Ein Mann guckt aus einem Feuerwehrauto
Lars Meißner hofft auf Nachwuchs für die Freiwillige Feuerwehr. Bildrechte: MDR/Leonard Schubert

Engagement und Gesellschaft "Das Ehrenamt stirbt aus" – Nachwuchssorgen bei der Freiwilligen Feuerwehr

08. Juni 2021, 14:54 Uhr

Im Notfall sind sie für alle da, retten Leben, räumen Straßen, löschen Brände: Deutschland braucht seine Freiwilligen Feuerwehren. Doch das Ehrenamt kämpft, wie viele andere, um Nachwuchs – und droht zu verlieren. Das liege zum einen an der Feuerwehr selbst, zum anderen aber an Veränderungen in der Gesellschaft und an Corona, erzählt Jugendwart Lars Meißner. Ein Besuch bei denen, die freiwillig anderen helfen.

In der Feuerwache in Elend herrscht gähnende Leere. Hier im Oberharz, wo sonst täglich Übungen und Besprechungen stattfinden oder Ausrüstung repariert wird, hängen gerade nur ein paar verlassene Jacken und Helme an Haken. Im Materialraum stapeln sich Schläuche und Feuerlöscher, in einer Ecke steht ein Holzbock mit Übungsknoten. Trainiert hat damit schon lang niemand mehr.

Wehmütig schaut Lars Meißner durch den leeren Raum. Er ist schon sein Leben lang bei der Freiwilligen Feuerwehr, trägt das "Feuerwehrvirus" in sich, wie er sagt. Seit ein paar Jahren ist er auch Verbandsjugendwart und für die Nachwuchsarbeit zuständig. Aber Corona hat alle Präsenzübungen vorerst gestoppt. Meißner erzählt, die ersten Jugendlichen hätten schon geschwärmt, wie viel Freizeit sie jetzt haben.

Für Meißner und die Freiwillige Feuerwehr sind die ausbleibenden Übungen ein echtes Problem. Er befürchtet, dass viele Kinder nach der langen Pause nicht mehr kommen werden. "Außerdem vergessen die sehr schnell. Wir müssen eigentlich immer üben und alles wiederholen, damit die Handgriffe sitzen", sagt er. "So kennen die meisten noch nicht einmal das neue Feuerwehrauto."

Die Freiwillige Feuerwehr schrumpft

Viele Freiwillige Feuerwehren kämpfen nicht erst seit Corona darum, ihre Jugendfeuerwehr bei der Stange zu halten. Die meisten schrumpfen und brauchen dringend Nachwuchs. Zwischen 2010 und 2020 hat Sachsen-Anhalt knapp 6.000 freiwillige Feuerwehrleute verloren. Statt 37.000 sind heute nur noch 31.000 Mitglieder aktiv. Dabei sind es fast immer sie, die bei Unfällen oder Bränden rausfahren und im Zweifelsfall Leben retten. 95 Prozent der Feuerwehrleute in Sachsen-Anhalt sind Ehrenamtler.

Feuerwehrleute sind häufig großen Belastungen ausgesetzt

Auf die Frage, wieso er selbst sich freiwillig dieser Anstrengung aussetzt, reagiert Meißner erstaunt. "Ich stelle mir die Frage nach dem "Warum" gar nicht. Ich mache das einfach, das steckt in mir drin", sagt er. Er liebt die Feuerwehr, die Gemeinschaft und den Zusammenhalt. Vor Allem aber ist Meißner ein Mann, für den es selbstverständlich ist, zu helfen. "Wer einmal Menschen wirklich geholfen hat, und sieht die Dankbarkeit, das kann einem keiner nehmen", sagt er. Seine Kameraden, die zum Interview dazugekommen sind, nicken.

Es scheitert an der Ausbildung

Um das Aussterben der Freiwilligen Feuerwehr zu verhindern, wurde in den letzten Jahren kräftig in Nachwuchsarbeit investiert. Mit Erfolg. Von 2010 bis 2020 stieg die Zahl der Kinder- und Jugendfeuerwehrleute in Sachsen-Anhalt um 5.000 an. Trotzdem macht Meißner sich erhebliche Sorgen. Denn der Nachwuchs tritt nach der Jugendfeuerwehr zu oft aus der Feuerwehr aus, anstatt in den aktiven Dienst zu wechseln. "Zwischen 16 und 18 Jahren verlieren wir die meisten Leute", erzählt er bedauernd.

Lars Meißner glaubt, dass dafür vor allem die Ausbildung zum Feuerwehrmann verantwortlich ist. Bislang muss jeder Jugendfeuerwehrmann eine zwei-jährige Ausbildung durchlaufen, bevor er seine Prüfung ablegen kann. 60 Ausbildungsstunden pro Jahr gehören dazu. Fehlen Stunden oder bestimmte Ausbildungs-einheiten, kann man die Prüfung nicht ablegen. "Da müssen wir flexibler werden und als Feuerwehr auf die Menschen zugehen", sagt er.

Die Politik ist gefordert

Wie viele seiner Kollegen glaubt Meißner, dass die Änderungen bei der Feuerwehr auch mit Änderungen in der Gesellschaft zusammenhängen. Er hat das Gefühl, die Menschen seien egoistischer geworden. Hilfe ohne Gegenleistung werde allmählich zur Seltenheit, Ehrenamt gelte als unattraktiver. Auch der Respekt habe abgenommen, die Feuerwehrleute würden immer öfter bei der Arbeit behindert oder beleidigt. Dabei seien die Feuerwehren gerade in kleinen Orten ein wichtiger Faktor für die Gemeinschaft.

Meine Kollegen haben vor einiger Zeit schon einmal bei einer Feuerwehr nachgehört. Das erwartet Fabian Vosmer aus Eutzsch von der Politik.

Ein weiteres Problem, das Meißner sieht, ist, dass auch bei den Feuerwehrinteressierten der Stress zugenommen habe. Viele Jugendliche müssten nach der Schule wegziehen, um eine Lehre zu machen oder einen Job zu finden. Das Arbeitsleben sei fordernder geworden. Für immer weniger Menschen sei ihr Wohnort noch der Lebensmittelpunkt. So summierten sich die Gründe für den mangelnden Nachwuchs.

Das Ehrenamt stirbt aus, das ist überall so.

Lars Meißner, Feuerwehr Elend

Lars Meißner bedauert das. Denn eigentlich sei bei der Feuerwehr jeder willkommen. Egal ob im aktiven Dienst, für Reparatur- oder Schreibtischaufgaben oder Kinderbetreuung am Wochenende, egal ob Männer oder Frauen: "Jeder wird gebraucht", sagt er.

Damit das klappt und das Ehrenamt attraktiver wird, fordert er auch von der Politik mehr Unterstützung. Er wünscht sich mehr Wahrnehmung und Anerkennung für die Arbeit und glaubt, dass praktische Anreize helfen würden, die Leute zu halten. "Ein halber Rentenpunkt mehr, bevorzugt werden beim Kitaplatz, vorzeitige Impfungen, sowas würde einen Unterschied machen", sagt er.

Hoffnung auf Nachwuchs

Im Gerätehaus in Elend sind mittlerweile doch noch vier Nachwuchskräfte eingetroffen. Ausnahmsweise, für das Interview. In voller Montur stehen sie neben dem Feuerwehrauto und warten auf Anweisungen. "Wisst ihr denn noch, wie man den Schlauch ausrollt", fragt Meißner. "Vergessen", murmelt der achtjährige Jason. Seine Kameradin Michelle zeigt ihm die Handgriffe. Kurz darauf stehen sie stolz auf dem Hof und spritzen Wasser aufs Blumenbeet.

Sie alle haben vor, noch als Erwachsene bei der Feuerwehr zu bleiben und warten nur darauf, dass das Training wieder losgeht. Zumindest für die Wache in Elend besteht also Hoffnung, was den Nachwuchs angeht. "Damit du auch mal irgendwann aufhören kannst", sagt ein Vater lachend, und klopft Meißner auf die Schulter.

MDR/Leonard Schubert

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 15. Juni 2021 | 11:05 Uhr

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