Thomas Barnebeck und Ina Piller
Die von der Gewalt der Jugendlichen Betroffenen sind schockiert und fassungslos. Bildrechte: MDR/Kevin Poweska

Grausame Jugendgewalt Opfer in Harzgerode sprechen: "Man ist fassungslos – einfach nur fassungslos"

von Kevin Poweska, MDR SACHSEN-ANHALT

08. November 2023, 15:24 Uhr

14 Straftaten in drei Nächten werden drei Jugendlichen eines Heims in Harzgerode zugeordnet. Unter anderem wurde ein Pony gequält und ein Mann durch die Stadt gejagt und mit Steinen beworfen. Eine Reportage.

Es war der scheußliche Höhepunkt, als die Jugendlichen bei Ina Piller in den Stall eingebrochen sein sollen. Drinnen haben sie wohl mit einer Axt das einjährige Pony "Foxy" bei lebendigem Leib gequält. "Man ist fassungslos – einfach nur fassungslos", erklärt Piller voller Tränen in den Augen und mit trauriger Stimme. "Wir finden da keine Worte dafür – die ganze Familie nicht". Und so wie ihr geht es der ganzen Stadt. Der Fall ist das Gesprächsthema in Harzgerode. Ina Piller wird die Momente, als sie in den Stall gekommen ist, wohl nie wieder vergessen.

Trigger-Warnung: Im nächsten Absatz folgen Schilderungen von Gewalttaten an einem Tier.

Ina Piller
Die Box von "Foxy" ist leer – das Pony von Ina Piller wurde eingeschläfert. Bildrechte: MDR/Kevin Poweska

"Ich habe den Polizeinotruf gewählt und hab dann gefleht, dass ich wenigstens den Strick abnehmen darf. Dann kam der Tierarzt her und war schockiert. Erst bei der Untersuchung haben wir gemerkt, dass Foxy schwere Beinverletzungen hatte. Ihr wurden die Sehnen wahrscheinlich durchgehackt. Und damit stand der Entschluss fest: Wir können sie nicht retten und ich wollte einfach nur, dass sie schnell erlöst wird", beschreibt Ina Piller, während sie vor der leeren Box von "Foxy" steht. Sie holt eine normale große Axt hervor. "Das ist das, wo ein Jugendlicher ausholt und auf ein wehrloses Tier einschlägt", erzählt sie fassungslos.

Hinterher hätte der Täter ein Video gedreht, dieses verschickt und sich damit gebrüstet, berichtet sie. Und das war nicht der einzige Fall, der drei Jugendlichen in Harzgerode zugeordnet wird.

Ort im Harz durchzieht eine Spur der Verwüstung

Insgesamt sind es 14 Straftaten, die in drei Nächten passiert sind, für die die Jugendlichen verantwortlich sein sollen. Es zog sich eine Spur der Verwüstung durch das Stadtbild von Harzgerode. Verkehrsschilder wurden aus der Erde gerissen, Autos wurden demoliert, Fensterscheiben zerstört, auch ein Friedhof wurde verwüstet. Tage danach liegen immer noch Schilder auf dem Boden und ein großes steinernes Kreuz liegt noch quer auf dem Friedhofs-Gelände.

Zerstörte Fensterscheiben
Durch das Stadtbild von Harzgerode zog sich eine Spur der Verwüstung. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Auch ein Mensch wird mit Steinen attackiert und flieht

Und damit nicht genug: Mit Thomas Barnebeck kam auch ein Mensch zu Schaden. Er wollte vom Vereinsheim nach Hause gehen, als er nach eigener Aussage von zwei der Jugendlichen belästigt wurde. "Habe diese dann versucht abzuschütteln und bin dann dadurch, dass alles sehr dunkel beleuchtet ist, zur Bundesstraße 242 gelaufen", erklärt Thomas Barnebeck seinen Fluchtweg.

Thomas Barnebeck
Thomas Barnebeck wurde zum Opfer der Jugendlichen und mit Steinen beworfen. Bildrechte: MDR/Kevin Poweska

Die Jugendlichen seien dann immer nähergekommen. "Die Jugendlichen bespuckten mich und beschimpften mich", erzählt Barnebeck. Sie wichen ihm nicht von der Seite. Er rief die Polizei, beschrieb den Beamten was passiert, während sich eine Streife auf dem Weg befand. Dann hätten die Jugendlichen ihn mit Steinen beworfen. Er legte auf und versuchte die Steine abzuwehren. Das gelang ihm aber nicht bei allen. Ein "großer Stein", den er nicht mehr abwehren konnte, traf ihn dann im Rippen-Bereich am Rücken.

Verein des Heims gibt Lizenz zurück

Der Verein hinter dem Heim äußerte sich schriftlich zu den Vorkommnissen. "Wir sind erschüttert und entsetzt und haben deswegen auch sofort reagiert. Allerdings haben wir uns auch zuvor an alle Vorgaben unserer Betriebserlaubnis gehalten, die eine Fremd- oder Selbst-Gefährdung ausschließt", heißt es in einer Stellungnahme. An unserem Drehtag in Harzgerode kam plötzlich die Nachricht: Der Verein will seine Betriebserlaubnis zurückgeben. Das Landesverwaltungsamt teilte mit, dass es einen Austausch mit dem Verein gegeben hat und man die Verantwortlichen davon überzeugt hätte. Damit könne man einen langwierigen Prozess von Anhörungen und Verhandlungen umgehen.

Ein zweistöckiges Haus mit grauer Fassade
Das Wohnheim in Harzgerode: Nach Rücksprache mit dem Jugendamt sollen die auffälligen Jugendlichen in ihre Heimatorte außerhalb von Sachsen-Anhalt gebracht werden. Bildrechte: MDR

Erleichterung bei den Harzgerödern

Für Ina Piller ist das trotz der großen Trauer ein erster Erfolg. "Wenn das jetzt so ist, dass sie wirklich weggehen, dass wir das geschafft haben – dann können Sie sich vorstellen, dass das für mich sehr beruhigend ist, und dass unsere Foxy nicht umsonst gestorben ist", erklärt sie. Harzgerodes Bürgermeister Marcus Weise (CDU) sieht darin auch ein Ergebnis des Engagements der Bürger. Insgesamt 2.000 Unterschriften seien für die Schließung des Heims gesammelt worden und sollen noch übergeben werden.

Ob der Verein in der Stadt bleibt, ist derzeit unklar

Mit der Rückgabe der Betriebserlaubnis darf der Verein keine Jugendlichen mehr betreuen. Doch dem Verein gehören in Harzgerode einige Gebäude. Ob der Verein die Stadt verlassen werde, gab es dazu auf Anfrage keinen Kommentar. "Weitere Schritte werden folgen", hieß es dazu nur in einem schriftlichen Statement. Damit hält sich der Verein verschiedene Möglichkeiten offen, auch weiterhin in Harzgerode tätig zu sein.

Bürgermeister von Harzgerode übt Kritik am Land

Marcus Weise
Harzgerodes Bürgermeister Marcus Weise (CDU) Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Bürgermeister Weise erklärte, dass sich die Stadt schon im letzten Jahr an das Sozialministerium und das Landesjugendamt gewandt hatte. "Auch da gab es schon Brandstiftungen, Vandalismus – wirklich auch erhebliche Verfehlungen", meint Weise. Die Behörden hätten dann mitgeteilt, dass das Konzept geändert werden soll und solche Jugendliche nicht mehr aufgenommen werden. Das sei scheinbar nicht umgesetzt worden. "Und das ist mein Vorwurf: Es war bekannt, was hier passiert, und es ist leider viel zu wenig getan worden", so der Bürgermeister.

Vom Landkreis Harz heißt es in einer aktuellen Stellungnahme, dass man bereits im Vorfeld der Genehmigung Bedenken gegenüber dem Landesverwaltungsamt geäußert hat, das die Genehmigung am Ende ausgestellt hat. Man hatte Zweifel an der Kompetenz, und dass die Gebäude des Vereins zu weit auseinanderliegen. Bürgermeister Weise erklärte daraufhin, dass man die Rolle des Landes noch mehr hinterfragen muss.

MDR (Kevin Poweska, Mario Köhne)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 08. November 2023 | 19:00 Uhr

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