Corona-Hotspot Corona im Pflegeheim: "Die schwerste Zeit meines Berufslebens"

25. Januar 2023, 09:02 Uhr

Mitarbeitende und Bewohner von Pflegeheimen infizierten sich in den vergangenen drei Jahren besonders häufig mit Corona – so auch im Naumburger Luisenhaus. Dort ist nach jahrelangem Ausnahmezustand inzwischen so etwas wie Normalität eingezogen. Für mögliche neue Infektionswellen ist man trotzdem vorbereitet.

Lucas Riemer
Bildrechte: MDR/Tilo Weiskopf

Es ist Mittagszeit im Luisenhaus. Ein Teil der rund 80 Bewohnerinnen und Bewohner des Naumburger Pflegeheimes sitzt in einem der Gemeinschaftsräume, neben manchem Stuhl steht ein Rollator. Kathrin Schmidt läuft in ihrem dunkelblauen Kasack von Tisch zu Tisch und gießt Saft aus einer Kanne in die Gläser der Bewohner.

Die Altenpflegerin, die seit elf Jahren im Luisenhaus arbeitet, trägt noch eine Maske, doch ansonsten erinnert hier nur wenig an Coronaviren, Inzidenzen oder Pandemiewellen. In der Naumburger Pflegeeinrichtung ist weitestgehend Normalität eingezogen. Dabei wurde das Luisenhaus so wie die meisten Altenpflegeeinrichtungen im Land schwer von der Corona-Pandemie getroffen.

Pflegekräfte besonders oft mit Corona infiziert

Insgesamt drei große Corona-Ausbrüche gab es seit Beginn der Pandemie in dem Naumburger Pflegeheim, den schwersten im Frühjahr 2022. Drei Wochen lang war das von der Caritas betriebene Haus damals für Besucherinnen und Besucher geschlossen. Bis heute haben sich alle der 46 Pflegenden und ein Großteil der Bewohnerinnen und Bewohner mindestens einmal mit dem Coronavirus infiziert.

Es ist ein Trend, der sich auch im aktuellen Barmer-Pflegereport widerspiegelt. Die Daten aus Sachsen-Anhalt, die MDR SACHSEN-ANHALT exklusiv vorliegen, zeigen, dass allein auf dem Höhepunkt der Pandemie im März 2022 von je 1.000 Pflegefachkräften in den Heimen des Landes rund 19 aufgrund einer Covid-19-Diagnose arbeitsunfähig waren. In anderen Berufsgruppen war die Quote nur etwa halb so hoch.

Die Folge: Vielerorts mussten Pflegerinnen und Pfleger, die selbst nicht infiziert waren, für ihre krankgeschriebenen Kollegen einspringen, um den Betrieb der Pflegeheime so gut es eben ging aufrecht zu erhalten. So war es auch im Naumburger Luisenhaus. Altenpflegerin Kathrin Schmidt kann sich noch gut an diese Zeit erinnern: "Weil man viele Dienste nacheinander gegangen ist, war man oft erschöpft. Aber wir haben uns untereinander sehr unterstützt und das bestmögliche aus der Situation gemacht", sagt sie.

Für die Menschen, die im Luisenhaus leben, sei es ebenfalls eine schwere Phase gewesen. "Viele Bewohner konnten aufgrund ihrer Demenz nicht verstehen, warum auf einmal die Angehörigen nicht mehr zu Besuch kommen. Wir Pfleger waren dann auch Seelentröster. Das war für uns nicht ganz einfach."

Auch Pflegeheim-Bewohner steckten sich überdurchschnittlich oft an

Zu denen, die die Corona-Pandemie im Luisenhaus als Bewohner miterlebt haben, gehört das Ehepaar Schneider. Christa, 85, und Eberhard Schneider, 83, sind seit 60 Jahren verheiratet und leben seit Sommer 2019 in dem Naumburger Pflegeheim. Auch die beiden erwischte das Virus – so wie viele Menschen in Sachsen-Anhalts Pflegeheimen. Die Daten des Barmer Pflegereports zeigen, dass der Anteil der Covid-19-Infizierten in Pflegeeinrichtungen im Verlauf der Pandemie hierzulande zeitweise mehr als fünfmal so hoch war wie in der Gesamtbevölkerung.

Bei Christa und Eberhard Schneider blieben die Symptome glücklicherweise mild. Angst um sich und ihren Mann habe sie nicht gehabt, sagt Christa Schneider. "Ich habe gedacht, das geht vorüber irgendwann. Und wir waren ja versorgt und gut betreut. Es war alles in Ruhe", sagt die 85-Jährige.

Für mich war das alles gar nicht so schlimm.

Christa Schneider, Bewohnerin Luisenhaus

Selbst als es Gästen verboten war, das Luisenhaus zu betreten, mussten die Schneiders nicht auf Kontakt zu ihrer Familie verzichten. Weil das Ehepaar ein Zimmer mit Balkon zur Straßenseite bewohnt, konnten die beiden von dort aus mit ihren Angehörigen sprechen. Geschenke und Lebensmittel von außerhalb wurden kurzerhand per Seil auf den Balkon gezogen. "Für mich", sagt Christa Schneider, "war das alles gar nicht so schlimm". Als Kind habe sie zu Kriegszeiten viel Schlimmeres erlebt.

Erkenntnisse aus der Corona-Krise

Tatsächlich ist das Luisenhaus vergleichsweise glimpflich durch die Pandemie gekommen. Drei Bewohner seien bislang nachweislich an Corona gestorben, sagt Michael de Boor, der Geschäftsführer des Pflegeheimes. In manch anderer Einrichtung in Deutschland war die Zahl der Corona-Toten dagegen zweistellig. Sollte es noch einmal eine gefährliche Corona-Welle geben, sei man darauf vorbereitet, so de Boor.

"Wir haben für uns einen Modus entwickelt, dass wir wissen, was passiert wenn. Wir können sehr schnell in den Krisenmodus schalten, um eine Weiterverbreitung zu verhindern. Es gibt dann Isolation für Bewohnerinnen und Bewohner, es gibt Schutzkleidung, es gibt deutlich mehr an regelmäßigen Tests, um zu verhindern, dass irgendwas passiert", sagt de Boor. Ohnehin würden Mitarbeitende im Luisenhaus täglich getestet, so der Geschäftsführer.

Wie weiter mit den Corona-Schutzmaßnahmen?

Noch bis zum 7. April gelten die derzeitigen, im Infektionsschutzgesetz des Bundes festgehaltenen Regeln für Pflegeheime. Wer etwa das Luisenhaus besuchen will, muss bis dahin einen negativen Testnachweis mitbringen und als Gast in geschlossenen Räumen eine FFP2-Maske tragen. Geht es nach Michael de Boor, bräuchte es diese Schutzmaßnahmen ab April nicht mehr.

"Wir haben gemerkt, dass die Krankheitsverläufe im Moment wie eine mittelschwere Erkältung sind und dass es den Bewohnerinnen und Bewohnern danach wieder gut geht. Die Gefährdung der vulnerablen Personengruppen, die immer wieder aufs Schild gehoben wird, haben wir hier im Haus gottseidank nicht in der Schärfe erlebt", sagt der Geschäftsführer.

Auch Daniela Ringkamp geht davon aus, dass die schlimmste Phase der Pandemie überstanden ist. Als Abteilungsleiterin bei der Caritas in Magdeburg ist sie für die 16 Pflegeheime des Verbandes in Sachsen-Anhalt zuständig. "Wir stehen dem Geschehen nicht mehr hilflos gegenüber", sagt Ringkamp.

Die durch die Politik vorgegebenen Regelungen, um die Effekte der Pandemie aufzufangen, hätten sich als gut und wirksam erwiesen. Offen sei allerdings, wie es mit der Finanzierung der Corona-Tests in den Einrichtungen weitergehe. Denn die aktuelle Regelung gilt nur noch bis Ende Februar. "Das muss weiterhin gewährleistet sein", sagt Ringkamp.

Dankbar für Normalität

Wenn Altenpflegerin Kathrin Schmidt auf die vergangenen drei Jahre zurückblickt, spricht sie von der schwersten Zeit ihres Berufslebens – für die Bewohner, für die Angehörigen, aber auch für das Pflegepersonal. "Ich bin froh, dass sich alles sich ein bisschen gelegt hat", sagt sie. Bereut habe sie ihre Berufswahl trotzdem zu keiner Sekunde. "Dieser Beruf gibt auch sehr viel zurück", sagt Schmidt.

Es freue sie, dass Ergo- und Physiotherapie für die Bewohnerinnen und Bewohner wieder möglich sind, dass sie wieder Spazieren gehen und Besuch empfangen können, sagt die Altenpflegerin. Die Stimmung im Luisenhaus habe sich dadurch spürbar verändert: "Alle lächeln wieder öfter" – ganz so, als freuten sie sich über so etwas wie Normalität.

Lucas Riemer
Bildrechte: MDR/Tilo Weiskopf

Über den Autor Lucas Riemer arbeitet seit Juni 2021 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Der gebürtige Wittenberger hat Medien- und Kommunikationswissenschaft in Ilmenau sowie Journalismus in Mainz studiert und anschließend mehrere Jahre als Redakteur in Hamburg gearbeitet, unter anderem für das Magazin GEOlino.

Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er vor allem über gesellschaftliche und politische Themen aus den Regionen des Landes.

MDR (Lucas Riemer) | Zuerst veröffentlicht am 22.01.2023

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 22. Januar 2023 | 19:00 Uhr

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