Geschichte bewahren Ortschroniken: Eine Mammutaufgabe von unschätzbarem Wert
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26. Oktober 2024, 10:03 Uhr
Ohne die aufopferungsvolle Arbeit von Ehrenamtlichen sind Ortschroniken wie in Schochwitz in Sachsen-Anhalt undenkbar. Allerdings sind sie mit ihrem Engagement nicht allein. Unterstützung bekommen sie von vielen Institutionen, erzählt Martin Müller vom Landesheimatbund im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT.
MDR SACHSEN-ANHALT: Ist es denn auch in anderen Orten üblich, dass wie in Schochwitz eine eigene Chronik geführt wird?
Martin Müller: Tatsächlich schreiben sehr viele Orte an einer Ortschronik. Allerdings ist das sehr davon abhängig, ob sich jemand findet, der sie ehrenamtlich führt. Dabei ist es auch ganz unterschiedlich, wie umfangreich diese Chroniken ausfallen. Das Ziel ist ja meist, jahresweise die Ereignisse vor Ort festzuhalten und in irgendeiner Form zu publizieren. Wie umfangreich das die einzelnen Personen tun, ist sehr unterschiedlich.
MDR SACHSEN-ANHALT war im Zuge der Aktion "Ein Dorf macht Radio" zu Besuch in Schochwitz und hat in dem Zusammenhang auch über die Ortschronik berichtet. Eine Übersicht über alle Bewerber-Dörfer finden Sie hier:
Welchen Wert haben denn diese Chroniken, sowohl für die Menschen vor Ort und möglicherweise auch für die Wissenschaft?
Die Ortschroniken haben einen enorm hohen Wert. Sie stellen eine eigene Quellengattung dar, die die lokalen Ereignisse vor Ort festhalten und das im besten Fall über einen sehr langen Zeitraum. Damit geben sie einen einzigartigen Einblick in die Ereignisgeschichte vor Ort. Solche Einblicke können in den allerseltensten Fällen von der hauptamtlichen Forschung abgedeckt werden, schon gar nicht in der Fläche. Das heißt auch, je mehr Ortschroniken geführt werden, umso genauer wissen wir, was in den einzelnen Orten und Regionen passiert ist und haben damit auch die Möglichkeit, dieses Wissen zu bewahren und an zukünftige Generationen weiterzugeben und für zukünftige Forschung zu erschließen.
Warum ist es wichtig, dieses Wissen weiterzugeben?
Das ist schon fast eine philosophische Frage. Allgemein gesprochen lässt sich sagen, dass das Wissen um die Vergangenheit sehr bestimmend dafür ist, wie wir das Hier und Jetzt wahrnehmen und die Zukunft planen und gestalten. Unter dem Aspekt der Forschung ist es natürlich auch wichtig für die wissenschaftliche Aufarbeitung und liefert somit stets neue Erkenntnisse über die jeweilige lokale Vergangenheit, die dann auch helfen, diese lokalen Ausschnitte in ein größeres Bild der Vergangenheit einzufügen. Denn nur wenn ich weiß, was in der Vergangenheit passiert ist, kann ich das Hier und Jetzt erklären.
Und ganz konkret für die Menschen, die vor Ort leben: Durch Ortschroniken kann die eigene engste Lebenswelt historisch verstanden und für spätere Generationen dokumentiert werden. Es gibt den Menschen einen historischen Bezug zu ihrer direkten Umwelt, womöglich zu ihrer eigenen Familiengeschichte und durchaus auch lokale Identität. Letztlich dokumentieren diese Chroniken das Zusammenleben der Menschen vor Ort und warum es sich so gestaltet, wie es sich eben gestaltet.
In Schochwitz liegen acht Bänder einer Ortschronik vor. Allerdings endet die Reihe im Jahr 2003, weil die Erstellerin dann nicht mehr in der Lage war, sie weiterzuführen. Was braucht es vor Ort, damit eine Chronik kontinuierlich fortgeführt wird?
Das Wichtigste ist in der Tat, dass es vor Ort Personen gibt, die sich für eine solche Mammutaufgabe, begeistern können. Mammutaufgabe deswegen, weil es eine Aufgabe ist, die meist über Jahre und Jahrzehnte fortgeführt wird und die von den Ortschronistinnen und -Chronisten verlangt, sehr viel Material zu sammeln, zu sichten, auszuwerten, aufzuarbeiten, festzuhalten und zu publizieren und damit letztlich auch sehr viel Lebenszeit zu investieren. Das ist eine Aufgabe, die man nicht unterschätzen darf und die enorme Wertschätzung verdient.
Zudem brauchen die Chronisten Zugriff auf die relevanten Quellen. Also zum Beispiel Archive, wo Unterlagen aufbewahrt werden. Aber auch das Gespräch vor Ort mit Zeitzeugen über Ereignisse, die in der Vergangenheit passiert sind, ist wichtig. Da kommt ein ganzer Komplex an Quellen zusammen, die die Grundlage dafür bieten, was Ortschronisten dann festhalten. Dieses umfangreiche Material auszuwerten, ist die Hauptaufgabe und dafür das Engagement über Jahre aufzubringen, ist das Wichtigste, um eine Ortschronik gut zu führen.
Auf welche Unterstützung können die ehrenamtlichen Chronisten zugreifen?
Wir als Landesheimatbund stellen zum einen Weiterbildungsmöglichkeiten zur Verfügung, damit die Ortschronistinnen und Chronisten mit aktuellen Methoden und Techniken der Wissenschaft vertraut gemacht werden können. Damit wollen wir die Menschen vor Ort in die Lage versetzen, solche Chroniken gut zu gestalten. Unsere Dozentinnen und Dozenten informieren zum Beispiel über richtige Archiv- und Bibliotheksrecherche oder über das Arbeiten mit historischen Karten oder alten Handschriften. Sie stellen den Stand der aktuellen Forschung vor und vermitteln, wie man zu guten Ergebnissen kommt.
Außerdem bieten wir kostenlos einen Buchscanner zur Leihe an, um vorhandene Datenbestände zu digitalisieren. Durch dieses Projekt haben Chronisten, Vereine oder kleine Institutionen vor Ort die Möglichkeit, ihre Materialsammlung zu digitalisieren und damit leichteren Zugriff zu ermöglichen. Teilweise bieten auch Volkshochschulen oder Archive Kurse an, um das Lesen historischer Handschriften zu erlernen. Immer mehr Daten für die Heimatforschung lassen sich zudem online recherchieren, beispielsweise über digitale Bibliotheks- oder Archivkataloge oder Datenbanken. So hat zum Beispiel der Verein für Computergenealogie auf seiner Homepage viel Material für Familienforscher. Ansonsten stehen eigentlich alle betreffenden Institutionen den Ortschronistinnen und Chronisten mit einem offenen Ohr zur Verfügung, so meine Erfahrung.
Das Gespräch führte Hannes Leonard.
MDR (Hannes Leonard)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 22. Oktober 2024 | 07:10 Uhr
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