Trotz Einnahmeverlusten 59 Euro für's Deutschlandticket? Verkehrsbetriebe warnen vor höherem Preis
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18. Juli 2024, 14:50 Uhr
Das Deutschlandticket hat den Verkehrsbetrieben in Sachsen-Anhalt mehr Fahrgäste beschert – allerdings sind die Einnahmen zugleich eingebrochen. Durch den Streit zwischen Bund und Ländern fehlen Perspektive und Planbarkeit – mancherorts wird gar über Angebotskürzungen diskutiert. Eine Erhöhung des Ticketpreises lehnen die meisten Betriebe dennoch ab.
- Das Deutschlandticket bereitet den Verkehrsbetrieben in Sachsen-Anhalt Probleme.
- Besonders die ungesicherte Finanzierung und Diskussionen um Preissteigerungen besorgen die Verantwortlichen.
- Für die meisten Entscheider in den Verkehrsbetrieben steht fest: Ein Beitrag zur Verkehrswende ist das Deutschlandticket nicht.
Günstig, einfach, bundesweit gültig – das Deutschlandticket erfreut sich auch bei den Menschen in Sachsen-Anhalt großer Beliebtheit. Doch bei den Verkehrsbetrieben löst der Flatrate-Fahrschein keineswegs Jubelstürme aus. Er bringt zwar mehr Fahrgäste, allerdings auch wirtschaftliche Probleme. Weil Bund und Länder permanent über die Finanzierung streiten, können die Betriebe nicht verlässlich planen. Hilft da eine Preiserhöhung ab 2025? MDR SACHSEN-ANHALT hat sich bei Verkehrsunternehmen im Land zu den Sorgen rund um das Deutschlandticket umgehört.
Hallesche Verkehrs-AG (Havag)
Havag-Vorstand Vinzenz Schwarz bekennt sich grundsätzlich zur Idee des Tickets. Es bringe mehr Fahrgäste, durch den günstigen Preis aber auch weniger Einnahmen. Von der Politik vermisst er klare Zusagen zur Finanzierung – denn eigentlich sollen Bund und Länder Einnahmeverluste ausgleichen. "Wir haben das Gefühl, dass wir jedes Jahr um den Ausgleich betteln müssen." Das Gesetz dazu sehe das Deutschlandticket außerdem aktuell nur bis 2025 vor. "Es wäre schon schön, wenn wir als Unternehmen, wir als Branche, mal eine Langfristperspektive erfahren würden."
Bei 59 Euro würden wir wahrscheinlich Kunden verlieren.
Schwarz betont auch, dass das Ticket nur bedingt zur Verkehrswende betrage. "Man muss immer vor Augen halten: Das Ticket ist nicht eingeführt worden, um den ÖPNV besser zu machen – auch wenn Herr Wissing als Bundesverkehrsminister das manchmal behauptet." Vielmehr sei es gemacht worden, um die Bürger angesichts gestiegener Kosten und Inflation zu entlasten.
Wenn der Preis erhöht wird, würden sich Schwarz zufolge wohl weniger Fahrgäste in Halle für das Deutschlandticket entscheiden. "Bei 59 Euro würden wir wahrscheinlich Kunden verlieren, die nur gelegentlich fahren." Denn ob sich ein solches Ticket rechne, würden die Menschen für sich durchrechnen. 59 Euro würde eine Preiserhöhung um 20 Prozent bedeuten. "Das ist schon 'ne heftige Preisanpassung", sagt Schwarz.
Magdeburger Verkehrsbetriebe (MVB)
Auch in der Landeshauptstadt sorgt das Ticket für wirtschaftliche Probleme. Ein Sprecher der Magdeburger Verkehrsbetriebe (MVB) sagte MDR SACHSEN-ANHALT, das Deutschlandticket "schwächt die Liquidität unseres Unternehmens und führt gleichzeitig zu höheren Aufwendungen". Man habe zwar rund acht Prozent mehr Fahrgäste, die Einnahmen stiegen aber nicht in gleichem Maße an. Die Kosten für Strom, Diesel, Personal und Wartung seien derweil deutlich gestiegen.
In Magdeburg sei aufgrund der finanziellen Lage im vergangenen Jahr sogar eine Angebotskürzung bei den MVB diskutiert worden. Sie habe zum Glück abgewendet werden können. Der MVB-Sprecher erklärte, bei steigenden Fahrgastzahlen müsse das ÖPNV-Angebot ausgebaut werden. Dafür brauche es ausreichend Geld von Bund und Land. Der Sprecher kritisierte, dass die Finanzierungszusagen zu knapp seien und jedes Jahr unter Vorbehalt stünden.
Eine Preiserhöhung sieht der Verkehrsbetrieb trotz der schwierigen finanziellen Lage eher kritisch. "Ein zu hoher Preis für das D-Ticket könnte insbesondere die Kunden abschrecken, die bislang den ÖPNV nicht oder nur selten nutzen." Es sei fraglich, ob so die Einnahmen gesteigert werden könnten.
Halberstädter Verkehrs-GmbH (HVG)
Grundsätzlichere Kritik an der Politik kommt auch von der Halberstädter Verkehrs-GmbH. Geschäftsführerin Claudia Stein sagte MDR SACHSEN-ANHALT, aufgrund finanzieller Engpässe habe man kein Geld mehr für Investitionen ins Schienennetz, sondern nur noch für nötigste Arbeiten. "Das Geld fehlt im System." Die wirtschaftliche Lage habe in Kombination mit gestiegenen Personalkosten und den Anforderungen durch den Betriebsrat dazu geführt, dass in Halberstadt seit Ende März ein Notfahrplan gelte – Straßenbahnen fahren nur noch alle 30 Minuten.
Wer billig kauft, bekommt auch billig.
Das Deutschlandticket sei "gut gemeint" – doch ob es etwas für Verkehrswende bringt, daran zweifelt Geschäftsführerin Stein. Für sie steht fest: Es gebe weniger Einnahmen, deshalb müsse die Politik die Differenz ausgleichen. Und für einen ÖPNV-Ausbau brauche es insgesamt mehr Geld von Bund und Ländern. "Wer billig kauft, bekommt auch billig", sagt Stein zugespitzt.
Gegen eine Preiserhöhung auf 59 Euro habe sie grundsätzlich nichts einzuwenden. Allerdings müsse auch ein solcher Schritt planbar angekündigt werden. Dass Dinge kurzfristig von der Politik "auferlegt" würden, stört die Geschäftsführerin – mit Blick auf das 9-Euro-Ticket und das Deutschlandticket habe ein solches Vorgehen aber in den vergangenen Jahren zugenommen.
Verkehrsverbund Marego
Eine Specherin des Verkehrsverbunds Marego teilte MDR SACHSEN-ANHALT mit, allein im Jahr 2024 erwarte man durch den Umstieg auf das Deutschlandticket einen Schaden von rund 20 Millionen Euro. Verluste würden von Bund und Land jedoch nur zeitversetzt ausgeglichen. Daher sei das wirtschaftliche Handeln der Verkehrsunternehmen "sehr stark eingeschränkt".
Verkehrsverbünde Viele Verkehrsbetriebe sind in größeren Verbünden organisiert, auch in Sachsen-Anhalt. So gehören unter anderem die Magdeburger Verkehrsbetriebe (MVB) und die Kreisverkehrsgesellschaft Salzland zum Magdeburger Regionalverkehrsverbund "Marego".
In Folge kann es zu Kürzungen der ÖPNV-Angebote kommen.
Finanzdefizite müssten die Landkreise oder kreisfreien Städte ausgleichen. Dies sei aber nicht in jedem Fall möglich, da die kommunalen Haushalte ebenfalls stark belastet seien. "In Folge kann es zu Kürzungen der ÖPNV-Angebote kommen." Die Marego-Sprecherin ergänzte, ein Ausbau des ÖPNV sei mit dem aktuellen Finanzierungssystem nicht möglich.
Zu einer möglichen Preiserhöhung äußerte sich der Verkehrsverbund zurückhaltend. Es handele sich um eine politische Entscheidung. Eine Erhöhung sei "nur deswegen notwendig, weil der Bund und die Länder nicht bereit sind, höhere Ausgleiche zu leisten". Die Entscheidung sowie deren Konsequenzen gehörten der Politik, teilte Marego mit.
Verkehrsverbund MDV
Ähnlich äußerte sich der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV), der sich über den Landessüden sowie Teilen Sachsens erstreckt und zu dem etwa die Hallesche Verkehrs-AG gehört. MDV-Geschäftsführer Steffen Lehmann erklärte auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT, man begrüße eine Fortführung des Deutschlandtickets. Allerdings seien die Kosten für die Verkehrsbetriebe zuletzt "explodiert", die Ticketeinnahmen hingegen eingebrochen.
Lehmann mahnte, dass das Ticket bei einer starken Preiserhöhung wohl weniger genutzt werden würde. Der finanzielle Mehraufwand könne daher "nicht allein über den Ticketpreis kompensiert werden", vielmehr brauche es eine grundsätzlich neue Finanzierung des Nahverkehrs. Sollte es hierzu bei Bund und Ländern kein Verständnis geben, "kann dies im Jahr 2025 zu Einschränkungen im bestehenden Verkehrsangebot im MDV-Gebiet und bundesweit führen", erklärte Lehrmann.
Dessauer Verkehrsgesellschaft (DVG)
In Dessau-Roßlau ist der Anteil der Deutschlandtickets an den insgesamt verkauften Fahrscheinen nach Angaben der Dessauer Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft eher gering. Daher sind die direkten wirtschaftlichen Folgen überschaubar. Allerdings fordert der Verkehrsbetrieb trotzdem mehr Geld im System: Denn die Kosten und Ausgaben würden ansteigen. "Wir gehen nicht davon aus, dass im gleichen Maße die Einnahmen aus dem Verkauf von Fahrscheinen ansteigen werden", teilte die DVG auf Anfrage mit.
Kreisverkehrsgesellschaft Salzland
Bei der Kreisverkehrsgesellschaft Salzland hat das Deutschlandticket Einnahmeausfälle von über einer Million Euro verursacht. Wie das Unternehmen MDR SACHSEN-ANHALT mitteilte, würden diese aber durch Bund und Länder ausgeglichen.
Vor der angekündigten Preiserhöhung des Deutschlandtickets warnt die KVG indes. "Jede Erhöhung führt auch aus unserer Sicht zu einem Akzeptanzverlust".
MDR (Felix Fahnert) | Erstmals veröffentlicht am 17.07.2024
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 21. Juli 2024 | 19:00 Uhr
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