Insolvenztrend Trotz bundesweiten Höchststands: Zahl der Insolvenzen in Sachsen-Anhalt stagniert

15. April 2025, 04:52 Uhr

Während in vielen Teilen Deutschlands die Zahl der Unternehmensinsolvenzen zunimmt, ist sie in Sachsen-Anhalt eher stabil: Im März 2025 zählte das Land laut dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle 23 Insolvenzen – zwei weniger als im März 2020 vor Corona. Gute Laune? Hat die IHK trotzdem nicht.

Deutschlandweit wurden im März 2025 laut dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) insgesamt 1.459 Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften registriert – so viele wie seit Jahren nicht. Würden all diese Unternehmen am Ende tatsächlich vom Markt verschwinden, läge die Zahl der bundesweit betroffenen Arbeitsplätze bei mehr als 16.000. Besonders stark trifft es laut IWH die Industrie, aber auch Bau, Handel und Dienstleistungsbereiche sind zunehmend betroffen.

Insolvenzen: Bundesweit deutliche Anstiege

Eine weitere Zahl zeigt: Bundesweit ist die Zahl der Insolvenzen im ersten Quartal 2025 im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2020 um 52 Prozent gestiegen. In Bayern und Baden-Württemberg wurden sogar Anstiege von bis zu 80 Prozent registriert. Nicht so Sachsen-Anhalt: Das Land meldet ein Plus von vergleichsweise niedrigen drei Prozent. "Sachsen-Anhalt bildet hier eine große Ausnahme – es ist das einzige Bundesland, in dem die Insolvenzzahlen rückläufig sind", sagt Steffen Müller, Leiter der IWH-Insolvenzforschung auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT. Die süddeutschen Bundesländer seien deutlich stärker betroffen.

Insolvenz oder Neustart: Schon im Dezember hatte MDR SACHSEN-ANHALT über die wirtschaftliche Lage im Land berichtet. Sehen Sie mehr im Video.

Industrie trifft es hart – auch im Osten

Trotz des stagnierenden Trends sind die wirtschaftlichen Folgen aber auch hierzulande spürbar. Besonders die Industriebranche leidet unter der Insolvenzlage. Insgesamt wurden in Sachsen-Anhalt im März dieses Jahres 23 Unternehmensinsolvenzen registriert – zwei von ihnen im Industriesektor, darunter etwa der Autozulieferer Boryszew Kunststofftechnik in Gardelegen.

Wir können uns [...] dem Bundestrend nicht entziehen und da ist die Stimmung nach wie vor schlecht.

Sascha Gläser IHK-Präsident Halle

Laut IWH sind die hohen bundesweiten Zahlen auf mehrere Faktoren zurückzuführen: Niedrige Zinsen in den vergangenen Jahren, staatliche Hilfen während der Pandemie und nun ein abrupter Wegfall dieser Puffer. Dies führe zu einer Art "Nachholeffekt", bei dem auch längst überfällige Insolvenzen nun realisiert werden. Weitere Gründen seien das Ende Pandemie-bedingter Stützungsmaßnahmen, steigende Zinsen und strukturelle Marktbereinigungen.

Ein anderer Fall: Im Oktober 2024 musste das Anhaltinische Elektromotorenwerk AEM Insolvenz anmelden. Das Dessauer Unternehmen stellt fertige Motoren und Generatoren für die Schifffahrt, Wasserwerke und den Bergbau her. Das Familienunternehmen beliefert Kunden weltweit. Probleme auf Produktionsseite und Krisen in den Kundenbranchen seien der Grund für die wirtschaftliche Schieflage, hieß es seinerzeit. Im Januar dann die optimistischer klingende Meldung des Insolvenzverwalters: man verhandle mit möglichen Investoren.

Sachsen-Anhalt mit 63 Insolvenzen bisher in diesem Jahr

Seit Beginn des Jahres 2025 mussten bereits 63 Unternehmen im Land Insolvenz anmelden. Im ersten Quartal 2025 etwa folgte das Fotogroßlabor Orwo Net: Die DDR-Traditionsmarke aus Bitterfeld-Wolfen musste im März Insolvenz anmelden. Das Unternehmen beschäftigt derzeit 244 Mitarbeitende und hat eigenen Angaben zufolge einen Umsatz von rund 30 Millionen Euro. Auch in Halberstadt musste ein langjähriges Unternehmen die Konsequenzen ziehen: Ein Tochterunternehmen der "Halberstädter Würstchen" musste im Februar 2025 bereits zum zweiten Mal Insolvenz anmelden.

Wirtschaftsminister: "Nicht jede Insolvenz vermeidbar"

Sven Schulze (CDU)
Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze (Archivfoto) Bildrechte: picture alliance/dpa | Klaus-Dietmar Gabbert

Laut Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) versucht das Land, zu unterstützen: "Wir können nicht immer helfen, aber in Einzelfällen hat das wirklich gut geklappt – wenn wir frühzeitig informiert waren, konnten wir gemeinsam mit der Investitionsbank oder mit anderen Instrumenten helfen, Insolvenzen zu vermeiden." Zudem betont Schulze, dass Insolvenzen grundsätzlich Teil des Marktes seien. Entscheidend sei jedoch, die Unternehmen zu begleiten und zu unterstützen, bevor sie in eine wirtschaftliche Schieflage gerieten.

Wir können nicht immer helfen, aber in Einzelfällen hat das wirklich gut geklappt.

Sven Schulze, CDU Wirtschaftsminister Sachsen-Anhalt

IHK Halle-Dessau sieht keine gute Tendenz

"Es ist natürlich immer dramatisch, wenn es da gerade die größeren Unternehmen trifft, den Mittelstand trifft. Hier sind zum einen viele Arbeitsplätze betroffen und zum anderen fallen auch Auftragsgeber in der Region aus", sagt Sascha Gläser, Präsident der IHK Halle-Dessau. Das löse eine Kettenreaktion für die Wirtschaft der gesamten Region aus, etwa bei Zulieferbetrieben. Der rückläufige Trend bei Insolvenzen in Sachsen-Anhalt sei für ihn kein Zeichen zum Aufatmen. "Wir können uns [...] dem Bundestrend nicht entziehen und da ist die Stimmung nach wie vor schlecht", sagt er. International seien die Unternehmen im Land wie bundesweit nicht wettbewerbsfähig.

Zwei Männer sitzen auf dem Podium einer Pressekonferenz.
Sascha Gläßer von der IHK Halle-Dessau (links im Bild) Bildrechte: MDR/Engin Haupt

Versprochene Maßnahmen im neuen Koalitionsvertrag wie etwa erleichterte Investitionen für Unternehmen in den nächsten drei Jahren durch schnellere Abschreibungen müssten nun zeitnah umgesetzt werden, findet die IHK. Auch die Körperschaftssteuer müsse dringend reduziert werden, um Unternehmen zu entlasten. Mit Blick auf die angekündigten US-Zölle meint Gläser, Sachsen-Anhalt sei zwar nicht so abhängig von den USA wie andere Bundesländer. Dennoch: Auch Unternehmen hier würden bereits auf mögliche Einbußen vorbereiten.

MDR (Katharina Gebauer, Stephan Schulz, Chiara Swenson)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 14. April 2025 | 19:00 Uhr

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