Bundestagswahl 2025 Totgeglaubte leben länger: Janina Böttger und Bodo Ramelow im Wahlkampf für die Linke
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20. Februar 2025, 11:31 Uhr
Nach Jahren des Niedergangs erlebt die Linke kurz vor der Bundestagswahl plötzlich einen nicht mehr für möglich gehaltenen Aufwind. So kann auch die sachsen-anhaltische Spitzenkandidatin Janina Böttger mit neuer Leichtigkeit auf den Straßen im Land um Stimmen werben. MDR SACHSEN-ANHALT hat sie im Wahlkampf in Halle begleitet.
Die Linke im nächsten Bundestag? Noch vor einigen Monaten wirkte dieses Szenario in weiter Ferne – und von vorgezogenen Wahlen war dabei noch gar keine Rede. Im Oktober kamen die Genossinnen und Genossen in Halle zu ihrem Bundesparteitag zusammen. Sie wählten eine neue Parteispitze: Jan van Aken und Ines Schwerdtner. Ihr Ziel: Die Linke bis zur Bundestagswahl im September 2025 wieder sicher über die Fünf-Prozent-Hürde bringen.
Nach schweren Wahlniederlagen leckte man sich noch die Wunden. In Brandenburg war die Linke gerade aus dem Landtag geflogen. Auch in Sachsen scheiterte sie an der Fünf-Prozent-Hürde und rettete sich nur dank zweier Direktmandate ins Landesparlament. In Thüringen verlor man fast 18 Prozentpunkte im Vergleich zur Landtagswahl 2019. Bodo Ramelow, einziger linker Ministerpräsident in Deutschland, musste abtreten.
Keine drei Wochen nach dem Parteitag zerbrach die Ampelregierung. Die Bundestagswahl musste vorgezogen werden. Nun wird bereits am 23. Februar gewählt – und für die Linke blieb noch weniger Zeit, um wieder mehr Wählerinnen und Wähler zu überzeugen. Der ARD-Deutschlandtrend, eine von "infratest dimap" durchgeführte Befragung, sah die Linke zu diesem Zeitpunkt schon nur noch bei drei Prozent.
In der Linkspartei suchte man nach Alternativen, um es auch ohne fünf Prozent der Wählerstimmen wieder in den Bundestag zu schaffen. So entstand die "Mission Silberlocke". Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow wollen drei Direktmandate für die Linke erringen – auch darüber kann man es in Fraktionsstärke in den Bundestag schaffen. Eine der "Silberlocken" kommt etwa drei Monate später nach Halle.
Grundmandatsklausel
Bei der Grundmandatsklausel handelt es sich um eine Ausnahmeregelung zur Fünf-Prozent-Hürde. Scheitert eine Partei bei der Bundestagswahl an der genannten Hürde, holt jedoch in mindestens drei Wahlkreisen die meisten Erststimmen für ihren Kandidaten, zieht sie dennoch ins Parlament ein.
Mit der Wahlrechtsreform im Jahr 2023 wurde die Grundmandatsklausel eigentlich abgeschafft. Das Bundesverfassungsgericht hat 2024 jedoch entschieden, dass diese Ausnahmeregelung vorerst weiter bestehen bleibt.
Bereits bei der Wahl 2021 zog die Linke über drei gewonnene Direktmandate in den Bundestag ein. Andernfalls wäre sie mit 4,9 Prozent der Stimmen aus dem Bundestag ausgeschieden.
Ohne Pfeffi: Janina Böttger im Wahlkampf
Es ist kalt an diesem Mittwoch im Februar. In Halles Innenstadt hat die Linke einen kleinen Wahlkampfstand aufgebaut. Das machen sie hier aktuell jede Woche. Angesichts der eisigen Temperaturen bieten sie den vorbeilaufenden Bürgern neben Infomaterial auch gleich etwas Warmes zu trinken an. Das Heißgetränk wird zwar meist abgelehnt, eine Tüte mit Infomaterial nehmen viele aber trotzdem mit.
Ein Mann beklagt scherzhaft, dass gar kein "Pfeffi" mehr in der Tüte sei. Janina Böttger lacht. Auch sie erinnert sich an diese Zeiten – "Pfeffi", das waren die Pfefferminzbonbons, nicht der Likör, wie sie betont. Böttger ist seit vielen Jahren politisch aktiv. Seit 2008 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Landtagsfraktion der Linken. 2017 wurde sie erst stellvertretende, 2022 dann schließlich Co-Landesvorsitzende der Linken in Sachsen-Anhalt.
In all den Jahren hat Böttger bei vielen Wahlkämpfen der Linken geholfen. Doch in diesem Jahr ist etwas anders. Zum ersten Mal strebt sie selbst ein politisches Mandat an. Böttger will in den Bundestag. "Als Landesvorsitzende haben wir uns gemeinsam viel mit Bundesthemen beschäftigt und deswegen war das für mich der folgerichtige Schritt", erklärt sie.
Böttger ist Spitzenkandidatin der Linken in Sachsen-Anhalt. Außerdem tritt sie als Direktkandidatin im Wahlkreis 71 an – dieser umfasst Halle, Petersberg, Zörbig, Sandersdorf-Brehna, Landsberg und Kabelsketal. Für die Menschen hier will sie im Bundestag für eine Lohn- und Rentengerechtigkeit im Osten sowie für bezahlbares Leben und Wohnen streiten. Aber auch ihre eigenen Themen, das sind Wirtschafts- sowie Gewerkschaftspolitik, möchte sie gerne mit nach Berlin nehmen.
Zuspruch für die Linke aus der Bevölkerung
Fragt man die Menschen, die an diesem Tag durch die Fußgängerzone in Halle laufen, reichen die genannten Themen, die nach der Wahl angegangen werden müssen, von Wirtschaft und Arbeitsplätzen, über Familienpolitik bis hin zu Frieden in der Welt. Unter denen, die stehenbleiben, um sich mit den Linken zu unterhalten, ist auch Gottfried Koehn. Viele Jahre war er Vorsitzender der SPD-Fraktion im Stadtrat von Halle, zur Jahrtausendwende saß er für die Sozialdemokraten außerdem im Landtag.
Ich hoffe, dass die Linken in den Bundestag kommen, denn das wäre wirklich eine Verstärkung für die realistische linke Seite.
Er hofft, dass die Linken es wieder in den Bundestag schaffen. "Das wäre wirklich eine Verstärkung für die realistische linke Seite", sagt Koehn. Thematisch sind ihm für die nächsten Jahre die soziale Sicherheit und die Wirtschaft am wichtigsten. "Das muss laufen – ohne jede Schauspielerei und ohne oberlehrerhaftes Getue", fügt er an.
"Danke, dass Sie's machen", ruft ein Mann im Vorbeigehen, als Janina Böttger gerade vor der MDR-Kamera ein Interview gibt. Das bestätigt, was die Linken-Politikerin erzählt. Mit wenigen Ausnahmen erlebe man gerade, "dass die Leute sehr positiv auf uns zukommen und mit uns reden wollen."
"Silberlocke" Ramelow in Halle
Wer an diesem Tag an den Wahlkampfstand der Linken kommt, der wird auch gleich auf eine weitere Veranstaltung am Nachmittag hingewiesen. Bodo Ramelow, ehemaliger Ministerpräsident Thüringens und neuerdings eine der "Silberlocken", unterstützt Böttger im Wahlkampf. Im Multimediazentrum in Halle veranstalten sie unter dem Motto "Auf ein Wort" eine Fragestunde.
Als es um 16 Uhr schließlich losgeht, sind genau 120 Menschen im Saal im Multimediazentrum – mehr durften wegen des Lüftungskonzepts nicht in den Raum, wie Böttger sagt. "Es standen noch ungefähr 80 Menschen draußen, die wir dann leider wegschicken mussten." Damit trotzdem alle Interessierten zuhören können, wird die Veranstaltung live gestreamt.
Ramelow und Böttger plaudern die ersten Minuten über den Aufwind, den ihre Partei gerade erlebt. Es geht um die Kurzvideo-Plattform Tiktok, auf der die Linken inzwischen präsent und immer erfolgreicher sind. Es geht um die Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek, die es schafft, auch Jüngere für linke Politik zu begeistern. Und es geht darum, klare Kante gegen Faschisten zu zeigen – auch bei Abstimmungen im Bundestag.
Schnell wird deutlich: Janina Böttger spielt an diesem Nachmittag nur eine Nebenrolle. Sie moderiert und hört zu. Die Aufmerksamkeit gilt Ramelow, auch wenn Böttger immer wieder versucht, selbst Standpunkte einzuwerfen. Sie erklärt zum Beispiel, sie wolle den Paragraphen 218 im Strafgesetzbuch abschaffen, wonach Schwangerschaftsabbrüche strafbar sind.
Fragerunde bringt diverse Themen auf
Ramelow hat einen straffen Zeitplan. Spätestens um 18 Uhr muss er los, um es noch rechtzeitig ins MDR-Landesfunkhaus nach Magdeburg zu schaffen, wo am Abend die Wahlarena von "Fakt ist!" aufgezeichnet wird. Bodo Ramelow vertritt in der Sendung die Linke. Trotzdem bleibt im Multimediazentrum in Halle noch Zeit, um Fragen aus dem Publikum zu beantworten. Die Themen reichen von Bildung über politische Teilhabe und mentale Gesundheit bis hin zur Rolle der Bundeswehr.
Aus dem Publikum kommt außerdem die Frage, was die Linke vorhabe, "um den Völkermord in Gaza zu verhindern". Hier wird Ramelow deutlich. Es sei Mord, aber kein Völkermord. Man müsse über die Gewalttaten der Hamas ebenso reden. Sowohl die Hamas-Führung als auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gehörten vor Gericht gestellt. Ramelow nutzt die Gelegenheit aber auch, um aufs Wahlprogramm der Linken zu verweisen: Keine Waffenlieferungen in Kriegsgebiete.
Böttger zufrieden mit dem Tag
Während Ramelow am Ende noch für einige Selfies zur Verfügung steht, spricht Böttger im Interview von einem "sehr erfolgreichen Tag". Die Veranstaltung sei ein voller Erfolg gewesen. "Es ist ein bisschen traurig, dass wir nicht alle reinlassen konnten, dass der Raum nicht gereicht hat, aber das zeigt ja auch das Interesse zur Zeit an uns", resümiert Böttger.
Es ist ein bisschen traurig, dass wir nicht alle reinlassen konnten, aber das zeigt auch das Interesse zur Zeit an uns.
Dass der Fokus an diesem Tag vor allem auf Bodo Ramelow lag, stört sie nicht. Um sich selbst bekannter zu machen, veranstalte sie die Haustürgespräche und Infostände. Sie freue sich also, dass das Interesse an Ramelow so groß gewesen sei. "Wir müssen ja auch mit den Leuten punkten, die wir haben", sagt die sachsen-anhaltische Spitzenkandidatin.
Das scheint zu funktionieren. Der ARD-Deutschlandtrend sieht die Linke inzwischen bei sechs Prozent – und damit wieder im Bundestag. Mit neuer Parteispitze, "Silberlocken" und Rückenwind aus den Umfragen blickt Janina Böttger der Wahl am Sonntag daher positiv entgegen.
MDR (Engin Haupt) | Erstmals veröffentlicht am 18.02.2025
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 18. Februar 2025 | 19:00 Uhr
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