Psychologe im Interview Zwischen Erinnerung und Wandel – Was ist Heimat?
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15. März 2021, 11:34 Uhr
Für viele Menschen ist Heimat ein Gefühl – oft eines, das man gar nicht so richtig erklären kann. Dabei gibt es durchaus wissenschaftliche Ansätze, sich Heimat zu nähern. Kein Wunder: Der Begriff Heimat ist ein bedeutender Begriff. MDR SACHSEN-ANHALT sprach darüber mit dem Psychologen und Ethnologen Uwe Wolfradt von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Uwe Wolfradt ist Psychologe und Ethnologe an der Martin-Luther-Universität in Halle, ist Vorsitzender der Gesellschaft für Kulturpsychologie und ist zudem aktiv im Landesheimatbund Sachsen-Anhalt. Da wundert es nicht, dass er sich auch wissenschaftlich mit dem Thema Heimat beschäftigt.
MDR SACHSEN-ANHALT: Heimat galt ja lange Zeit als ein etwas verstaubter Begriff, verbunden mit dem Vorwurf einer gewissen Engstirnigkeit. Das scheint sich inzwischen jedoch geändert zu haben. Die Heimat gerät wieder mehr in den Blick. Wie erklären Sie diese Entwicklung?
Prof. Dr. Dr. Uwe Wolfradt: Das hängt sicherlich mit der Globalisierung zusammen. Es wird ja alles größer und unübersichtlicher und das führt bei vielen Menschen dazu, dass sie sich ihrer Wurzeln besinnen. Allerdings ist das kein Widerspruch zur globalisierten Welt. Die Menschen sind viel unterwegs und da spielt die Herkunft eben durchaus eine Rolle. Allerdings gibt es den Begriff "Heimat" so nicht in anderen Sprachen. Es drückt ein romantisches Sehnsuchtsgefühl nach einem Ort und nach Menschen aus. Aber es ist leider auch ein Begriff, der sehr missbraucht wurde, weil er ja immer wieder auch genutzt wurde, um Menschen auszuschließen.
Sie sagten, Heimat ist ein Begriff, den es so in anderen Sprachen nicht gibt und deshalb gilt das Wort als typisch deutsch. Stellt sich die Frage, wie es denn zu dieser romantischen Beziehung zur Heimat kommt?
Deutschland war ja lange Zeit kein einheitlicher Staat und wegen dieser Kleinstaaterei wurden dann einzelne Regionen und Orte sehr wichtig. In der Romantik entwickelte sich dann der deutsche Wald zu einem Sehnsuchtsort und überhaupt spielte die Natur eine große Rolle. Allerdings muss man sagen, dass es diese starke Bindung an die Natur auch in anderen Ländern gibt, Japan könnte man da nennen.
Sachsen-Anhalt als Bindestrichland scheint sich etwas schwer zu tun mit einer eigenen Landesidentität. Allerdings sind die regionalen Traditionen auch sehr unterschiedlich. Vor allem jüngere Menschen fühlen sich weniger angesprochen oder?
Tatsächlich haben ältere Menschen eher eine Identifikation mit dem Ort, in dem sie leben, während jüngere ja häufig den Lebensmittelpunkt dorthin verlegen, wo sie sich bessere berufliche Chancen versprechen. Aber man muss eben sagen, dass Heimat mehr ist, als nur ein geographischer Raum. Es geht dabei auch um emotionale Prozesse, bei dem Menschen sehr wichtig sind und es geht auch um die Möglichkeit, sich einzubringen. Und das führt dann Menschen zum Teil doch wieder zurück an jenen Ort, den sie Heimat nennen. Das trifft vor allem für Menschen zu, die konservative Werte vertreten.
Ist also die Idee der Heimat immer auch an ein konservatives Weltbild geknüpft?
Nein, das kann man so nicht sagen. Denn wenn es nicht nur um den Ort geht, sondern auch um die Sozialbeziehungen und die Möglichkeit, sich einzubringen, dann fühlen sich auch viele Menschen angesprochen, die sich selber nicht als konservativ bezeichnen würden.
Nun ist ja der Heimatbegriff ein schwer umkämpfter, weil er ja immer auch etwas mit Identität zu tun hat. Es gibt ja viele Menschen, die sich selbst als "Ostdeutsche" bezeichnen und dann schwingt da ja immer Ausschlusskriterium mit. Wir hier im Osten mit unseren eigenen Erfahrungen gegen den Rest der Republik.
Aber das ist ja nicht neu. Auch schon zu DDR-Zeiten gab es die Sachsen und die Mecklenburger und da gab es auch schon Vorurteile, die sich zum Beispiel am Dialekt fest machten. Wobei man sagen muss, dass es natürlich immer mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gibt. Aber der moderne Heimatbegriff muss nicht ausschließend sein, denn anders als zu früheren Zeiten lebt der Mensch ja nicht mehr durchgängig an einem Ort. Und insofern kommt es immer auf die Gemeinschaften an, wie stark sie sich für Neuankömmlinge öffnen. Heimatvereine sind da übrigens ein gutes Bindeglied.
Nicht selten wird ja der Heimatbegriff an eine Kindheitserinnerung geknüpft, die dann oft romantisch verklärt wird. Das ist vor allem dann schwierig, wenn daraus politische Haltungen entwickelt werden, nach dem Motto: "Früher war alles besser".
So eine Sehnsucht gibt es natürlich, man nennt das auch Eskapismus, also Flucht in die Vergangenheit. Das hat eine wichtige psychologische Funktion, denn viele Menschen brauchen solche Möglichkeiten. Natürlich war die Vergangenheit eigentlich nie so rosig, wie sie gelegentlich erinnert wird. Und wenn man dann die Menschen fragt, wollt ihr wirklich zurück in die Vergangenheit, dann winken die meisten ab. Oft hängt diese Sehnsucht mit Erinnerungen an Landschaften oder Gebäuden zusammen, die dann mit persönlichen Geschichten verknüpft sind.
Allerdings waren ja große Teile Sachsen-Anhalts von Chemieindustrie, Braunkohleförderung und Schwermaschinenbau geprägt. Da könnte man allenfalls von Industrieromantik sprechen. Das war eine ziemliche raue Heimat, muss man fairerweise sagen.
Dennoch haben viele Menschen eine sentimentale Verbindung zu dem Ort, denn auch eine Plattenbausiedlung kann natürlich Heimat sein, mit Spielplatz und Kindheitserinnerungen. Es muss also nicht immer der Wald sein oder das Dorf, sondern ein Ort, an dem Menschen ihre Geschichten erzählen können. Und da spielt es dann keine Rolle, ob es eine Hochhaussiedlung ist oder eine historische Altstadt.
So gesehen können die berüchtigten Schaumkronen auf der Saale, die da wegen der Chemieindustrie flussabwärts trieben, auch Teil der Heimat sein.
Ja, natürlich. Und Gerüche gehören ebenfalls dazu, wenn sie dazu dienen, dass sich Menschen an bestimmte Ereignisse erinnern. Das hat nichts mit einer Wertung zu tun, denn der Mensch sucht eine emotionale Bindung zu dem Ort, an dem er aufgewachsen ist. Da muss man nichts erklären, da ist man nicht fremd, sondern da kennt man jeden Stein.
Nun aber hat sich ja gerade das Bild der Heimat in den vergangenen drei Jahrzehnten dramatisch gewandelt. Beispielhaft zeigt sich das in Bitterfeld, aber eigentlich gibt es kaum eine Region in Sachsen-Anhalt, die sich nicht verändert hat.
Natürlich haben diese Industrieorte von der Wende profitiert und auch die Saale ist ja wieder sauber, so dass man in dem Wasser sogar schwimmen kann. Das wäre ja seinerzeit kaum denkbar gewesen. Natürlich verändern sich die Orte der Heimat, aber man kann sich ja immer auch neu beheimaten. Denn die Heimat ist immer auch ein Handlungsraum, also ein Ort, wo es möglich ist, sich zu engagieren. Deshalb sind solche Einrichtungen wie die freiwillige Feuerwehr wichtig, nicht für den Brandschutz, sondern eben auch für das Zusammenleben vor Ort. Das gilt natürlich auch für die Heimatvereine. Deutschland ist ein Land mit einer reichen Vereinskultur, was ja auch von der Politik gefördert wird. Und da finden die Menschen vielfältige Möglichkeiten, sich zu engagieren. Das hilft dann auch, an einem neuen Ort schnell heimisch zu werden.
Die Fragen stellte Uli Wittstock.
Über den Autor Geboren ist Uli Wittstock 1962 in Lutherstadt Wittenberg, aufgewachsen in Magdeburg. Nach dem Abitur hat er einen dreijährigen Ausflug ins Herz des Proletariats unternommen: Arbeit als Stahlschmelzer im VEB Schwermaschinenbaukombinat Ernst Thälmann. Anschließend studierte er evangelische Theologie. Nach der Wende hat er sich dem Journalismus zugewendet und ist seit 1992 beim MDR. Er schreibt regelmäßig Kolumnen und kommentiert die politische Entwicklung in Sachsen-Anhalt.
MDR/Uli Wittstock, Luca Deutschländer
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 14. März 2021 | 17:00 Uhr
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