Der Rektor der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Jens Strackeljan
Der Rektor der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Jens Strackeljan, will mehr Menschen als potenzielle Lehrer ansprechen. Bildrechte: MDR

Vor Bildungsgipfel Gegen Lehrermangel: Uni-Rektor Strackeljan würde mehr Menschen für Seiteneinstieg zulassen

18. Januar 2023, 16:00 Uhr

Sachsen-Anhalt fehlen an die 850 Vollzeit-Lehrkräfte. Da viele Lehramtsstudenten ihr Studium abbrechen, braucht es aus Sicht von Magdeburgs Uni-Rektor Jens Strackeljan mehr Seiteneinsteiger. Dazu müsse es noch leichter werden, als Lehrer zu arbeiten. Darin sieht Strackeljan jedoch auch Gefahren. Die Universität könne hier jedoch helfen.

Angesichts des Lehrermangels in Sachsen-Anhalt müssen aus Sicht von Magdeburgs Uni-Rektor Jens Strackeljan mehr Menschen als potenzielle Lehrkräfte angesprochen werden. "Wir sollten schauen, ob man nicht bei denen, die nicht direkt mit dem Abitur kommen, auch mal anklopfen sollte", sagte Strackeljan im Vorfeld des für Donnerstag in der Staatskanzlei geplanten Bildungsgipfels. Es liefen Programme für Seiteneinsteiger mit Master- oder Diplom-Abschluss, aus denen sich ein Unterrichtsfach ableiten lasse. Sie würden vollwertige Lehrerinnen und Lehrer. Nun gehe es außerdem um solche, die etwa einen Bachelor in Sozialwissenschaften oder Architektur hätten, aus dem sich aber eben kein Schulfach ergebe.

So viele Lehrer fehlen in Sachsen-Anhalt

Nach Angaben des Bildungsministeriums arbeiteten zum Stichtag am 5. Oktober 14.030 Lehrkräfte im Schuldienst an den allgemeinbildenden Schulen. Davon arbeiteten 2.500 in Teilzeit. Rein rechnerisch: Würden alle in Vollzeit arbeiten, würde das dem Ministerium zufolge etwa 570 zusätzlichen Vollzeit-Kräften entsprechen. Für eine vollständige Unterrichts-Versorgung fehlte zum Stichtag Anfang Oktober das Volumen von 846,6 Vollzeit-Lehrkräften.

Dazu kommt: Viele Lehrer schieben schon jetzt Überstunden. 2022 haben sich insgesamt rund 3.300 Lehrkräfte Überstunden im Umfang von etwa 150.000 Unterrichtsstunden auszahlen lassen, wie es aus dem Ministerium hieß. Das entspreche rund 150 Vollzeitstellen. Bei einer durchschnittlichen Vergütung von etwa 45 Euro pro Unterrichtsstunde hätten sich Gesamtkosten in Höhe von rund 6,75 Millionen Euro ergeben. Die Summe habe sich in den vergangenen Jahren gesteigert.

Strackeljan warnte aber davor, von einer "Not-OP zum Feldlazarett" überzugehen. "Wenn man nicht irgendwo eine Schwelle einzieht und jetzt auch noch anbietet, dass Studierende vom ersten Tag an in der Schule vor der Klasse stehen, dann sind alle Dämme gebrochen." Am Ende könne das nur eine Betreuung sein. Schon jetzt könnten Absolventinnen und Absolventen mit einem Bachelor unterrichten, da die Not so groß sei. "Demnächst müssen sie verpflichtend einen Zertifikats-Kurs machen, das ist zu begrüßen", so Strackeljan.

Uni-Rektor Strackeljahn plädiert für Lockerung bei Fächer-Kombination

Anschließend sollte diesen Seiteneinsteigern durch eine weitere Qualifikation die Möglichkeit des Lehramts eröffnet werden. "Ich könnte mir das vorstellen: Wir stellen die Umgebung zur Verfügung, die ganze Infrastruktur, die Koordination." Im Seiteneinstieg sei eine enge Betreuung notwendig.

Die Universität Magdeburg hat aus Sicht des Rektors zudem die Möglichkeit, durch eine vorübergehende Lockerung Fächer-Kombinationen anzubieten, die derzeit nicht möglich sind. "Ich kann eben Technik und Deutsch studieren und Technik und Sozialkunde, aber ich kann nicht Deutsch und Sozialkunde studieren." Auch eine Kombination von Mathematik und Sozialkunde hält Strackeljan für machbar. Eine Lockerung schlage die Uni seit einiger Zeit vor. Der Aufwand wäre überschaubar. "Wenn man in vier Jahren der Meinung ist, das braucht man jetzt nicht mehr, wäre das reversibel."

GEW sieht in freierer Fächer-Wahl einen Weg

200 Studienplätze für Lehramtsstudierende bietet die Universität Magdeburg an, rund 180 konnten im vergangenen Oktober besetzt werden. 40 bis 50 könnten über die Öffnung der Fächer-Kombinationen hinzukommen, schätzt Strackeljan. In Halle stehen 1.000 Studienplätze für angehende Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung. Die Abbruch-Zahlen seien bundes- und landesweit relativ hoch. In Magdeburg kommen rund 60 Prozent zum Abschluss. Hier hätten die Studierenden aber auch relativ lange die Wahl, ob es Richtung Lehramt gehen soll oder doch nicht. "Da müssen wir besser werden", sagte der Rektor. "Wir können diejenigen enger begleiten, die sich das Lehramt dauerhaft vorstellen können, damit sie nicht beim ersten Zweifel gleich die Flucht ergreifen."

Die Möglichkeit, Fächer freier kombinieren zu können, kann aus Sicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ein Weg sein, mehr Menschen für ein Lehramtsstudium zu begeistern. "Ich denke, es ist auf jeden Fall einen Versuch wert. Vor allem kann das ja relativ schnell passieren", sagte GEW-Chefin Eva Gerth MDR SACHSEN-ANHALT. Wenn man Deutsch nicht nur mit Wirtschaft, Technik oder einem Berufsschul-Lehramt, sondern auch mit Sport, Ethik oder etwa Sozialkunde kombinieren könnte, würde das möglicherweise einen Aufschwung bringen, erklärte sie. Außerdem lasse sich die Maßnahme von heute auf morgen ohne größeren finanziellen Aufwand umsetzen. "Warum sollte man es also nicht probieren? Es hilft uns für die Zukunft immer", so Gerth.

Der Magdeburger Uni-Rektor sieht zudem die Notwendigkeit, Englisch an den berufsbildenden Schulen und Informatik an allen Schulen zu stärken. "Englisch ist im Berufsschul-Lehramt in Sachsen-Anhalt bisher gar nicht verankert." Strackeljan sagte: "Vor allem ist die Notwendigkeit da, denn mit neuen Ausbildungsberufen rund um Intel und Co. wird es einfach kommen müssen." Informatik als Schulfach sieht er "für jede Schulform" als nötig an. "Da muss mehr passieren. Das würden wir auch gern anbieten."

Auch diese Forderungen könnten am Donnerstag auf den Tisch kommen. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hatte die Lehrer-Suche zur Chefsache erklärt und zu einem Bildungsgipfel in die Staatskanzlei geladen. In großer Runde sollen gemeinsam mit Eltern- und Lehrer-Vertretern, Vertretern der Kammern, der Kommunen, aus Politik und Wissenschaft sowie Gewerkschaften und Verbänden Wege gesucht werden, den Unterrichtsausfall zumindest etwas abzumildern.

dpa, MDR (Roland Jäger, Stephan Schulz, Daniel Salpius)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 18. Januar 2023 | 08:00 Uhr

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