Deutschlands kleinster Straßenbahnbetrieb "Wilde Zicke" in Naumburg hat nun erstmals einen Azubi
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01. Februar 2025, 07:12 Uhr
Die "Wilde Zicke" in Naumburg – der kleinste Straßenbahnbetrieb Deutschlands – stand immer mal wieder auf der Kippe. Jetzt wird dort erstmals Nachwuchs ausgebildet. Ein Zeichen für eine sichere Zukunft?
- Der Naumburger Straßenbahnbetrieb hatte Nachwuchssorgen. Immer wieder war von einem Aus die Rede.
- Begonnen hat für Jonathan Babel alles mit einem Schülerpraktikum, heute ist er der erste Azubi im Betrieb.
- Die "Wilde Zicke" ist beliebt, aber nicht kostendeckend.
Mit Spachtel und Putzlappen steht Jonathan Babel unter einer Straßenbahn. In der Wartungsgrube im Depot der Naumburger Straßenbahn GmbH kümmert er sich gerade um die Handbremse von Triebwagen 37. Das Fahrzeug ist 66 Jahre alt – und hat seine turnusmäßige Durchsicht. Die ist alle vier Tage fällig, damit der Triebwagen sicher und störungsfrei durch die Straßen der Saalestadt rollen kann.
Straßenbahn in Naumburg: Technik aus den 50er und 60ern
Das Reinigen und Schmieren des Bremsgestänges gehört dazu. Jonathan Babel weiß längst, wie das geht. Der 19-jährige Naumburger ist seit drei Jahren Mitglied im Förderverein der Straßenbahn seiner Heimatstadt, seitdem packt er regelmäßig in seiner Freizeit mit an. Ihn reize die Technik der Fahrzeuge, sagt er; die jüngsten stammen aus den 50er und 60er Jahren.
"Hier kann man direkt nachvollziehen, was passiert – weil eben vieles noch mechanisch und nicht elektronisch abläuft." So groß war das Interesse, dass Jonathan, der im vergangenen Sommer sein Abitur abgeschlossen hat, nun eine Ausbildung zum Industriemechaniker macht – bei der Naumburger Straßenbahn. Dort ist er der erste Azubi im Betrieb.
Nachwuchs dringend gesucht
Sehr zur Freude von Geschäftsführer Andreas Plehn. Er gehört zu denen, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die Naumburger Bahn heute überhaupt noch – oder wieder – unterwegs ist. Denn spätestens mit Ende der DDR sollte ihr Betrieb endgültig eingestellt werden. Doch eine Handvoll Enthusiasten stemmte sich gegen das Aus. Zunächst mit einem Verein und einem Museumsbetrieb.
Daraus wurde ein Unternehmen, das inzwischen für viele Naumburger aus dem Nahverkehrsangebot ihrer Stadt nicht mehr wegzudenken ist: ÖPNV mit ausschließlich historischen Fahrzeugen. Die "Wilde Zicke", wie die Bahn in der Stadt liebevoll genannt wird, ist der kleinste Straßenbahnbetrieb Deutschlands.
Doch um den in die Zukunft zu führen, brauche es neue Leute, sagt Geschäftsführer Plehn. Deshalb freut er sich so über das Interesse von Jonathan. "Das ist ja wie ein Fünfer im Lotto, heutzutage, bei dem Fachkräftemangel." Denn bis man sich wirklich auskenne mit den alten Fahrzeugen und deren Technik brauche es ein paar Jahre.
Das ist ja wie ein Fünfer im Lotto, heutzutage, bei dem Fachkräftemangel.
Vom Praktikanten zum Azubi bei der "Wilden Zicke"
Als Naumburger ist Jonathan Babel mit der Straßenbahn groß geworden. Und hatte dann vor ein paar Jahren die Idee, ein Schülerpraktikum im Depot zu machen. Am Anfang stand noch gar nicht der Wunsch, daraus eine Ausbildung und eine berufliche Karriere zu machen, erzählen Jonathan und Andreas Plehn gleichermaßen. "Er hat sich das genau angeschaut. Er hat sich vieles zeigen lassen, auch für sich geprüft: Will ich das oder will ich das nicht? Am Ende war er es, der uns gebeten hat: Überlegt doch mal, ob ihr ausbilden wollt."
"Ich finde es beeindruckend, was hier über Jahrzehnte hinweg entstanden ist. Ohne den Einsatz des Vereins und der Kollegen der ersten Stunde würde es die Bahn heute gar nicht mehr geben. Und das wäre unfassbar schade", sagt Jonathan. Es sitzt mittlerweile im Führerstand von Triebwagen 37 und drückt eine ganze Reihe von Knöpfen. Die betätigen Scheinwerfer, Blinker und die Türen des Fahrzeugs. All das muss funktionieren, wenn es wieder auf die Strecke soll.
Bei der Technikkontrolle darf Jonathan schon mal auf dem Platz des Straßenbahnfahrers sitzen. Aber losfahren darf er nicht. Noch nicht. Denn das Mindestalter dafür beträgt 21 Jahre. Bis dahin hat Jonathan noch fast zwei Jahre Zeit. Aber er ist geduldig, denn er weiß: eines Tages wird es soweit sein, dass er auch dieses Ziel erreicht.
Mitfahren kann er so lange als Schaffner. Dafür hat er sich schon vor einiger Zeit schulen lassen, gerade um bei Stadtfesten oder anderen Anlässen aushelfen zu können, sagt Jonathan. Den Kontakt mit den Kunden mag er.
Publikumsliebling auf Schienen
Die Kunden wiederum mögen "ihre" Straßenbahn. Auf 2,8 Kilometern Strecke rollen die Triebwagen zwischen dem Hauptbahnhof und dem Salztor, umrunden dabei immerhin auf drei Seiten die Naumburger Innenstadt. Der Rest der einstmals fünf Kilometer langen Ringbahn existiert nicht mehr. Die aktuell befahrene Strecke haben Verein und Bürger sich gegen viele Widerstände aus der Politik regelrecht ertrotzt – immer in Abschnitten von ein paar hundert Metern.
Im kleinsten Straßenbahnbetrieb Deutschlands sorgen heute zehn feste und viele ehrenamtliche Mitarbeiter für ein echtes Nahverkehrsangebot. Die Bahnen fahren fast durchweg in einem Halbstundentakt; werktags startet der Betrieb um halb sechs und endet abends kurz nach neun. Zu bewältigen ist das nur mit viel Herz und Leidenschaft.
Die Fahrgastzahlen sind seit Beginn des Linienverkehrs im Jahr 2007 kontinuierlich gestiegen und haben die anfänglichen Erwartungen längst übertroffen. Gerade erst vermeldet die Naumburger Straßenbahn GmbH einen neuen Rekord: 298.000 Fahrgäste wurden im vergangenen Jahr befördert – im Vergleich zu 2023 ein Anstieg um 25 Prozent. Eine kleine Sensation, die sicher auch dem Deutschlandticket zu verdanken ist.
Wilde Zicke: Beliebt, aber kostspielig
Doch auch wenn die Tram bei den Naumburgern und den Gästen der Stadt immer beliebter wird – kostendeckend fährt sie keineswegs. Seit Jahren kommen das Land Sachsen-Anhalt und auch die Stadt Naumburg für die Verluste auf; immer wieder war deshalb auch in den vergangenen Jahren vom "Aus" für die "Wilde Zicke" die Rede.
Inzwischen aber sendet die Politik neue Signale. Auch der Burgenlandkreis will sich – erstmals überhaupt – an der Finanzierung der Straßenbahn beteiligen. In welcher Höhe, steht noch nicht fest. Aber bei der Naumburger Straßenbahn GmbH deutet man das als Bereitschaft der Politik, die Zukunft der Bahn auf sichere Füße zu stellen. "Am Ende wird man eine Lösung finden", gibt sich Geschäftsführer Andreas Plehn zuversichtlich. Insofern zeugt die Entscheidung des Unternehmens, erstmals Nachwuchs auszubilden, auch von großem Optimismus.
Frischer Wind für alte Bahnen
Jonathan Babel teilt diesen Optimismus. Seit einem halben Jahr ist er nun Azubi bei der Naumburger Straßenbahn und fühlt sich wohl im Team. "Es ist einfach eine zweite Familie", sagt der 19-Jährige. Dazuzugehören sei für ihn eine große Ehre.
Zurzeit ist er wochentags nur selten im Betrieb; stattdessen drückt er die Schulbank in der Berufsschule oder ist zur Ausbildung in der Berufsakademie Leuna-Merseburg. Dafür kommt er an den Wochenenden und sogar an manchem Urlaubstag. "Da ist es schwierig, von der Arbeit und vom Depot fernzubleiben", sagt Jonathan.
"Jonathan bringt frischen Wind und auch neue Ideen", freut sich Geschäftsführer Andreas Plehn. Deshalb will er auch künftig auf Nachwuchs setzen. "Jonathan muss nicht der Letzte sein. Wir brauchen für die Zukunft junge, dynamische Kräfte, die wirklich Lust und Liebe hier an diesen alten Bahnen haben." Und er fügt hinzu: "Man kann sich hier auch einen Lebenstraum erfüllen."
Jonathan arbeitet zielstrebig daran, seine Träume zu verwirklichen. Die Ausbildung abschließen. Selbst eine Straßenbahn steuern. Auch ein Studium kann er sich vorstellen. Verkehrsingenieurwesen – das würde passen. Denn für ihn ist klar: er will dann zurückkommen nach Naumburg. Zu denen gehören, die den Betrieb weiterführen. Hier, bei der Straßenbahn seiner Heimatstadt, sieht er seine Zukunft.
MDR (Max Schörm)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 29. Januar 2025 | 19:00 Uhr
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