Klimawandel "Beim Wettrüsten der Skigebiete würde der Harz verlieren"

06. März 2020, 18:26 Uhr

Umweltwissenschaftler Christian Reinboth erklärt, warum künstliche Beschneiung für den Harz kein Modell der Zukunft ist – und warum manche Wintersportanbieter anderswo den Klimawandel nicht wahr haben wollen. Ein Gespräch über Schnee – und was passiert, wenn er verschwindet.

Schild eines Ski-Verleihs vor dem Brocken im Harz
Auch Ski-Verleiher im Harz sollten sich perspektivisch nach Alternativangeboten umschauen, empfiehlt Christian Reinboth. Bildrechte: imago/Susanne Hübner/MDR/Martin Paul

Christian Reinboth aus Quedlinburg ist Umweltwissenschaftler. In seiner Masterarbeit beschäftigte sich der 39-Jährige im vergangenen Jahr mit der Zukunft der künstlichen Beschneiung in Mitteleuropa. Er skizzierte ein System zur Unterstützung von Entscheidungen für oder gegen künstliche Beschneiung am Beispiel des Wintersport-Orts Schierke im Harz.

Mit MDR SACHSEN-ANHALT spricht Reinboth über die Zukunft der Wintertourismus-Angebote im Harz, ein unterentwickeltes Problembewusstsein und Perspektiven.

Herr Reinboth, wie verändert der Klimawandel den Tourismus im Harz?

Reinboth: Die bislang sichtbarste Auswirkung des Klimawandels im Harz sind die erheblichen Waldschäden, die hier insbesondere im vergangenen Jahr aufgetreten sind. Die Dürre hat viele Bäume schwer und bis zu einem Punkt geschädigt, an dem der Borkenkäfer leichtes Spiel hat.

Da der Nationalpark Harz das Totholz nicht entfernt, kann man entsprechende Schäden auf dem Weg zum Brocken oder durch den Oberharz an vielen Stellen mit eigenen Augen sehen. Das gefällt nicht jedem Besucher, auch wenn viele damit keine Probleme haben.

Und auch die abnehmende Schneesicherheit im Winter stellt die touristischen Betriebe vor große Herausforderungen und wird in der Branche auch breit diskutiert – so wie neulich etwa beim Harzklub.

Forscher haben einen Rückgang der schneesicheren Tage in den vergangenen 50 Jahren im Harz beobachtet. Die Schneebedeckung im Spätwinter wird um Wochen verkürzt, die mittleren Temperaturen steigen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Leider zeigt sich der Klimawandel im Harz bereits heute an vielen Stellen: Die Böden werden trockener, die Niederschläge geringer, der Borkenkäfer hat leichteres Spiel. Im vergangenen Jahr haben die Harzwasserwerke ihren eigenen Datenbestand von 1941 bis heute ausgewertet und konnten den Klimawandel an vielen Stellen sichtbar machen. Das zeigt sich auch im Winter: wärmere Tage, weniger Schnee, mehr Regen und insgesamt ungünstigere Bedingungen für den Wintersport.

Der Wintersport hat hier eine große Tradition. Ich kann jeden verstehen, dessen Herz daran hängt.

Umweltforscher Christian Reinboth aus Quedlinburg

Wie können Sie erklären, dass Wissenschaftler Uwe Böhm vom Deutschen Wetterdienst betont, dass sich aus den Daten der Schneehöhen der vergangenen 50 Jahre kein statistisch signifikanter Trend ablesen lässt – Klimaforscher trotzdem in Modellen einen Trend für 2050/2100 erkennen?

Man muss zwischen der Aussage, dass die Änderung der Schneehöhen keine statistische Signifikanz besitzt und der Feststellung, es gäbe keinen Trend, unterscheiden. Wenn man sich die Kurve etwa der Schneefalltage anschaut, ist ein Trend nach unten schon klar erkennbar. Was richtig ist – und da hat Herr Böhm auch mit Blick auf die Daten, die mir nicht vorliegen, sicher Recht – ist, dass eine solche Entwicklung ganz oder teilweise auch Ergebnis natürlicher Schwankungen sein könnte und dass die Wetterdaten eine anderslautende statistisch signifikante Aussage offenbar nicht hergeben.

Was sich doch aber mit Sicherheit feststellen lässt: Auch im Harz, wie man etwa an den Klimadaten vom Brocken sehen kann, gibt es einen generellen Erwärmungstrend. Auch alle mir bekannten lokalen Klimamodelle lassen für die nächsten Jahre einen deutlichen Rückgang bei den Schneetagen erwarten. Insofern ist es schon sinnvoll, sich hier auf Änderungen einzustellen.

Der Harz gehört deutschlandweit aktuell noch zu den Top-5-Wintersportzielen. Wie kann er das in Zukunft trotz des Klimawandels bleiben?

Gegenfrage: Ist das überhaupt eine sinnvolle Zielstellung?

Ihrer Meinung nach nicht?

Im Grunde geht es doch darum, dass der Harz auch in Zukunft noch zu den Top-Urlaubszielen im Winter gehören soll – ganz egal, ob man das mit Wintersport-Angeboten, neuen Angeboten oder mit einer Kombination aus beidem schafft.

Sicher wird es im Harz auch zukünftig noch kalte Winter und damit auch Wintersport geben. Rein statistisch betrachtet wird die Anzahl der kalten Tage aber ab- und die Anzahl an "schlechten Wintern" zunehmen. Darauf sollte man sich einstellen und überlegen, was man den Besucherinnen und Besuchern sonst noch anbieten kann. Und da gibt es ja im Harz mit Blick auf die Natur oder Kultur bereits einiges. Die Diskussion ist längst angelaufen.

Ab wann wäre ein wirtschaftlicher Wintersport-Tourismusbetrieb laut Forschung nicht mehr darstellbar? Und: Warum nicht?

Dazu gibt es in der Branche zwei Messgrößen: Die 100-Tage-Regel und den Weihnachtsindikator. Die 100-Tage-Regel besagt, dass ein Wintersportgebiet als schneesicher gelten kann, wenn in 70 Prozent der Saisons an mindestens 100 Tagen genügend Schnee verfügbar ist, damit die Pisten geöffnet werden können. Der Weihnachtsindikator zielt darauf ab, dass der Pistenbetrieb zwischen dem 22. Dezember und dem 4. Januar, also in der wirtschaftlich bedeutenden Weihnachtssaison, möglich sein sollte.

Beide Regeln stammen schon aus den 1990ern und beziehen sich ursprünglich auf größere Gebiete. Es spricht viel dafür, dass man in kleineren Gebieten auch mit weniger als 100 Tagen oder mit dem Ausfall der Weihnachtssaison gut zurechtkommt, wenn es dafür in den Osterferien gut läuft. Aus Braunlage hört man das immer wieder und es scheint mir auch plausibel zu sein. Trotzdem ist erkennbar, dass der Wintersport keine sichere Bank ist und man diversifizieren muss.

Wird es 2050 noch Wintersport im Harz geben?

Es wird auch nach 2050 kalte Tage und kalte Winter im Harz geben, in denen Schnee fällt und in denen dann gerodelt und Ski gefahren wird. Es werden eben nur weniger solcher Tage und es wird weniger solcher Winter geben.

Ist künstliche Beschneiung im Harz ein Modell der Zukunft?

Eher nicht. Denn der Harz verfügt im Vergleich mit anderen Wintersportgebieten über weniger hohe Lagen und aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit über ein für die Beschneiung eher ungünstiges Mikroklima. Höhere Höhenlagen sind gut, weil es dort in der Regel kälter ist. Und eine geringe Luftfeuchtigkeit ist gut, weil die zur Kunstschneeproduktion in die Luft gesprühten Wassertröpfchen besser verdunsten können, wenn die Luft weniger gesättigt ist. Dadurch beschleunigt sich die Abkühlung des verbleibenden Tröpfchens und es kann schneller zu Kunstschnee werden.

Welche Rolle werden schneeunabhängige Wintertourismusangebote künftig spielen?

Schneeunabhängige Angebote werden meiner Einschätzung nach zunehmend wichtiger. Es werden mit Sicherheit auch weiterhin Wintersportlerinnen und Wintersportler in den Harz kommen, wenn klar ist, dass es auch an Tagen, an denen man nicht Ski fahren oder rodeln kann, etwas Interessantes zu tun gibt. Und da hat der Harz ja wirklich eine Menge zu bieten – vom Nationalpark über Welterbestätten bis hin zur Schmalspurbahn auf dem Brocken.

Ein Skiverleiher aus Benneckenstein hat MDR SACHSEN-ANHALT gesagt: "Es wird ja immer gesagt, wir hatten keinen Winter. Das stimmt ja meist nicht. Ein bisschen was ist immer gewesen. Aber dieses Jahr ist wirklich krass. So schlimm war's noch nicht." War es, objektiv betrachtet, wirklich noch nicht so schlimm?

Dieser Winter ist zweifelsohne besonders schlecht gelaufen. Es gab aber durchaus auch schon ähnlich schlechte Winter. Auch 2007/2008 und 2013/2014 waren mit Blick auf die Schneehöhen und Skitage im Harz ziemlich schlechte Saisons. Dass dieses Jahr für diesen Verleiher in Benneckenstein das bislang schlechteste war, will ich aber gar nicht in Abrede stellen.

Das Problem besteht ja gerade darin, dass die Wahrscheinlichkeit für solche schlechten Jahre in Zukunft steigt. Und während man ein schlechtes Jahr alle paar Jahre als Anbieter vermutlich noch ganz gut wegstecken kann, sind zwei oder drei Jahre in Folge sicher ein großes Problem.

Die wichtige Frage an diesen Verleiher wäre somit: Wie viele ähnliche Winter dürften hintereinander auftreten, bevor es nicht mehr weitergeht? Wenn Anbieter erst einmal aus dem Markt ausgeschieden sind, ändert sich das ja nicht mehr, nur weil zwischendurch mal wieder ein kaltes Jahr kommt.

In Ihrer Masterarbeit beschreiben Sie ein "unterentwickeltes Problembewusstsein" bei Wintersportanbietern. Woran machen Sie das fest?

In Gebieten, in denen die künstliche Beschneiung sehr weit ausgebaut ist, also nicht im Harz, haben die Betreiber in den vergangenen Jahrzehnten die Erfahrung machen können, dass Beschneiung gut funktioniert und tun sich nun schwer mit dem Gedanken, dass sich das ändern könnte.

Beschneiung ist ein Anpassungsmechanismus sowohl an den Klimawandel als auch an die steigenden Erwartungen des Zielpublikums hinsichtlich der Schneesicherheit. Und man muss – auch als jemand, der sie aus ökologischen Gründen eher kritisch sieht – einfach zugeben, dass es Wintersportgebiete gibt, in denen Beschneiung in den vergangenen Jahren gut funktioniert und Umsatz und Arbeitsplätze gesichert hat.

Aber: Je wärmer es wird, desto mehr muss beschneit werden – und beim Wettrüsten zwischen den Skigebieten werden insbesondere die niedrig gelegenen Gebiete wie der Harz früher oder später ausscheiden, verlieren. Nicht überall will man das wahrhaben und hofft auf bessere Beschneiungstechnik oder darauf, dass es so schlimm schon nicht kommen werde. Es hat doch die letzten Jahre auch gut funktioniert.

In vielen Orten gibt es auch die Vorstellung: Ja, es gibt den Klimawandel und ja, der Wintersport wird zukünftig nicht mehr überall funktionieren – aber bei uns schon. Das ist zwar irrational, aus der Perspektive der Betroffenen aber verständlich.

Poträtfoto von Dr. Oliver Junk, dem Präsidenten des Harzklubs und Bürgermeister von Goslar
Bildrechte: Stadt Goslar/Klingebiel/Collage: Manuel Mohr

Weiter heißt es in Ihrer Arbeit, der Klimawandel werde von einigen Akteuren vollkommen ignoriert oder geleugnet, als abstraktes oder zeitlich sehr weit entferntes Problem betrachtet. Warum denken Sie, ist das so?

Von Upton Sinclair, einem amerikanischen Schriftsteller, ist folgendes Zitat überliefert: "Es ist schwierig, jemanden dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn er sein Gehalt dafür bekommt, dass er es nicht versteht."

Man muss einfach sehen, dass Beschneiung an vielen Orten noch ganz gut funktioniert und vor allem von den Gästen nachgefragt wird und die Geschäftsmodelle etlicher Unternehmen, vom Planer bis zum technischen Ausstatter, daran hängen, dass das zumindest noch eine Weile so bleibt. In einer solchen Situation gibt es fraglos den Impuls darauf zu hoffen, dass es doch irgendwie weitergeht oder dass der Klimawandel anderswo härter zuschlägt, als am eigenen Standort. Und für manche Standorte wird das ja sicher auch stimmen.

Und wie ist das im Harz?

Der Wintersport hat hier eine große Tradition. Ich kann jeden verstehen, dessen Herz daran hängt. Und in den nächsten zehn bis 15 Jahren wird sich das Wintergeschäft für die entsprechenden Anbieter vielleicht auch noch lohnen. Aber es ist sinnvoll, sich jetzt damit zu beschäftigen, was danach kommt – und ich habe das Gefühl, dass wir in diesen Prozess bereits eingetreten sind. Der Klimawandel wird hier nicht verdrängt. Die Menschen arbeiten an Alternativangeboten. Denn sie wissen alle, dass sie sich perspektivisch umorientieren müssen.

Was ist denn eigentlich Ihr liebster Wintersport-Ort im Harz?

Ich bin selbst kein Wintersportler, liebe aber natürlich auch diese besondere Atmosphäre, wenn im Harz richtig Schnee liegt. In Schierke gibt es beispielsweise eine kleine Bergkirche, die sich an einen Hang schmiegt. Wenn die richtig eingeschneit ist und man als Spaziergänger da vorbeikommt, ist es einfach ein toller Anblick.

Über den Autor Daniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung.

Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt, in der er seitdem in der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet – als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.

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Quelle: MDR/dg

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 02. März 2020 | 19:00 Uhr

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