Gedenken Vor 80 Jahren Bombenangriff auf Halberstadt – Augenzeuge erinnert sich
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09. April 2025, 15:42 Uhr
Halberstadt galt wegen seiner vielen Fachwerkhäuser bis 1945 als Rothenburg des Nordens. Doch am 8. April 1945 flogen amerikanische Bomber-Staffeln einen Angriff auf die Stadt. Mehr als 80 Prozent der Altstadt wurden zerstört. Die Stadt verlor ihre Identität. Die Narben des Flächen-Bombardements sind noch immer sichtbar. Das Gedenken an diesen Tag ist deshalb besonders intensiv – bis heute. Ein damals sechsjähriger Augenzeuge erinnert sich.
Der 8. April 1945 ist ein Sonntag. Es ist fast wolkenlos, ein schöner Apriltag. Der sechsjährige Rolf Lüdecke wohnt mit seiner Familie in einer Mietwohnung gleich neben dem Halberstädter Dom. Er spielt mit seinem Bruder, als 11:10 Uhr die Sirenen heulen: Luftalarm. Nichts ungewöhnliches sei das gewesen, Luftalarm habe es öfter gegeben, sagt der heute 86-Jährige. Damals nimmt der Sechsjährige sein vorbereitetes Köfferchen und rennt zum Keller unter dem Dom. Der sogenannte Remter-Keller ist der seiner Familie zugewiesene Schutzraum. Wenig später folgt die Mutter mit seinem Bruder. Die Familie nimmt im Eingangsbereich Platz.
Erinnerungs-Ort im Halberstädter Dom
Augenzeugen berichten von altem Kirchengestühl, das als Sitzgelegenheit im Keller gestanden habe. Noch heute sind Aufschriften auf den Wänden zu erkennen wie "Rauchen verboten!", "Ruhe bewahren!" oder "Aufenthalt für 20 Personen". Der Remter-Keller ist heute einer der wenigen Orte, die noch ganz authentisch an jene Zeit erinnern.
11:30 Uhr beginnen am 8. April 1945, einen Monat vor der Kapitulation Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, alle Kirchenglocken zu läuten. Das Brummen der Flugzeuge ist da bereits zu hören. Kurz danach fallen die ersten Bomben. In den Dom-Keller dringt es zu grollen, Putz bröckelt, zwölf Stufen unter dem Dom. Wo im Mittelalter Vorräte lagerten, kauern sich nun Menschen eng aneinander.
Angriff auf Halberstadt dauert weniger als 30 Minuten
In sechs Staffeln werfen die Bomber der 8. US-Luftflotte 554 Tonnen Spreng- und Brandbomben auf die Stadt. Um 11:54 Uhr ist der Angriff beendet. Die Flugzeuge verschwinden. Halberstadt steht in Flammen. 1.850 bis 3.000 Menschen verlieren ihr Leben. Der Dom-Keller aber rettet das Leben von rund 200 Halberstädtern – auch das des sechsjährigen Rolf Lüdecke.
Der Eingang sei verschüttet gewesen, erinnert sich heute Rolf Lüdecke. Er zeigt auf ein Kellerfenster, vor dem noch heute der Schriftzug "Notausgang" zu lesen ist. Da seien sie raus, sagt der Mann.
Die Fachwerk-Stadt gleicht einem Ruinenfeld
Als er am 8. April 1945 mit Mutter und Bruder den Keller verlässt, steht Halberstadt in Flammen. Eine der schönsten deutschen Fachwerk-Städte ist nur noch ein Ruinenfeld. Durch den vielen Rauch habe er das Gefühl gehabt, als ob die Sonne zum Anfassen gewesen wäre, sagt der heute 86-Jährige. Die drei klettern damals über Schutt und Balken, umgeben von brennenden Häusern, rennen Richtung Stadtrand. Unterwegs treffen sie den Vater, der in der Stadt Dienst tut und nun dafür sorgt, dass sie auf einem Lkw Platz finden. Am Pfeifenkrug, einer kleinen Siedlung Richtung Harz, kommen sie am Abend bei Verwandten unter.
Schriftzüge noch 80 Jahre später lesbar
80 Jahre später steht nun Rolf Lüdecke in dem Keller unterm Dom und staunt, dass die Schriftzüge von damals noch immer zu lesen sind, dass sich kaum etwas verändert hat in den Räumen.
Wenig später treffen sich an der Ruine der Franzosenkirche in Halberstadt mehrere Hundert Menschen, um an den Bombenangriff vor 80 Jahren zu erinnern. Jedes Jahr kommen dort am 8. April die Bürger zum Gedenken zusammen. Die Ruine der Kirche ist ein Mahnmal. 1945 starben in ihr 70 Menschen, die in der Kirche Schutz gesucht hatten.
Oberbürgermeister und Stadtratspräsident legen einen Kranz nieder und gedenken still, ebenso Vertreter von Parteien und Institutionen. Eine Gedenkrede hält auch der Pole Marcin Stankiewicz, Sohn eines Überlebenden des früheren, nahe Halberstadt gelegenen Konzentrationslagers Langenstein-Zwieberge. In dem Außenlager des KZ Buchenwald waren von April 1944 bis April 1945 mehr als 7.000 KZ-Häftlinge aus 23 Ländern inhaftiert, von denen etwa 2.000 starben. Weitere 2.500 Häftlinge starben auf dem Todes-Marsch.
Auch daran wird erinnert während der Veranstaltung vor der Kirchen-Ruine, zu der viele Bürger gekommen sind. Vielen Halberstädtern scheint es wichtig zu sein, alljährlich am Gedenk-Ort zu erscheinen. Der Bombenangriff habe sich tief ins kollektive Gedächtnis der Bürger eingebrannt, sagt Halberstadts Stadtratspräsident Volker Bürger. Dass so viele gekommen seien, empfinde er als gutes Zeichen, als ein Zeichen der Auseinandersetzung mit den Dingen von damals mit dem Ziel, dass so etwas nie wieder vorkommen dürfe.
MDR (Carsten Reuß, Susanne Ahrens) | Erstmals veröffentlicht am 08.04.2025
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 08. April 2025 | 19:00 Uhr
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