119 verwahrloste Hunde in Bad Lauchstädt Beschuldigte offenbar Anhängerin der pseudowissenschaftlichen Rudelstellung-Theorie
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11. Januar 2025, 19:23 Uhr
In Bad Lauchstädt wurden im Dezember bei einer Frau 119 verwahrloste Hunde sichergestellt. Nicht nur, dass es nach aktuellen Informationen gegen die Frau schon vorher den Vorwurf der Tierquälerei gab. Inhalte, die die Frau im Netz veröffentlicht hat, werfen die Frage auf, ob die Haltungsweise der Tiere möglicherweise bewusst gewählt war.
- Verwahrloste Hunde in Bad Lauchstädt gerettet: Verhalten der Beschuldigten deutet auf "Animal Hoarding" hin.
- Zu den Ursachen für die mutmaßlichen Tat könnten auch knappe Finanzen eine Rolle gespielt haben.
- Beschuldigte war scheinbar Anhängerin einer pseudowissenschaftlichen hundepsychologischen Theorie. Die Theorie der sogenannten "Rudelstellung".
"Wenn man ihre persönlichen Umstände, beispielsweise ihr Auto, sieht, hat man den Eindruck, dass sie dringend Hilfe braucht." Das sagte eine Mitarbeiterin des Ordnungsamtes in Bad Lauchstädt MDR SACHSEN-ANHALT über die Frau, gegen die die Staatsanwaltschaft Halle wegen Verdachts auf Verletzung des Tierschutzgesetzes ermittelt. Im Dezember waren auf einem Grundstück in Bad Lauchstädt 119 verwahrloste Hunde sichergestellt worden. Dieses Areal soll sie nach MDR-Informationen gepachtet haben.
Psychische Probleme als Hintergrund der mutmaßlichen Tat?
Die Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes, Nadia Wattad, hatte MDR SACHSEN-ANHALT im Dezember gesagt, in ihren Augen deute bei dem Fall alles auf das Phänomen des "Animal Hoarding". Dahinter stehe häufig eine Person mit einer psychischen Erkrankung. Sie horte Tiere, ohne zu bemerken, dass es ihnen schlecht gehe. Das bestätigt auch der Eindruck der Ordnungsamt-Mitarbeiterin, dass die Beschuldigte selbst "Hilfe braucht".
Die Behörde-Mitarbeiterin erzählt, ihre Kolleginnen und Kollegen hätten auf dem Gelände und in dem darauf befindlichen Haus verwahrloste Zustände beobachtet. Die Rede sei von Hundekot, Dreck und Schimmel im Gebäude gewesen. Dem entgegen steht die Aussage der Staatsanwaltschaft, die "nach aktuellem Ermittlungsstand keine konkreten Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit oder eingeschränkte Schuldfähigkeit" sieht.
Finanzielle Probleme als möglicher Hintergrund der mutmaßlichen Tat?
Mehrere Inhalte auf Websites und in den sozialen Medien lassen Spekulationen darüber zu, welche weiteren Hintergründe es für die Haltungsweise der Tiere gegeben haben könnte. So könnten möglicherweise auch knappe Finanzen eine Rolle gespielt haben.
Nach Recherchen von MDR SACHSEN-ANHALT war unter dem Namen des mutmaßlichen Lebensgefährten der Beschuldigten im März 2024 eine Online-Spendenaktion für Hundefutter gestartet worden. Über ein Spendenportal hatte der Organisator um Geld gebeten. In einem Text dazu hieß es, dass man über Jahre als Pflegestelle agiert und die Kosten selbst getragen habe. Zahlreiche Tiere hätten vor Ort "frei leben" können. In einer akuten schwierigen Situation benötige man nun Unterstützung. Als Zielbetrag der Spendenaktion waren 1.500 Euro angegeben. Nach Darstellung des Onlineportals waren mehr als 500 Euro zusammengekommen.
Eine pseudowissenschaftliche Theorie als möglicher Hintergrund der mutmaßlichen Tat?
Die mutmaßliche Halterin der sichergestellten Tiere selbst hat auf mehreren Websites und Social Media-Kanälen Videos, Texte und Bilder unter anderem zu ihrer Perspektive auf Hunde und deren Wohlbefinden veröffentlicht. Darunter auch einige Inhalte, die Anlass zur Frage geben, ob die Haltungsweise der Hunde möglicherweise ganz bewusst gewählt war.
So scheint die Frau Anhängerin einer pseudowissenschaftlichen hundepsychologischen Theorie zu sein. Die Theorie der sogenannten "Rudelstellung" geht davon aus, dass jedem Tier eine spezifische genetische Veranlagung für eine bestimmte Position in einem Rudel angeboren ist. Dr. Juliane Bräuer, Leiterin der Forschungsgruppe "HundeStudien" des Max-Planck-Institutes für Geoanthropologie in Jena ordnet diese Theorie als "völlig ohne wissenschaftliche Belege" ein und kritisiert es als "fast schon kriminell", dass Menschen sich als "vom Fach" inszenierten und dann Theorien wie die der Rudelstellung verbreiteten.
Seminare lassen auf Nähe zur Rudelstellung schließen
Unter anderem wurde auf einer Website, die mittlerweile nicht mehr erreichbar ist, nach MDR Recherchen unter der Überschrift "Hundeseminare" und unter dem Namen der Beschuldigten ganz konkret eine Fortbildung zum Thema "Rudelstellung" angeboten. Auch auf dem Youtube-Kanal der Beschuldigten wurde 2014 ein ähnliches Seminar beworben.
Weitere Informationen zur Theorie der Rudelstellung
Nach "Rudelstellung" kann das körperliche und seelische Wohlbefinden der Tiere leiden, wenn sie keine verlässliche Möglichkeit haben, in der ihnen angeblich eigenen Stellung im Rudel zu leben. In einem Tiktok-Video sagt die im Fall aus Bad Lauchstädt Beschuldigte: "Hunde sowie auch Menschen oder auch andere Tierarten – die Rollen sind angeboren, die sind festgelegt, es gibt nur einen, der ein Alpha sein kann."
Dr. Juliane Bräuer leitet die Forschungsgruppe HundeStudien des Max-Planck-Institutes für Geoanthropologie in Jena. Sie hat Biologie studiert und darin promoviert und hat eine Habilitation in Psychologie. Zur Theorie der Rudelstellung sagt sie: "In meinen Augen gibt es überhaupt keine wissenschaftlichen Belege für diese Theorie." In ihrem Arbeitsalltag erlebe sie oft, dass "in der Hundewelt geballtes Halbwissen und Erfahrungswerte vermischt werden." Sie finde es "fast schon kriminell", dass Menschen sich als "vom Fach" inszenierten und dann Theorien wie die der Rudelstellung verbreiteten: "Das passt leider sehr gut in unsere Zeit mit Fake News." Auch für Verhaltensforschung, so Bräuer, brauche es eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung.
Sie kritisiert in dem Kontext auch "Hundeflüsterinnen" wie Maja Nowak, die die Theorie der Rudelstellung verbreitet hatte – und das 2013 und 2014 auch in einer Dokuserie des ZDF. Bräuer hebt im Gegensatz dazu die Arbeit des "Wolf Science Center" in Wien hervor. Das erforsche die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Wölfen und Hunden wissenschaftlich. Eine der Erkenntnisse der Forschung aus Wien sei, dass Rudel von Hunden in der Regel "schlechter" funktionierten als Wolfsrudel, "weil die meisten Hunde im Gegensatz zu Wölfen dafür gemacht sind, mit Menschen zu leben."
Hunde in Bad Lauchstädt ohne Unterordnung und im Rudel gehalten?
Auf der Website eines Unternehmens, bei dem die Beschuldigte als Geschäftsführerin genannt wird, thematisiert ein Text, dass Beobachtungen im Sinne der Rudelstellung nur möglich seien, wenn die Hunde ohne "Einflüsse" wie Unterordnung und Beschäftigung gehalten würden. Zu diesen Ausführungen passt, dass die in Bad Lauchstädt sichergestellten Hunde es laut Mitteldeutscher Zeitung erkennbar nicht gewohnt gewesen seien, an eine Leine genommen zu werden.
Auf dem Grundstück in Bad Lauchstädt waren die Hunde nach Angaben des Ordnungsamtes in kleinere Gruppe unterteilt gehalten wurden. Diese könnten als Rudel fungiert haben. In einem Video, das die Beschuldigte auf ihrem YouTube-Kanal veröffentlicht hat und das auf dem von ihr gepachteten Grundstück in Bad Lauchstädt aufgenommen worden sein könnte, benennt sie das selbst explizit so.
MDR (Alisa Sonntag, Max Fürstenberg)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT - Das Radio wie wir | 10. Januar 2025 | 18:00 Uhr