Porträt Hochwasserschützer geht in Ruhestand: Deichgraf verlässt Kommandozentrale
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01. Juli 2023, 18:58 Uhr
20 Jahre war Burkhard Henning für Sachsen-Anhalts Wasser verantwortlich. Nun verlässt der oberste "Deichgraf" die Kommandozentrale. Zwei Jahrhunderthochwässer prägten seine Dienstzeit, er hinterlässt einige Deichbaustellen, aber vor allem viele sanierte Deiche und neue Überflutungsflächen.
Ein Bagger schaufelt Sand auf einen LKW. Unweit von Wolmirstedt entsteht ein neuer Deich. Burkhard Henning zieht die Warnweste über – zu einem seiner letzten Besuche auf einer Baustelle. Henning hat seit mehr als 20 Jahren den Landesbetriebs für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft geleitet. Nun geht er in den Ruhestand.
Als 2002 die erste Jahrhundertflut kam, entsprachen gerade einmal fünf Prozent der Deiche in Sachsen-Anhalt der Norm. Seitdemy sind drei Viertel der 1.360 Deichkilometer im Land erneuert worden. 18 Prozent der Deiche sind standsicher, acht Prozent müssen erneuert werden. "Eine gigantische Leistung und der Rest ist noch in dieser Förderperiode zu schaffen", sagt Henning optimistisch. "Kein Land hat mehr Deiche als wir", fügt er hinzu. "Das hat mit unserer Topologie zu tun."
In Gummistiefeln auf dem Deich
In Erinnerung bleiben wird Burkhard Henning vor allem als Sachsen-Anhalts oberster "Deichgraf". In Gummistiefeln tauchte er in den vergangenen 20 Jahren überall dort auf, wo Sandsäcke gestapelt wurden. Und auch dort, wenn Deiche nicht gerettet werden konnten.
Es sei schwierig, wenn man Entscheidungen treffen müsse, einen Deich aufzugeben und die begrenzten Kräfte anderswo einzusetzen, gesteht Henning. Schließlich wisse man, welche Zerstörung eine Flut anrichte. Doch der Schutz von Menschenleben habe oberste Priorität. Dass bei den Deichbrüchen 2002 und 2013 niemand ums Leben kam, ist auch seiner Crew und den Katastrophenschutzstäben zu verdanken, die solche Entscheidungen verantwortungsvoll getroffen haben.
Zwei Jahrhunderthochwasser erlebt
Seit 40 Jahren war Burkhard Henning im Hochwasserschutz. 2002 übernahm er die Leitung des neu geschaffenen Landesbetriebs für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft. Ein halbes Jahr hatte er Schonfrist, bis das erste Hochwasser kam und für Henning die Nagelprobe. "Ich habe in den letzten 30 Jahren einige Hochwässer erlebt", erinnert er sich. "1988, 1994 im Harz, dann 2002. Das war mit dem von 1988 schon gar nicht vergleichbar, das war heftig."
Dass elf Jahre später, im Jahr 2013, ein noch schlimmeres Hochwasser kommen würde, habe niemand wissen können. "Das würde ich als den Höhepunkt meines Berufslebens ansehen, von der Schwierigkeit her."
Routine gefährlich bei Hochwasser
Mit jedem Hochwasser sammelte Henning Erfahrungen, konnte sich auf ein gut funktionierendes Team verlassen. Als die Rechenmodelle das Hochwasser 2013 nicht mehr vorhersagen konnten, rechneten erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – teils aus dem Ruhestand geholt – per Kopf.
Routine darf nie sein. Jedes Hochwasser verläuft anders.
Mit jeder Flut wuchs die Erfahrung. Aber Routine wurde Burkhard Hennings Direktorenjob nie. "Handwerk und Erfahrung muss man haben", sagt er, "Routine darf nie sein. Jedes Hochwasser verläuft anders."
Die eigene Silberhochzeit verpasst
In Hochwasserzeiten gehen alle Mitarbeitenden im Landesbetrieb an ihre Grenzen. Trotzdem achtete Direktor Henning auf Pausen. Weil die wichtig seien und man sonst Fehler mache, sagt er. 12 Stunden waren das Limit, dann wurde gewechselt.
Das galt auch für ihn selbst. Doch nicht immer ließ sich das einhalten. "Ich habe meine Silberhochzeit verpasst", sagt Henning rückblickend. Genau an dem Tag sollte der Polder an der Havel erstmals geflutet werden. Auch wieder so eine Entscheidung mit viel Verantwortung, denn die Ackerflächen dort waren noch nicht abgeerntet, dem Landwirtschaftsbetrieb drohte der Totalverlust.
Henning musste zur Havel fliegen. "Meiner Frau habe ich gesagt: 'Zum Mittag schaffe ich es nicht.' Ich bin mit dem Hubschrauber ab Stendal geflogen, habe angerufen und gesagt, dass ich es vielleicht zum Abendessen schaffe." Die Hochzeitsgesellschaft feierte ohne ihn. "Ich kam dann nachts um 3." Die Geschichte werde heute noch zum Besten gegeben, erzählt er. Doch seine Familie habe auch in diesen Zeiten immer hinter ihm gestanden.
Rückverlegungen und Ruhestand
Wenn Burkhard Henning nun seine Kommandozentrale räumt, übergibt er den Landesbetrieb mit ein paar laufenden Baustellen – in gute Hände. An wen? Das wird in den nächsten Tagen verkündet. Burkhard Henning hat seine Mitarbeiter gefördert, ihnen Vertrauen geschenkt, sie wachsen lassen.
Er selbst erlebte dieses Vertrauen auch, wurde mit nicht einmal 40 Jahren Direktor des Landesamts für Umweltschutz. Seine Nachfolger werden vor allem den Flüssen wieder mehr Raum geben müssen. 18 Quadratkilometer sind es bereits unter ihm geworden – das größte Deichrückverlegungsprojekt war das im Lödderitzer Forst. Gemeinsam mit Partnern wurden der Elbe dort 600 Hektar zusätzliche Überflutungsfläche gegeben.
Ganz geht Burkhard Henning jetzt noch nicht in den Ruhestand – bis zum Jahresende leitet er noch den Talsperrenbetrieb. Wenn dann aber Schluss ist, hat er vor Langeweile keine Angst. Die Familie wartet, reisen will er und Fahrrad fahren. Ganz sicher auch über die neuen Deiche in Sachsen-Anhalt.
MDR (Annette Schneider-Solís)
Dieses Thema im Programm: MDR um 11 | 30. Juni 2023 | 11:00 Uhr
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