• Die einzige Kinderarztpraxis in Bernburg behandelt statt der üblichen 50 Patienten täglich bis zu 120.
• Vor allem seit im Sommer viele Familien mit Migrationshintergrund zugezogen sind, hat sich die Lage verschärft.
• Die Stadt und die Kassenärztliche Vereinigung suchen nach Lösungen.

Mittwoch früh in der Kinderarztpraxis in Bernburg. Die ersten Eltern kommen mit ihren Kleinen zu Kinderärztin Heike Hüfner und nehmen Platz im Warteraum. Eigentlich hat sie keine Zeit für Extragespräche. Trotzdem öffnet sie die Tür zum Arztzimmer und möchte reden, denn die Situation sei angespannt, die Praxis zeitweise überlastet.

Bequem zu schaffen wären 50 Patientinnen und Patienten am Tag. Aber es kämen tageweise bis zu 120, sodass das gesamte Team dann einem extremen Stress ausgesetzt sei, erzählt Hüfner.

Seit Sommer dieses Jahres sind in Bernburg neue Familien mit Migrationshintergrund angekommen. Für das Team der Kinderarztpraxis bedeute die neue Situation, dass trotz hoher Auslastung noch 50 zusätzliche kleine Patienten hinzugekommen sind. Weder die Kinder noch die Eltern würden Deutsch sprechen, sodass sich die Kommunikation sehr schwierig gestalte, sagt Kinderärztin Heike Hüfner. Dolmetscher stünden nicht zur Verfügung und die vorhandenen Sprach-Apps seien in der Übersetzung oftmals ungenau und zudem fehlerhaft, sodass die Behandlung viel Zeit in Anspruch nehme.

Die Kinderarztpraxis von Heike Hüfner (rechts im Bild) ist völlig überlastet. Bildrechte: MDR/Andreas Manke

Kinderkrankenschwester Konstanze Brinkmann bereitet die Untersuchungen der kleinen Patientinnen und Patienten vor. Durch die Kommunikationsschwierigkeiten würde die Vorbereitung mindestens doppelt so viel Zeit in Anspruch nehmen, was für alle Patienten mehr Wartezeit und für das Team letztendlich noch mehr Stress bedeute.

Zwar dürfe die Praxis Patienten aufgrund der hohen Auslastung auch wegschicken, aber das sei moralisch oftmals nicht vertretbar, denn die kranken Kinder brauchen Hilfe. Außerdem würden die Familien die Behandlung einfordern, da es keine Alternative zur einzigen Kinderarztpraxis im Stadtgebiet gäbe. Ohne Auto sind die weiten Wege zu anderen Praxen nur schwer zu überwinden, sagt Hüfner.

Bis zur nächstgelegenen Kinderklinik mit einer 24-Stunden-Notfallambulanz müssen Familien heute 30 Kilometer weit bis Aschersleben fahren, denn Bernburgs Kinderklinik wurde bereits 2008 geschlossen. Zunächst konnten die drei verbleibenden Kinderärzte die Patienten gut versorgen.

Allerdings sind vor rund drei Jahren zwei Kinderarztpraxen im Stadtgebiet geschlossen worden, sodass es aktuell nur noch die eine Kinderärztin gibt.

Laut Kassenärztlicher Vereinigung betreut eine Kinderarztpraxis im Schnitt rund 1.100 Patienten. In Bernburg versorgt die letzte noch verbliebene Kinderärztin Heike Hüfner mehr als 3.000 kleine Patienten, teilte die Stadt mit.

Um die Situation etwas zu entlasten, hatte die Kassenärztliche Vereinigung vor drei Jahren eine zusätzliche Kinderarztstelle in Könnern genehmigt. Allerdings sei das für die Vor-Ort-Versorgung in Bernburg auch keine optimale Lösung, da die Entfernung von 17 Kilometern auch erst überwunden werden müsse, insbesondere vor dem Hintergrund steigender Zahlen von geflüchteten Familien, so die Kassenärztliche Vereinigung.

Ein Blick in die Zukunft zeigt, dass sich das Problem fehlender Kinderärzte in den nächsten Jahren noch zuspitzen wird, insbesondere im Hinblick auf die demographische Entwicklung. Rund ein Drittel der 178 Kinderärzte in Sachsen-Anhalt ist älter als 60 Jahre, teil die Kassenärztliche Vereinigung mit. Dies trifft auch auf Bernburgs einzige Kinderärztin zu.

Um die Suche nach Ärzten zu unterstützen, wurde die zu besetzende Stelle in der Kinderarztpraxis in Bernburg bundesweit ausgeschrieben, inklusive der Möglichkeit der Gewährung einer Mindestumsatzgarantie. Sollte sich eine Kinderärztin oder ein Kinderarzt für Bernburg melden, dann werde die Stadt diese Familie unterstützen, sagt Bernburgs Oberbürgermeisterin Silvia Ristow.

"Wenn jemand als Kinderarzt oder Kinderärztin nach Bernburg kommen möchte, dann werden wir den roten Teppich ausrollen. Wir werden bei einer Ansiedlung unterstützen mit Kindergartenplätzen, bei der Wohnraumsuche und bei der Arztpraxis", verspricht Ristow.