten", sagt Lothar Wiegmann.
Wunsch nach Heimatstube
"Die schriftliche Chronik und alles, was an greifbaren Sachen da ist, soll eines Tages in einer Art Heimatstube öffentlich und für alle zugänglich sein", wünscht sich Lothar Wiegmann. Dass er die Unterlagen derzeit in seinem Privathaus lagert, ist nicht als Dauerlösung gedacht. Doch noch haben sich in Timmenrode keine geeigneten Räumlichkeiten für die Ortschronik gefunden.
"Eine Heimatstube", hofft Wiegmann, "könnte sich auch positiv auf den Tourismus im Ort auswirken." Schon jetzt hat sich seine Arbeit über die Dorfgrenzen hinaus herumgesprochen. Regelmäßig trudeln Anfragen ein, manchmal sogar aus dem Ausland. Einmal konnten er und Sewohl etwa einem Schweizer helfen, die Spuren seiner Ahnen in Timmenrode zu finden. Und auch ein Hobby-Wappenforscher, der sich für die Entstehung des Timmenröder Wappens interessierte, fand die gesuchten Informationen – in den Aktenordnern auf Wiegmanns Dachboden.
Unten finden Sie alle Beiträge aus der Timmenrode-Reihe von MDR SACHSEN-ANHALT.
Über den Autor
Lucas Riemer arbeitet seit Juni 2021 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Der gebürtige Wittenberger hat Medien- und Kommunikationswissenschaft in Ilmenau sowie Journalismus in Mainz studiert und anschließend mehrere Jahre als Redakteur in Hamburg gearbeitet, unter anderem für das Magazin GEOlino.
Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er vor allem über gesellschaftliche und politische Themen aus den Regionen des Landes.
MDR (Lucas Riemer)
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