Mehr gerissene Tiere Umgang mit Wolf in Sachsen-Anhalt: Jagen oder Herdenschutz verbessern?
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13. Oktober 2023, 14:42 Uhr
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) hat am Donnerstag neue Regeln für den Umgang mit dem Wolf vorgestellt. Es sollen nun schneller Abschüsse genehmigt werden. In Sachsen-Anhalt gehen die Meinungen auseinander, wie es künftig weitergehen soll. So hoffen Jagdverband, Tierhalter und Bauernverbände auf einen erleichterten Abschuss von sogenannten "Problemwölfen". Die Schäfer der IG Herdenschutz setzen auf einen besseren Schutz von Weidetieren durch Elektrozäune und Herdenschutzhunde.
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- Die IG Herdenschutz setzt beim Umgang mit dem Wolf auf Elektrozäune und Herdenschutzhunde.
- In Sachsen-Anhalt werden regelmäßig Weidetiere gerissen. Deshalb fordert zum Beispiel der Landesjagdverband, den Abschuss der Wölfe zu erleichtern.
- Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) hat Vorschläge gemacht, um den Umgang mit dem Wolf künftig anders zu regeln.
Jeden Morgen fährt Jürgen Maurer zu seiner Schafherde in den Sohlener Bergen. Große Hunde kommen ihm schwanzwedelnd entgegen und fordern Streicheleinheiten ein. Dass in unmittelbarer Nachbarschaft ein Wolf lebt, beunruhigt den Schäfer aus dem Salzlandkreis nicht. Er weiß seine Herde optimal geschützt durch Elektrozäune und die Herdenschutzhunde. Die vertreiben Eindringlinge allein durch ihre imposante Größe und aggressives Bellen.
Jürgen Maurer ist Mitglied der Interessengemeinschaft "Herdenschutz plus Hund". Das ist ein Zusammenschluss von 54 Weidetierhaltern, die erfolgreich gegen den Wolf aufgerüstet haben. Dass ihr Konzept funktioniert, zeigt die Statistik: Obwohl alle Tierhalter in unmittelbarer Nachbarschaft zu Wölfen leben, gab es seit Gründung der IG 2018 bei ihnen keine Risse mehr.
Schäfer: "Ich würde keinen Wolf schießen"
Auch wenn die Wölfe sich nicht an Jürgen Maurers Herde wagen: Problemwölfe sollten seiner Meinung nach entnommen werden. "Aber wie soll das gehen?", fragt der Tierhalter, der auch Jäger ist. "Nach einem Übergriff nimmt das Wolfskompetenzzentrum die DNA. Dann setzt sich der Jäger hin, es kommt ein Wolf um die Ecke, aber der ist ja nicht beschriftet. Man schießt ihn und dann war es der Falsche. Dann ist der Jagdschein weg, weil man sich strafbar gemacht hat. Also, ich würde keinen Wolf schießen."
Risszahlen im Land auf hohem Niveau
Die Zahl der Risse von Weidetieren im Land ist hoch. Nach der Rückkehr der Wölfe Anfang der 2000er-Jahre verzeichnete Sachsen-Anhalt 2008 den ersten Wolfsübergriff mit einem getöteten Tier. 2020 wurden bei 72 Übergriffen 335 Tiere gerissen – der bisherige traurige Rekord. Bis einschließlich Juli dieses Jahres zählte das Wolfskompetenzzentrum, das die Statistik führt, 46 Übergriffe mit 163 getöteten Tieren. Aber die Dunkelziffer ist weit höher, viele Tierhalter melden die Übergriffe gar nicht mehr.
Schießen, schippen, schweigen
In einigen Kreisen gilt die Regel: schießen, schippen, schweigen. Auch in Sachsen-Anhalt wurden bereits einzelne geschossene Wölfe gefunden. Das dürfte allerdings nur die Spitze des Eisbergs sein. Dass eine Neuregelung zum Wolfsmanagement geplant ist, kann Carsten Scholz nur begrüßen. Der Präsident des Jagdverbands Sachsen-Anhalt hofft auf eine Erleichterung bei der Entnahme, sprich dem Abschuss von Problemwölfen oder -rudeln.
Es ist praktisch unmöglich, ein genetisch als Problemwolf festgestelltes Tier eindeutig zu identifizieren.
Der Abschuss müsse aber rechtlich sicher sein. Wenn ein Tier auffällig werde, Zäune überwinde, bleibe keine andere Option. Allerdings: "Es ist praktisch unmöglich", so Carsten Scholz, "ein genetisch als Problemwolf festgestelltes Tier eindeutig zu identifizieren". Trotzdem müsse man einzelne Tiere entnehmen, auch wenn es die falschen treffe. "Der Wolf muss wieder lernen, die Nähe des Menschen zu meiden."
Die Angst verloren
Durch Bilder und Tiere mit Sendern sei belegt, dass Wölfe sich Städten nähern und nachts durch Dörfer streifen. "Das hätte ich vor Jahren nicht für möglich gehalten. Heute muss ich feststellen: Dann gibt es eindeutig zu viele Wölfe", so Scholz. Ein Wolf, der in aller Gemütlichkeit durch menschliche Siedlungen trabe, sei nicht hinnehmbar. Die Statistik des Wolfskompetenzzentrums weise für Sachsen-Anhalt nur genetisch als Wolf nachgewiesene Tiere aus.
Das waren im letzten Monitoringbericht 183 ständig hier lebende und 32 weitere grenzübergreifend lebende, erwachsene Tiere. Die Dunkelziffer schätzt der Jäger höher ein. Etwa 300 Wölfe leben seiner Schätzung nach in Sachsen-Anhalt – so viele wie in ganz Schweden. Dort hält man den Bestand durch Bejagung auf etwa 300 bis 400 Tiere begrenzt. Allerdings ist Schweden 22 mal größer als Sachsen-Anhalt. Ausrotten wolle kaum ein Jäger den Wolf, versichert Carsten Scholz.
So viele Wölfe gibt es aktuell in Sachsen-Anhalt und Deutschland
Das Bundesamt für Naturschutz hat zuletzt bekannt gegeben, dass die Zahl der Wolfsrudel in Sachsen-Anhalt leicht gestiegen ist. Nach Recherchen von MDR SACHSEN-ANHALT wurden hierzulande im laufenden Jahr 25 Rudel registriert. Bundesweit seien es 184 gewesen, im Vorjahr noch 161 Rudel, davon 24 in Sachsen-Anhalt. Die Zahl der Wölfe bundesweit gab die Behörde aktuell mit 1.339 an.
Die meisten Wolfsgebiete konzentrieren sich demnach auf Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. In den anderen Bundesländern gab es deutlich weniger Tiere. Laut Bundesamt für Naturschutz wurden im aktuellen Monitoringjahr 159 Wölfe tot aufgefunden. Die meisten (125) seien bei Verkehrsunfällen ums Leben gekommen.
Tierhalter und Bauerverbände fordern Abschuss von Problemtieren
Tierhalter und Bauernverbände fordern den Abschuss von Problemwölfen. So wollen etwa die Freien Bauern, eine Interessenvertretung bäuerlicher Familienbetriebe, "Wölfe am Weidezaun konsequent abschießen". Unterstützung bekommen sie vom Präsidenten des Landesbauernverbands. "Für die Menschen im ländlichen Raum müssen wir den Wolf regulieren. Sie werden durch den Wolf beeinträchtigt", findet Olaf Feuerborn.
So gehe es auch den Tierhaltern, die ihre Herden schützen müssten. Wenn ein Wolf gelernt habe, Zäune zu überspringen, müsse man für Ruhe sorgen, indem man Problemwölfe und ganze Rudel entnehme. "Wir haben nichts gegen den Wolf", resümiert Olaf Feuerborn, "er soll hier leben, aber wir dürfen ihn nicht sehen. Nur dann gibt es Akzeptanz".
Bundesumweltministerin will Umgang mit Wölfen verändern
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) hat am Donnerstag neue Vorschläge vorgestellt, um den Umgang mit Wölfen neu zu regeln. Der Vorschlag sieht vor, dass 21 Tage lang auf einen Wolf geschossen werden darf, der sich im Umkreis von 1.000 Metern von der Rissstelle aufhält. "Anders als im bisherigen Verfahren muss hierfür nicht das Ergebnis einer DNA-Analyse abgewartet werden", heißt es in einer Mitteilung des Bundesumweltminsteriums. Die Ausnahmegenehmigung für den Abschuss könne von den Behörden erteilt werden, nachdem ein Wolf zumutbare Herdenschutzmaßnahmen überwunden und Weidetiere gerissen hat.
Kritik aus Sachsen-Anhalt zu den Plänen
Dem Landesjagdverband in Sachsen-Anhalt gehen die Pläne nicht weit genug. Er fordert eine festgelegte Obergrenze. Präsident Carsten Scholz sagte MDR SACHSEN-ANHALT, man müsse in einer Kulturlandschaft das Gleichgewicht zwischen Gewinnern und Verlierern bewahren. Derzeit sei der Wolf ein Gewinner.
Auch Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) kritisierte die Pläne von Bundesumweltministerin Steffi Lemke zum Abschuss von Wölfen. Diese seien nicht geeignet, die Probleme für die Weidetierhaltung zu lösen, sagte Schulze am Freitag. Schulze bezeichnete diese Pläne als unzureichend und oberflächlich. "Statt substanzieller rechtlicher Änderungen präsentiert Frau Lemke nur Scheinlösungen", sagte der Minister. Weidetierhalter würden weiterhin enttäuscht sein, da die Anforderungen an einen Abschuss zu hoch blieben. Eine zukunftsfähige Wolfspolitik erfordere proaktives Handeln, um durch effektiven Herdenschutz Risse von vornherein zu verhindern, forderte Schulze. Gehe es nach den Plänen Lemkes, werde erst gehandelt, wenn es etwas passiert ist. Das reiche aber absolut nicht mehr aus, so Schulze.
Einig sein mit den Vorschlägen der Bundesumweltministerin dürfte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Diese verlor ihr ungeschütztes Lieblingspony durch einen Wolfsriss. Auch der wolfspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion spricht sich für eine Regulierung aus: "Der Wolf ist ein Kulturfolger und vermehrt sich in einer Kulturlandschaft in astronomischer Geschwindigkeit", gibt Alexander Räuscher (CDU) zu bedenken. "Deshalb müssen wir den Bestand regulieren."
Landkreis Jerichower Land mit zwei Petitionen
Der Landkreis Jerichower Land hat in zwei Petitionen gefordert, den Abschuss von Wölfen zu erleichtern. Der Kreis beherbergt mit Altengrabow einen großen Truppenübungsplatz. Dort wurden vor 20 Jahren die ersten Wölfe festgestellt. Doch das Jagdgebiet eines Wolfs ist groß. Bis zu 100 Kilometer kann das Raubtier pro Nacht unterwegs sein – je nach Futterangebot. Wenn die Räuber lernen, dass Weidetiere leichte Beute sind, schlagen sie zu.
Im Landkreis explodierte die Zahl der Wolfsübergriffe, erste Tierhalter gaben bereits auf. "Wir sind überzeugt davon, dass man den Bestand der Wölfe – der signifikant gestiegen ist – regulieren muss", formulierte Landrat Steffen Burchhardt (SPD) 2020, als der Kreistag eine entsprechende Petition verabschiedete und ans Land übergab. Eine andere Option sieht auch Burchhardt nicht.
Wichtig ist, zwischen einer Entnahme in Einzelfällen und genereller Bejagung zu unterscheiden.
Moritz Klose vom WWF gibt zu bedenken: "Bei den meisten Wolfsrissen reichte der Herdenschutz nicht aus". Klose spricht sich in Einzelfällen für Erleichterungen beim Abschuss aus. Derzeit gebe es zu große bürokratische Hürden. "Wichtig ist aber, zwischen einer Entnahme und genereller Bejagung zu unterscheiden."
Zerstörte Rudelstruktur führt zu mehr Übergriffen
Anders sieht das Peter Schmiedtchen. Er ist zweiter Vorsitzender der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe und gegen den Abschuss der geschützten Tiere. Schmiedtchen verweist auf Frankreich, wo pro Jahr um die 100 Wölfe geschossen werden. "Das hat zu deutlich mehr Rissen pro Wolf als in Deutschland geführt", weiß der Wolfsschützer. "Es gibt erschreckende Szenen von Herden, die in Schluchten gejagt wurden", ergänzt er.
Werden Wölfe geschossen, werden wir auf alle Fälle dagegen klagen. Wir sind überzeugt, dass es den Tierhaltern nicht hilft.
Der Grund: Die Rudelstruktur wird durch die Abschüsse zerstört. Peter Schmiedtchen spricht eher von Familien. "Wir haben hier nicht die Strukturen wie in Kanada oder Alaska. Hier leben Elterntiere mit ein bis zwei Jährlingen und den Welpen. Wenn man da eingreift, können die Familien nicht mehr richtig jagen und gehen auf leichter zu erbeutendes Wild. Das sind dann Weidetiere." Einzig in konsequentem Herdenschutz sieht der Wolfsschützer eine Lösung. Die EU fördere die Behütung mit großem Budget – einzig aus Deutschland werde dieses Geld nicht abgefordert.
Weniger Welpen
Zu viele Wölfe sieht Peter Schmiedtchen nicht. Die Natur regele das. Das bestätigt auch das Wolfsmonitoring, das das Land jährlich veröffentlicht. Danach ist die Zahl der Welpen seit Beginn der Zählung zurückgegangen. Wurfgrößen von sieben bis acht Welpen pro Wolfsfamilie zählte das Monitoring noch 2011. Im vergangenen Jahr, so der Wolfsschützer, seien in vielen Revieren nur noch zwei bis drei Welpen pro Familie gezählt worden.
Swen Keller ist einer von den Tierhaltern, die den Herdenschutz perfektioniert haben und der als Ratgeber für Herdenschutz deutschlandweit und auch in Belgien und in der Schweiz gefragt ist. Er selbst hat seine Rinder und Schafe im Landschaftsschutzgebiet an der Mittelelbe und nach leidvoller Erfahrung mit dem Wolf aufgerüstet. "Wenn der Wolf sich der Herde nähert, muss er lernen, dass Schafe wehtun", erklärt Keller. "Wenn der Wolf den Zaun berührt, muss er eine elektrische Information bekommen."
Elektrische Information bedeutet: eine schmerzhafte Berührung mit dem Weidezaun. Dafür muss der ordentlich unter Strom stehen. Kellers Messgerät schlägt bis zur Grenze aus. "2.000 Volt – die zu DDR-Zeiten genügt haben, um die Schafe im Gatter zu halten – reichen als Schutz gegen den Wolf nicht aus." 10.000 bis 12.000 Volt halten Isegrim sicher auf Abstand, 4.000 sind vorgeschrieben. In einem funktionierenden Rudel wird diese Information an die Welpen weitergegeben. Fremde Wölfe werden nicht ins Revier gelassen.
Herdenschutz kostet Geld
Dieser Schutz kostet Geld und Arbeit. Gerade für Wanderschäfer ein harter Brocken. Wer alle paar Tage mit seinen Tieren ein neues Areal bezieht, muss jedes Mal einen Zaun aufbauen: einen wolfssicheren Zaun – einen Zaun, der ordentlich unter Strom steht, hoch genug ist und unter dem das Gras gemäht ist.
Dafür gibt es Wickeltechnik und Technik fürs Freimähen. Beides wird vom Land mit bis zu 60 Prozent gefördert. "Die Rechnung stimmt allerdings nur zum Teil", erklärt Swen Keller. Er selbst hält in der Akener Region Rinder und Schafe und gehört ebenfalls zur IG Herdenschutz. "Für die Förderung müssen wir ans Finanzamt Umsatzsteuer und Einkommenssteuer bezahlen".
"Herdenschutz ist alternativlos"
Die Förderung ist zudem eine Billigkeitsleistung, auf die es keinen Anspruch gibt. Sie wird nach Haushaltslage gezahlt oder auch nicht. Das gilt auch für die Förderung des Zaunbaus. Pro Kilometer gebautem Zaun können die Tierhalter 1.000 Euro erhalten. Das betrifft aber nur die Zäune, deren Anschaffung zuvor vom Land gefördert wurde. "Wer bescheiden war und seinen Zaun selbst bezahlt hat, guckt in die Röhre", beklagt Swen Keller. Ohne diese Förderung haben viele seiner Kolleginnen und Kollegen arge Probleme, für ihre Herden sicheren Schutz gewährleisten zu können.
Der Tierhalter fürchtet, dass die Herdenschutzförderung weiter zurückgefahren werden könnte, wenn der Abschuss von Wölfen erleichtert wird. Für ihn keine Lösung: "Herdenschutz ist alternativlos", so Keller. "Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder Herdenschutz oder Ausrotten." Dass die Bundesumweltministerin zwei Vor-Ort-Termine bei ihm abgesagt hat, wo sie sich über wirksamen Herdenschutz informieren wollte, bedauert er außerordentlich.
MDR (Annette Schneider-Solis, Annekathrin Queck, Moritz Arand), zuerst veröffentlicht am 11.10.2023
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 11. Oktober 2023 | 05:30 Uhr
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