Ein Schießstand mit Scheibe
Rechtspsychologe Dietmar Heubrock erklärt, warum es in Ostdeutschland mehr illegale Waffen als im Rest Deutschlands gibt. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / NurPhoto

Rechtspsychologe über Waffen "Wir sind gezwungen worden, unser Verhältnis gegenüber Waffen zu ändern"

17. Juli 2023, 09:03 Uhr

Gibt es mehr Waffengewalt als in den vergangenen Jahren? Sollte das Waffenrecht verschärft werden? Wie hat der Ukraine-Krieg unsere Wahrnehmung von Waffen verändert und warum gibt es im Osten mehr illegale Waffen? Der Rechtspsychologe Dietmar Heubrock gibt im Interview für den MDR SACHSEN-ANHALT-Schwerpunkt über Waffen Antworten.

MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Prof. Heubrock, mehr als fünf Millionen Waffen in Deutschland – gibt das Anlass zur Sorge?

Dietmar Heubrock: Nein, man muss sich keine Sorgen machen, weil diese Waffen in Tresoren hinter verschlossenen Türen aufbewahrt werden und zumeist nur zu den Zwecken verwendet werden, zu denen sie gedacht sind: nämlich Sportschießen oder zur Jagdausübung.

Wie kommt man in Deutschland eigentlich an Waffen?

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten: Entweder wird man Sportschützin oder Sportschütze und tritt einem Sportschützenverein bei. Das ist eine sehr große Gruppe. Eine weitere Möglichkeit: Jemand wird Jäger.

Dann haben wir aber auch Gruppen, etwa Erben, die gar keine Affinität zu Waffen haben und plötzlich ein Waffenarsenal und Munition geerbt haben und zunächst nicht wissen, wie sie damit umgehen müssen. Es gibt des Weiteren auch die Brauchtumsschützen und Waffensammler.

Zur Person: Dietmar Heubrock

Prof. Dr. Dietmar Heubrock arbeitet als Professor am Institut für Psychologie und Kognitionsforschung (IPK) in Bremen. Derzeitige Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit sind unter anderem die Prävention von Attentaten im öffentlichen Raum (Personenschutz und Terrorismus-Abwehr) und Gefährdungsanalysen bei Bedrohungslagen. Heubrock war als Sachverständiger im Innenausschuss des Deutschen Bundestages (Novelle des Waffengesetzes) und des Sonderausschusses des Baden-Württembergischen Landtages zur Amoktat von Winnenden tätig.

Hat Ihrer Einschätzung nach die Zahl derer, die Waffen zu Hause haben als Sportschützen oder Jäger, zugenommen?

Die Zahl ist über die Jahre hinweg gleichgeblieben. Viele Schützenvereine beklagen sogar einen Rückgang der Mitglieder. Das Sportschützenwesen ist ja gerade im ländlichen Raum sehr verankert – und dort haben ja viele Vereine einen Mitgliederschwund.

Nichtsdestotrotz haben manche Menschen das Gefühl, als hätten mehr Menschen Waffen oder als würde es mehr Waffengewalt geben. Kann das sein?

Auch das gibt die Statistik nicht her – speziell, wenn man sieht, wie viele dieser Waffen für kriminelle Handlungen eingesetzt werden. Im jährlichen, von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen nichtöffentlichen Waffen- und Sprengstoffbericht wird sichtbar, dass der Anteil der von legal besessenen Schusswaffen verübten Mord- und Totschlagsdelikte sehr gering ist.

Das heißt: Die meisten kriminellen Handlungen werden mit illegal besessenen Waffen verübt. Und es ist wiederum erstaunlich bei der Zahl der Tötungsdelikte, die wir gerade im Partnerschaftsbereich haben, wie wenig legale Waffen dabei eine Rolle spielen. Die meisten Tötungsdelikte sind Affekttaten und werden mit dem begangen, was man zur Hand hat. Das ist dann zum Beispiel eher der Messerblock in der Küche.

Seit der Amoktat in Hamburg im Mai dieses Jahres wird eine Verschärfung des Waffenrechts diskutiert. Wie realistisch ist aus Ihrer Sicht, dass da wirklich was kommt?

Ich fürchte, wir wiederholen den Fehler, den wir 2002/2003 gemacht haben, nach der Amoktat von Erfurt. Da ist sehr schnell eine Novelle des Waffengesetzes eingebracht worden, in der ein Nachweis über die psychologische Eignung von Unter-25-Jährigen obligatorisch wurde. Aber man hat ungeregelt gelassen, wie dies durchgeführt werden soll. Und wir haben zu wenig Gutachter und Gutachterinnen, sodass die, die es gibt, zeitlich überfordert sind.

Die Rede war auch von einem Verbot, dass Menschen in sogenannte Schießkeller oder Clubs gehen können, um sich an der Waffe auszuprobieren. Würde das etwas bringen?

Wir würden dann möglicherweise Menschen mit einer wachsenden Affinität zu Waffen daran hindern, diese weiterzuentwickeln. Aber das ist gar nicht das Hauptproblem. Das besteht eher darin, dass – falls ein Legalwaffen-Besitzer in eine psychische Krise gerät oder sich zu Reichsbürgern oder anderen Verschwörungstheoretikern hingezogen fühlt – dann schnell gehandelt werden müsste. Doch da sind die Wege unendlich lang. Und das würde uns leider auch kein psychologisches Testverfahren rechtzeitig anzeigen.

Anfang Juni 2023 hat der Landtag von Sachsen-Anhalt über eine Verschärfung des Waffenrechtes debattiert. Hier können Sie die Debatte in voller Länge ansehen.

Wie schätzen Sie denn den illegalen Waffenmarkt in Deutschland ein?

Der ist groß: Was zum Beispiel damit zu tun hat, dass beim Abzug der russischen Truppen aus den Standorten in Ostdeutschland Soldaten seinerzeit ihre Waffen verkauft haben, um mit etwas mehr Geld in die Heimat zurückzugehen. Es gibt in Ostdeutschland mehr illegale Waffen als im Rest Deutschlands.

Waffenrecht lockern oder verschärfen? In Deutschland gibt es über 5 Millionen legale Schusswaffen in privatem Besitz. Doch wie streng werden Waffenbesitzerinnen und Waffenbesitzer kontrolliert? MDR exactly hakt nach.

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In Deutschland gibt es über fünf Millionen legale Schusswaffen in privatem Besitz. Doch wie streng werden Waffenbesitzer kontrolliert? Muss das Waffengesetz verschärft werden? Und was fasziniert Menschen am Schießen?

exactly Mi 19.07.2023 20:45Uhr 29:31 min

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Wird seit dem russischen Krieg in der Ukraine mehr über Waffen gesprochen als in den vergangenen Jahrzehnten?

Es ist tatsächlich so. Die Frage ist aber, ob wir das bedauern müssen. Waffen haben die ganze Zeit über in irgendeiner Weise zur Gesellschaft gehört, ob im Besitz der Polizei oder bei Berufssoldaten. In vielen Bereichen war es allerdings nicht gewünscht, dass man über Waffen spricht oder Waffen im weitesten Sinne interessant finden darf. Es gab ja "Schwerter zu Pflugscharen", die Antikriegsbewegung, Friedensmärsche. Die haben dazu geführt, dass über Waffen nicht geredet wurde, aus der Ansicht heraus, dass Waffen per se schlecht seien.

Jetzt müssen wir durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine feststellen, dass möglicherweise ein Paradigmenwechsel stattzufinden hat: dass Waffen eben auch in der Lage sein können, Freiheitsrechte zu verteidigen. Wir sind durch die Macht des Faktischen gezwungen worden, unser Verhältnis gegenüber Waffen zu ändern.

Die Fragen stellte Heiko Kunzmann.

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Rettungskräfte beseitigen Trümmer und suchen nach Menschen in einem Wohnblock, der von einer Rakete getroffen wurde.
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MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 16. Juli 2023 | 19:00 Uhr

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