"Was tun wir unseren Kindern an?" Lehrermangel: CDUler kritisieren Bildungspolitik von Parteifreundin Feußner

27. November 2022, 17:55 Uhr

An der Sekundarschule August Bebel in Blankenburg fehlen massiv Lehrer. Eltern verlangen deshalb, es Quereinsteigern leichter zu machen. Weil daraus nichts wird, veröffentlichen sie ein Protestvideo. Dem schließen sich sogar führende CDU-Politiker aus dem Harz an – und kritisieren damit die Bildungspolitik ihrer Parteifreundin Eva Feußner.

Maximilian Fürstenberg
Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

Es ist ein Hilfeschrei: Anfang November richten sich Elternvertreter der August-Bebel-Sekundarschule in Blankenburg direkt an Sachsen-Anhalts Bildungsministerin Eva Feußner (CDU). Der Titel des neunminütigen Videos, das sie auf Youtube hochladen, lautet: "Bildung muss!" Denn es herrscht Lehrermangel an der Schule ihrer Kinder.

Dass Lehrermangel herrscht, ist erstmal nichts Besonderes, doch nicht nur Eltern beklagen sich über den Zustand an der Schule, auch Wirtschaftsvertreter und vor allem CDU-Parteimitglieder unterstützen die Eltern. Sie kritisieren somit die Bildungspolitik der eigenen Reihen.

Harte Kritik aus den eigenen Reihen

In dem Video zu hören sind Aussagen wie die folgenden: "Viele Katastrophen reihen sich in den letzten Jahren aneinander. Dabei ein Stückweit unbemerkt ist die Katastrophe im Bildungssystem von Sachsen-Anhalt. Was tun wir unseren Kindern an? Nicht richtig ausgebildet, nicht richtig vorbereitet. Ich glaube, das ist der größte Fehler, den wir machen können", sagt Thomas Balcerowski, Landrat des Landkreises Harz – und CDU-Mann. Balcerowski spricht von "politischen Fehlern", die korrigiert werden müssten.

Was tun wir unseren Kindern an? Nicht richtig ausgebildet, nicht richtig vorbereitet. Ich glaube, das ist der größte Fehler, den wir machen können.

Thomas Balcerowski, CDU über das Bildungssystem in Sachsen-Anhalt

Auch Heiko Breithaupt, der Bürgermeister von Blankenburg, kommt in dem Video zu Wort. Auch er hat ein CDU-Parteibuch. In dem Video sagt er: "Die Schülerinnen und Schüler merken, dass sie weniger Wissen vermittelt bekommen und das merken sie auch spätestens bei der Berufswahl. Es ist eine Grundvoraussetzung, die sie brauchen für das spätere Erwachsenwerden und deswegen muss Bildung stattfinden in Blankenburg."

Am Ende des Videos fordert Christian Klamroth, Vorsitzender des CDU-Stadtverbands, das Bildungsministerium und somit Feußner auf, Stellung zu nehmen – und gemeinsam kurzfristige Lösungen zu finden. Die Kritik ist also groß und auch Vertreter von Handwerkskammern schließen sich ihr an.

Kritik am Bildungsministerium ist nicht generell neu

Dass der Chefposten im Bildungsministerium mit scharfer Kritik von allen Seiten einhergeht, ist nicht neu. Auch Feußners Vorgänger Marco Tullner – ebenfalls CDU – stand über Jahre im Zentrum öffentlicher Kritik.

Von Seiten der Opposition, Eltern und Gewerkschaften sowieso, aber auch der Koalitionspartner SPD teilte im Wahlkampf vor der Landtagswahl 2021 mächtig gegen den Bildungsminister aus. Dass die Kritik jetzt aber aus den Reihen der CDU kommt und das nicht von Hinterbänklern, sondern Leuten, die etwas zu sagen haben – das ist dann doch bemerkenswert.

Nur 70 Prozent Unterrichtsauslastung an der Sekundarschule

Parallel zum Video haben Elternvertreter der Sekundarschule ein Offener Brief veröffentlicht, der sich direkt an Bildungsministerin Feußner und Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) richtet. Dieser beschreibt die aktuelle Lage an der Sekundarschule in Blankenburg so: "Mit einer Unterrichtsabdeckung von unter 70 Prozent und den hinzukommenden Krankheitsausfällen der Lehrkräfte findet oftmals nicht einmal die Hälfte des regulären Unterrichts statt."

Zum Vergleich: Im landesweiten Durchschnitt liegt die Unterrichtsversorgung bei 92 Prozent. Das Ziel der Koalition sind eigentlich 103 Prozent, um auf Ausfälle reagieren zu können.

Im Kern fordern die Elternvertreter und Unterstützer, dass die Anforderungen zum Einstellen von Seiten- und Quereinsteigern heruntergesetzt werden sollten. In Blankenburg fehlen an der Sekundarschule laut Aussagen der Unterstützer aktuell zwölf Lehrkräfte.

Allgemein sind in Sachsen-Anhalt knapp 1.000 Stellen für Lehrkräfte an Schulen ausgeschrieben. Das geht aus Zahlen des Bildungsministeriums hervor. Die meisten Lehrkräfte werden an Sekundarschulen gesucht. Hier fehlen zirka 350 Lehrkräfte. Die wenigsten Lehrkräfte werden an Gesamt- und weiterführenden Schulen gesucht, so das Ministerium.

Bürgermeister von Blankenburg: Kritik aus eigenen Reihen sollte erlaubt sein

Blankenburgs Bürgermeister Heiko Breithaupt unterstützt die Kampagne. Im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT erzählt er, dass er zu 100 Prozent hinter den Forderungen und Aussagen der Elternvertreter stehe. Als Bürgermeister will er, dass die Schülerinnen und Schüler auch künftig in der Region und in der Stadt Blankenburg bleiben, sagt er. Schließlich sollen sie hier auch Arbeit finden. Doch ihmzufolge geht das nur, wenn man eine gute Ausbildung und damit zusammenhängend eine gute Bildung hat – und die ist an der Sekundarschule gerade nicht gegeben.

Das fordern die Elternvertreter vom Bildungsministerium in Kurzform

  • Lehrkräften, die kurz vor dem Rentenalter stehen, müssen attraktivere Bedingungen angeboten werden, um sie länger im Dienst zu behalten.
  • Lehrkräfte müssen schnellstens von allen Zusatzaufgaben entlastet werden, um mehr Freiraum für die Lehrtätigkeit zu schaffen.
  • Lehrerstellen müssen dauerhaft ausgeschrieben sein. Die Sichtbarkeit der Stellen muss in Suchmaschinen und gängigen Karriereplattformen gewährleistet sein.
  • Eine gleichmäßige Besetzung der Stellen im Land ist notwendig.
  • Die Einstellungskriterien für Quereinsteiger:innen müssen überarbeitet werden. Auf einen Hochschulabschluss zu bestehen, ohne jegliche Berufserfahrung, anderweitige Qualifikation und persönliche Eignung zu betrachten, ist nicht mehr zeitgemäß.
  • Zur kurzfristigen Deckung des Bedarfs müssen die nicht prüfungsrelevanten Fächer ggf. durch Honorarkräfte aufgefangen werden.
  • Um ganztägige Unterrichtsausfälle zu kompensieren, sind Eltern bereit, Fachexkursionen eigenständig zu organisieren und durchzuführen. Hier müssen rechtliche und versicherungstechnische Rahmenbedingungen geschaffen werden, dies zu ermöglichen.
  • Die Schulung der Selbstlernkompetenz unserer Kinder ist ein wesentlicher Bestandteil der zukünftigen Bildung. Die Kinder werden viel mehr in Eigenregie arbeiten müssen, dazu müssen aber Fähigkeiten geschult und Räume dafür geschaffen werden.
  • Die Leistungskontrollen der qualitativen Leistungsbewertung können heutzutage im Bereich der reinen Wissensprüfung auch auf digitalem Wege durchgeführt werden.

Doch fällt der Bürgermeister mit seiner öffentlich geäußerten Kritik nicht der eigenen Parteifreundin Eva Feußner in den Rücken? Für Breithaupt ist es in Ordnung, dass auch Kritik aus den eigenen Reihen kommt: "Wir müssen die Probleme klar beim Namen benennen, egal in welcher Partei man ist."

Prioritäten der Landesregierung sollten neu geordnet werden

Laut Breithaupt müsste man sich aber in puncto Bildung nicht nur im Bildungsministerium Gedanken über die Prioritätensetzung machen, sondern in der gesamten Landesregierung. Das Ganze sei für ihn eine Sache der Herangehensweise, über der die Frage steht, welchen Wert Bildung hat.

"Sachsen-Anhalt hat Großes vor. Wir reden in den letzten Wochen und Monaten sehr viel über die Intel-Ansiedlung in Magdeburg. Die wird auch eine Strahlkraft über Magdeburg hinaus haben – auch in den Harz. Da geht es nicht nur darum, Fabriken anzusiedeln, sondern wir müssen auch für die nächsten 20, 30 Jahre dafür sorgen, dass die Fachkräfte der Zukunft auch hier eine Möglichkeit haben, ausgebildet zu werden", sagt Breithaupt mit klarer Stimme.

Für das Stadtoberhaupt ist also klar, dass er der Schule und somit den Schülerinnen und Schülern helfen muss. Schließlich versuchen die Lehrkräfte aktuell alles, um die Unterrichtsversorgung einigermaßen zu erhalten, sagt er. Ein Zustand, der keine Lösung ist.

Breithaupt fordert Dialog mit Feußner

Blankenburgs Bürgermeister wünscht sich, in den "direkten Dialog" mit der Bildungsministerin gehen zu können. Dann soll nicht nur über die Sekundarschule August Bebel gesprochen werden, sondern über die Schulsituation im Harz.

Breithaupt sagt: "Ich glaube einfach, dass wir pragmatisch rangehen müssen und die Lösungsvorschläge der Eltern auch versuchen müssen, aufzugreifen." Ihm ist dabei bewusst, dass es nicht von heute auf morgen mehr Lehrkräfte geben wird: "Es gehört zur offenen Kommunikation dazu, dass man nicht so tut, als würde sich das Problem schon irgendwie lösen lassen. Das ist im Moment zumindest nicht zu sehen."

Bildungsministerium hält sich noch zurück

Doch aktuell ist noch nicht viel von einem Dialog zu sehen. Das Bildungsministerium will sich zu der Kritik gegenüber MDR SACHSEN-ANHALT nicht äußern. Die Pressestelle verweist stattdessen auf die Antwort des Ministeriums, die die Elternvertreter nach ihrem Offenen Brief bekommen haben.

Darin heißt es, das Ministerium sehe "das Problem des derzeitigen bundesweiten Fachkräftemangels als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an deren Lösung alle Gewerke mitwirken sollten. Verschärfend hinzu kommt eine recht kleinteilige Schullandschaft im Landkreis Harz, die es zu prüfen gilt."

Einen kleinen Austausch soll es vor Weihnachten aber doch geben: Geplant ist laut dem Schreiben aus Magdeburg ein Speed-Dating an der August Bebel-Schule – um Personal zu gewinnen.

MDR (Maximilian Fürstenberg)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 27. November 2022 | 19:00 Uhr

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