Kommunalwahl und Europawahl Ein Tag im Wahllokal Magdeburg: "Für die Stimmzettel kann ich ein Taxi rufen"
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10. Juni 2024, 11:58 Uhr
Die meisten Menschen in Magdeburg wählen im Wahllokal. Und das gleich doppelt: Zur Kommunalwahl und zur Europawahl. Ohne Wahlhelfer geht da nichts. Doch wie sieht eigentlich so ein Tag im Wahllokal aus? Wer sind die Wahlhelfer, die freiwillig ihren Sonntag opfern? Und wieso muss für die Stimmzettel vielleicht ein Taxi kommen? Eine Reportage über die kleinen Krisen und großen Freuden der Wahlhelfer.
- Die Schicht im Wahllokal beginnt für die ehrenamtlichen Wahlhelfer vor sieben Uhr. Bis zum Beginn der Wahl ist vieles vorzubereiten.
- Die Wahlhelfer sind motiviert, nach und nach wird der Andrang größer. Zwischenfälle gibt es nur vereinzelt.
- In den letzten Stunden sind noch alle energetisch dabei. Das schwerste kommt danach: das Auszählen.
Vorbereitung auf die Wahl
Magdeburg, 7 Uhr morgens, Hegelgymnasium, ein Betrieb wie zu Schulzeiten. Doch heute geht es nicht um Unterricht – es ist ja auch Sonntag. Sondern um die Europa- und Kommunalwahl, denn drei Klassenräume wurden zu Wahllokalen umgestaltet. Die Schilder hängen schon vor der Tür. MDR SACHSEN-ANHALT ist dabei, als die freiwilligen Wahlhelferinnen und Wahlhelfer sich ans Werk machen, um alles für die Wahl vorzubereiten.
Um 7 Uhr ist die Vorstellungsrunde schon im Gange. Christoph Ilgner, der Wahlvorsteher für heute, begrüßt alle sieben Wahlhelfer. Am Whiteboard hängen Wahlscheinmuster, drei Wahlkabinen sind aufgebaut. An der Wand hängen ein Englischposter, eine staubige Tafel, ein Bild. Die Stühle sind rausgeräumt, die Tische beseite geschoben. Am Rand warten in Kartons Stimmzettel, Listen, Ordner, Klebeband, Stift. Ein abschließbarer Koffer, Siegel für die noch offenen, leeren Wahlurnen.
Letzte Fragen vor Öffnung des Wahllokals
7:18 Uhr Regeln werden erklärt, Zuständigkeiten und Wählerverzeichnisse verteilt. Für den Fall der Fälle liegen Notfallnummern bereit. Gibt es Fragen? Gibt es, aber aus dem Nebenzimmer. "Habt ihr genug Kugelschreiber, wir haben bloß fünf! Sonst wars doch immer ne ganze Kiste!". Wir haben auch bloß fünf. Das muss reichen.
7:42 Uhr Der Hausmeister schaut rein. "Für die Raucher. Ich habe euch einen Aschenbecher vor die Tür gestellt. Wisst ihr Bescheid!" Vereinzeltes Nicken. "Gleich geht's los!" Alle Fragen sind geklärt, alle Plätze eingenommen. Kann eigentlich losgehen.
7:52 Uhr "Könnte jemand am Ende die Stimmzettel ins Wahlbüro bringen?", fragt Ilgner. "Ich habe das die letzten Jahre immer gemacht." Die stellvertretende Wahlvorsteherin Mechthild Maydell bietet sich an. "Haben Sie ein Auto?", fragt Ilgner. "Nee, ich bin mit dem Fahrrad da!". "Das geht nur mit Lastenrad oder Anhänger", meint Ilgner. "Dann rufe ich zur Not ein Taxi. Das kriege ich hin!", meint Maydell.
Beginn der Wahl
8 Uhr Es gongt Punkt 8 Uhr. Wie gut, dass wir in einer Schule sind. Die erste Wählerin des Tages kommt herein. Sie zeigt Wahlbenachrichtigung und Personalausweis vor und bestätigt, dass die Wahlurnen leer sind, die danach versiegelt werden. Dann darf sie wählen. Drei Kreuze bei der Kommunalwahl (grüner Stimmzettel), eins bei der Europawahl (weißer Stimmzettel).
8:05 Uhr Vom Nachbarwahllokal kommt jemand rübergehuscht. "Was heißt nochmal WB im Verzeichnis?" Ilgner: "Briefwahl". "Alles klar, danke!" Dann kommen weitere Wähler. Wenn sie im Raum sind, herrscht möglichst Ruhe. Niemand soll beim Wählen gestört werden.
8:12 Uhr Ein älteres Paar marschiert zusammen auf eine Kabine zu. "Halt, das geht nicht", ruft ein Wahlhelfer. "Nur einzeln und geheim wählen. Nicht zusammen!" "Auch nicht als Paar?" "Nee!" Der Mann geht widerspruchslos in die nächste Kabine. Das kommt in den nächsten Stunden immer wieder vor.
Motiviert für die Demokratie (und das eigene Viertel)
8:17 Uhr Ein Mann bedankt sich bei den Wahlhelfern. "Das ist sehr schön, aber absolut nicht notwendig", sagt Ilgner. Er hilft nicht wegen des Erfrischungsgelds (60 Euro für den Tag) oder wegen des freien Tags für Beamte, den er dafür bekommt. Sondern weil er es als wichtigen Beitrag zur Demokratie erlebt und weil es ihm Freude macht. Das sehen die anderen ähnlich. Auch Wahlhelfer-Neuling Jonas Helmholz.
"Ich mache das schon zu dritten Mal", sagt Wahlhelferin Horn. "Für mich ist das auch einfach eine tolle Möglichkeit, Leute aus dem Viertel kennenzulernen. Ich bin Rentnerin. Da muss man zusehen!"
Immer mehr Wähler kommen
8:17 Uhr bis Mittag: In den nächsten Stunden kommen immer mehr Menschen zur Wahl. Entgegen des Klischees, dass vor allem Rentner früh und junge Menschen spät wählen, ist das Publikum bunt gemischt. Die Fußbedeckungen reichen von Sandalen mit Socken über Sandalen ohne Socken, Sneaker, Anzugschuhe und Wanderstiefel bis hin zu Barfuß-Läufern.
Die Routinen schleifen sich schnell ein. Nachgucken im Wählerverzeichnis, abhaken, wer gewählt hat, Stimmzettel aushändigen. Die Leute geheim in den Kabinen wählen und danach die Stimmzettel in die Urnen werfen lassen. Zwischendurch werden Fragen gestellt, manchmal bilden sich Schlangen.
Am meisten Beschwerden gibt es, weil sich die weißen Stimmzettel nur schwer falten lassen. "Da brauchst du ja einen Origamikurs für", meint ein Wähler. Die Schlangen macht das komplizierte Falten manchmal länger. Die Stimmung im Wahllokal bisher aber trotzdem: Top.
Viele Wähler, kleine Zwischenfälle
Je später es wird, desto länger werden die Schlangen. Das meiste läuft routiniert, die Wahlhelfer arbeiten sorfältig, sind freundlich, helfen bei Fragen. Alles läuft relativ glatt.
Nur zwischendurch gibt es kleine "Zwischenfälle". Eine kleine Auswahl: Eine Frau hat ihre Brille vergessen und kann den Stimmzettel nicht richtig lesen. Ihr Mann leiht ihr seine und wählt danach.
Eine andere Wählerin kann nicht in Magdeburg wählen, weil sie sich zu spät umgemeldet hat. Sie geht traurig nach Hause.
Eine Rollstuhlfahrerin klingelt. Sie muss etwas umständlich durch einen anderen Eingang reinfahren und dann mit dem Aufzug kommen. "Tut uns Leid, das ist nicht so gut gelöst", sagen die Wahlhelfer. Die Frau hat Verständnis, sie kennt das schon von der letzten Wahl.
Gegen 12 Uhr werden die Stimmzettel für die Europawahl knapp. Anruf im Wahlamt. Kurze Aufregung, ob die Zettel reichen oder sich die Wahl von Berlin wiederholt. Sie reichen. Der Nachschub aus dem Wahlamt kommt gemeinsam mit frischen Keksen und der Schichtablösung gegen 13 Uhr. Alle sind happy.
Nachmittag und Schlussspurt
Weiterhin ist das Wahllokal gut besucht. Die Wahlhelfer rechnen damit, das abzüglich der Briefwähler und Nicht-Wähler etwa 400 bis 600 Menschen ins Wahllokal 1008 kommen werden. Jede einzelne Stimme, abgegeben mit Kugelschreiber auf Papier und in die Urne geworfen, wirkt hier seltsam konkret. Gegen 14:30 Uhr haben etwa 300 Menschen gewählt.
Gegen 15 Uhr kommt eine Frau herein, die ihre Tochter mit in die Wahlkabine nehmen will. "Es tut mir Leid, das darf ich nicht erlauben", interveniert Ilgner. "Sie muss ganz kurz draußen warten." Die Frau weigert sich. "Ich darf sie zusammen leider nicht wählen lassen", wiederholt Ilgner. Die Frau drückt ihm den Stimmzettel in die Hand und marschiert raus. "Schade", sagt Ilgner und zerreißt die Stimmzettel.
Es geht in den Schlussspurt, bis zur Schließung der Wahllokale sind es nur noch drei Stunden. Energielevel? "Top, Akku ist noch voll!" meint Ilgner.
Wahl beenden, Auszählung beginnen
Die letzten drei Stunden bleibt der Andrang hoch. Besondere Vorkommnisse gibt es nicht mehr. Die letzten Wähler des Tages geben ihre Stimmen gegen 17:57 Uhr ab. Um 18 Uhr schließt Christoph Ilgner das Wahllokal. Jetzt darf niemand mehr seine Stimme abgeben. Kurze Erleichterung: Der Teil ist geschafft.
Ilgner zeigt sich zufrieden. "Es ist ein tolles Zeichen für die Demokratie, dass so viele gewählt haben und dass es so friedlich abgelaufen ist!", meint er. Er ist stolz auf das Team, das den Wahltag bisher ohne große Zwischenfälle gemeistert hat.
Dann geht es aber sofort weiter. Tische zusammenschieben. Taschenrechner holen. Wahlurne der Europawahl entsiegeln. Alle Wahlzettel werden auf den Tisch geschüttet und in 10er-Stapeln gezählt. "Hoffentlich schaffen wir es beim ersten Mal, ohne uns zu verzählen!", meint Ilgner. "Dann kommen wir vielleicht vor Mitternacht hier raus."
Mechthild Maydell muss die Stimmzettel jedenfalls doch nicht mit dem Taxi zum Wahlamt fahren. Sie hat sich in der Zwischenzeit ein Auto organisiert.
MDR (Leonard Schubert)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 09. Juni 2024 | 18:30 Uhr
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