Nach Corona Kinder drängen in die Sportvereine – doch die Trainer fehlen

09. August 2022, 08:54 Uhr

Kinder wollen Mitglied werden, doch müssen abgewiesen werden – eine schlimme Vorstellung für Sportvereine. In Sachsen-Anhalt war das in den vergangenen Monaten allerdings mancherorts Realität. Wie die Vereine mit dem Mangel an Übungsleitern umgehen – und in welchen Sportarten der Trend nach oben zeigt.

Nachdenklich schaut Nico Liebscher auf den Platz. Zwei Dutzend kleine Kinder rennen dort umher. "Eigentlich", sagt der Vorstandsvorsitzende der Ohrekicker, eines Fußballklubs aus Wolmirstedt, "hätten wir schon mal einen Mitglieder-Stopp machen müssen und niemanden mehr aufnehmen dürfen." Und: "Wir haben auch darüber nachgedacht." Aber: "Das können wir einfach nicht machen. Gerade heutzutage ist es doch wichtig, dass sich die Kinder bewegen – und das wollen wir ihnen ermöglichen."

Auch, wenn die Situation kompliziert ist: Gerade Kinder und Jugendlichen drängen nach den Corona-Pausen wieder in Sachsen-Anhalts Sportvereine – doch sie können zum Teil gar nicht aufgenommen werden. Denn es fehlen ehrenamtliche Übungsleiter.

"Das ist bei uns auch schon immer ein Problem", sagt Nico Liebscher. In den vergangenen Monaten hätten sich 50 Kinder neu angemeldet. Kein Trainer sei hinzugekommen, einer habe sogar aufgehört, erzählt der Vorsitzende: "Es gibt zwar Eltern, die ab und zu aushelfen, aber regelmäßig wollen das dann doch die wenigsten machen."

"Das ist der schlimmste Fall"

Dass den Sportvereinen in Sachsen-Anhalt ehrenamtliche Übungsleiter fehlen, ist keine Neuigkeit. Nur: Die Corona-Pandemie hat die Situation noch verschärft. In den vergangenen zwei Jahren sind 1.982 Trainer verloren gegangen. Demgegenüber stehen 1.818 neue Anmeldungen von Kindern und Jugendlichen im vergangenen Jahr.

"Teilweise kann dann kein Angebot geschaffen werden, weil Kinder da sind, die Sport treiben möchten, aber der Übungsleiter oder die Übungsleiterin fehlt. Und das ist natürlich fatal", sagt Tobias Knoch, der Vorstandsvorsitzende des Landessportbundes Sachsen-Anhalt (LSB). "Wenn wir im Land unterwegs sind, wird immer wieder berichtet, dass es Wartelisten für Kinder und Jugendliche gibt, ehe sie aufgenommen werden können. Zwar nicht flächendeckend, aber es gibt sie. Und das ist der schlimmste Fall."

Dieser schlimmste Fall konnte bei den Ohrekickern in Wolmirstedt bislang zwar verhindert werden. Noch überwiegt die Freude über neue Mitglieder. Doch aktuell kümmern sich 14 Trainer um 220 Kinder und Jugendliche. Jede Altersklasse ist mit mehreren Mannschaften besetzt – und die meisten Teams haben nur einen Übungsleiter.

"Das geht sicherlich, aber ist auf keinen Fall ideal", sagt Nico Liebscher, der selbst zwei Jugendmannschaften betreut. "Die Idealvorstellung wären drei Trainer pro Team, mindestens aber zwei. Wenn du alleine bist, dann kannst du bestimmte Übungen gerade bei den ganz Kleinen einfach nicht umsetzen, musst immer die ganze Gruppe mit einbeziehen. Sonst erklärst du den einen hier was, und dort drüben pflücken die anderen Blümchen."

Die Grafik zeigt Ihnen, sortiert nach Sportarten, wie viele Übungsleiter es in Sachsen-Anhalt gibt. Klicken Sie einfach auf das blaue Feld, um die Sportart auszuwählen, die Sie interessiert.

Kritik: Zu viel Bürokratie für Übungsleiter

Wie es gelingen kann, neue Übungsleiter zu gewinnen? Nico Liebscher zuckt mit den Schultern. "Ein bisschen sind wir da ratlos", sagt er. Und liefert dann doch einen Ansatz: "Vielen ist das einfach alles zu kompliziert. Sie wollen einfach aus Spaß dabei sein und vor allem den Kindern diesen Spaß bringen. Aber den Trainern wird es oft schwer gemacht mit Bürokratie."

Der Vorstandsvorsitzende der Ohrekicker sagt: "Du musst als Trainer zum Beispiel nach jedem Spiel den Spielberichtsbogen bestätigen, sonst gibt es eine Strafe. Oder noch etwas: Jede Spielverlegung kostet 30 Euro, auch, wenn du dich gekümmert hast und alles organisiert ist. Außerdem brauchst du für gewisse Ligen zwingend eine Trainerlizenz. Das sind alles so Dinge, die viele grundsätzlich Interessierte dann doch abschrecken."

Er selbst habe keine Lizenz, denn: "Ich trainiere seit 18 Jahren immer mindestens zwei Mannschaften pro Saison, bin außerdem im Vorstand tätig. Woher soll ich da noch die Zeit nehmen, ein halbes Jahr lang fast jedes Wochenende einen Lizenz-Lehrgang zu besuchen?" Sein Fazit: "Es sollte den Übungsleitern einfach leichter gemacht werden."

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Turnverein muss Kinder abweisen

Der Blick auf das große Ganze zeigt: Der Fußball zählt zu den Sportarten, die während der Corona-Pandemie die meisten Übungsleiter verloren haben. 877 waren es 2020, 791 sind es in diesem Jahr, also 86 weniger.

Anderen Sportarten geht es ähnlich. So verzeichnet der Landesturnverband von 2020 bis 2022 beispielsweise einen Verlust von 97 Übungsleitern, von 592 auf 495.

"Auch wir spüren den Mangel an ehrenamtlichen Übungsleitern", sagt Anja Schnitzerlein, die stellvertretende Vorsitzende beim SC Empor Laucha. Außerdem ist Schnitzerlein als ehrenamtliche Turn-Trainerin aktiv. "Wir würden gerne die Altersklassen mehr auseinanderziehen, um besser auf die Alters- und Leistungsklassen eingehen zu können, aber dafür bräuchten wir mehr Übungsleiter", sagt sie.

Gerade in den vergangenen Monaten habe es zahlreiche Anfragen von Eltern gegeben, die ihre Kinder im Turnverein anmelden wollten, erzählt Schnitzerlein. Doch: "Je nach Altersklasse mussten wir leider einige Absagen erteilen. Wir können nur so viele Kinder aufnehmen, wie wir auch mit Sicherheit gewährleisten können."

Neue Ehrenamtliche zu gewinnen, sei gerade im Turnen nicht so leicht. "Die speziellen Anforderungen im Training benötigen auch einiges an Erfahrung", sagt Schnitzerlein. "Wir Übungsleiterinnen sind fast alle schon viele Jahre, seit unserer Kindheit im Turnen aktiv und eben dabei geblieben."

Das ist nun auch die Hoffnung für die nächste Generation: "Drei Mädels im Alter von 14 bis 17 Jahren haben Anfang des Jahres den Übungsleiterschein gemacht. Wir sind sehr stolz, dass sie sich ehrenamtlich engagieren", sagt Schnitzerlein. Und: "Wir hoffen natürlich, dass uns die Mädels auch nach ihrem Abitur lange erhalten bleiben."

American Football: Übungsleiter ohne Ausbildung

Doch in manchen Sportarten gibt es auch positive Entwicklungen. Der American Football Verband Sachsen-Anhalt (AFVSA) kann in seinen Vereinen beispielsweise einen Zuwachs an Übungsleitern verzeichnen: 13 waren es vor zwei Jahren, 23 sind es in diesem Jahr. Zwar ein niedriges Niveau, aber immerhin: Der Trend zeigt nach oben.

Was auch mit neuen Vereinsgründungen zu tun hat, wie Enrico Müller, der Präsident des Landesverbandes, erklärt:

Wir sind ja noch ein relativ kleiner Verband und wachsen seit ein paar Jahren kontinuierlich.

Enrico Müller Präsident des American Football Verbandes Sachsen-Anhalt

Kommt ein neuer Verein hinzu, bedeutet das natürlich jedes Mal auch neue Übungsleiter. Doch auch die Football-Klubs des Landes spüren, "dass sich bei manchen während der Corona-Zeit eine gewisse Lethargie breitgemacht hat", wie Müller sagt. "Da haben sich einige doch eher mit dem Fernseher oder anderen privaten Sachen angefreundet, weshalb es manchmal schwierig ist, Übungsleiter zu rekrutieren."

Gerade im ländlichen Raum gebe es aber im Gegensatz zu den größeren Städten eigentlich Bereitwillige. Es gibt allerdings ein anderes Problem: Übungsleiter-Lehrgänge seien während der Corona-Zeit ausgefallen. Die Übungsleiter-Lizenzen sind aber Voraussetzung für Trainer-Lizenzen. "Da stecken wir gerade in der Zwickmühle und arbeiten an Ausnahmeregelungen", sagt Müller. Denn: "Aktuell können wir deshalb zwar eine Grundabsicherung anbieten, aber das, was im Jugendbereich an Anfragen dazukommt, gegebenenfalls nicht abdecken."

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Kegeln und Bowling: Gemeinschaftssinn als große Stärke

Anders sieht die Situation beim Landesverband Kegeln und Bowling aus. Dort ist in den vergangenen zwei Jahren sogar ein Übungsleiter hinzugekommen – und das auch auf relativ hohem Niveau: von 209 auf 210 Übungsleiter.

"Das ist das Ergebnis jahrelanger Aufbauarbeit", sagt Kathleen Uhe, Geschäftsführerin des Landesverbandes. Eine glückliche Fügung: Die Übungsleiter-Lehrgänge finden seit Jahren immer im Sommer an festen Terminen statt. "Das ist überall bekannt, Interessierte können sich frühzeitig darauf einstellen", sagt Uhe. Und: "Auch während der Pandemie hatten wir deshalb das Glück, dass wir die Lehrgänge durchführen konnten, weil die Maßnahmen gerade gelockert wurden. Außerdem wurde auch viel auf neue Ausbildungsmethoden, zum Beispiel Online-Lernen, gesetzt."

Überhaupt: Kegeln und Bowling können seit Jahren eine konstante Zahl an Übungsleitern verzeichnen. Woran das liegt? "Zum einen kümmern sich unsere Sektionslehrwarte wirklich hervorragend um die Ausbildung und entsprechende Angebote", sagt die Geschäftsführerin des Landesverbandes. Und: "Zum anderen haben diejenigen, die altersbedingt als Übungsleiter ausscheiden, oft schon jemanden an der Hand, der auf sie folgen könnte. So sind wir auch gut über die Corona-Zeit gekommen."

Die große Stärke offenbar: der Gemeinschaftssinn, das Verantwortungsgefühl für den eigenen Verein und den Sport. "Wenn du jemanden hast, der für seinen Sport lebt, dann kann derjenige automatisch andere Menschen begeistern", sagt Uhe. "Und man muss immer zusammenarbeiten. Nun will ich das anderen Sportarten nicht absprechen. Aber bei uns ist das definitiv der Fall."

Über den Autor Daniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung.

Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt. Bei MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet er seitdem als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.

MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 08. August 2022 | 19:00 Uhr

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