Interview zum Pflegereport "Digitalisierung, Telemedizin oder WLAN – darauf waren die Pflegeheime nicht vorbereitet"
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22. Januar 2023, 20:20 Uhr
Jedes Jahr veröffentlicht die Barmer einen Report über die Situation der Pflege in Deutschland. Axel Wiedemann ist Geschäftsführer der Krankenkasse in Sachsen-Anhalt. Hier spricht er über die Belastungen für die Pflegeheime im Land durch die Corona-Pandemie – und sagt, was sich künftig verbessern muss.
MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Wiedemann, wie belastet waren Sachsen-Anhalts Pflegeheime durch die Corona-Pandemie?
Axel Wiedemann: Pflegeheime waren neben den Krankenhäusern die am meisten belasteten Einrichtungen. Das betraf einerseits die Bewohnerinnen und Bewohner, die zu den sogenannten vulnerablen Gruppen gehören und überdurchschnittlich häufig an Covid-19 erkrankten. Aber auch die Pflegekräfte in den Heimen waren in den ersten Corona-Wellen stark überproportional von Krankschreibungen wegen Covid-19 betroffen. Gleichzeitig mussten sie sehr achtsam sein, um nicht selbst zu Superspreadern zu werden und die vulnerablen Gruppen zu gefährden.
Und auch für die Angehörigen der Bewohnerinnen und Bewohner war es eine Herausforderung, ihre Eltern oder Familienmitglieder nicht mehr besuchen zu können und kaum noch Kontakt zu haben. Stattdessen mussten sie ein Stück weit darauf vertrauen, dass in den Pflegeheimen ein professioneller Job gemacht wird.
Zur Person: Axel Wiedemann
Axel Wiedemann arbeitet seit 1991 bei der Barmer, seit 2013 ist er Landesgeschäftsführer der Krankenkasse in Sachsen-Anhalt. Die Barmer veröffentlicht jedes Jahr einen Report über die Situation der Pflege in Deutschland.
Wie schätzen Sie das Krisenmanagement der Pflegeeinrichtungen in Sachsen-Anhalt während der Pandemie ein?
Das Pandemiemanagement ist ein lernendes System. Es gab zu Beginn niemanden, der wusste, wie er mit dieser neuen Situation umzugehen hat. Die Situationen, die wir dann vorgefunden haben, wurden professionell gemanagt, etwa, indem man die Einrichtungen zeitweise geschlossen und das Pflegepersonal mit Vollschutz ausgestattet hat. Das hat recht gut funktioniert. Was aber aus unserer Sicht ein Lerneffekt für die Zukunft sein muss: Die Pflegeheime waren zeitweise von der Außenwelt abgeschnitten. Digitalisierung, telemedizinische Aspekte oder überhaupt nur ein WLAN-Anschluss, darauf waren sie nicht vorbereitet.
Was aber aus unserer Sicht ein Lerneffekt für die Zukunft sein muss: Die Pflegeheime waren zeitweise von der Außenwelt abgeschnitten. Digitalisierung, telemedizinische Aspekte oder überhaupt nur ein WLAN-Anschluss, darauf waren sie nicht vorbereitet.
Viele erinnern sich an die Szenen, wie ältere Herrschaften in ihren Zimmern saßen und aus dem Fenster ihren Angehörigen zugewunken haben, weil es keinen anderen Weg mehr gab, sich auszutauschen. Im Laufe der Pandemie hat sich daran schon etwas geändert. Manche Pflegeeinrichtungen haben zum Beispiel Sprechkabinen mit Laptops oder Tablets eingerichtet und so Videokonferenzen mit Angehörigen ermöglicht. Da merkt man, dass es eine Lernkurve gab.
Welche Lehren müssen für künftige Pandemien gezogen werden?
Es gibt die Absicht der Landesregierung in Sachsen-Anhalt, dass Zimmer in den Pflegeheimen nur noch mit einer Person belegt werden sollen. Das unterstützen wir ausdrücklich, weil das dazu führt, dass eine Heimbewohnerin oder ein Heimbewohner in einem Zimmer für sich ist und nicht mit ein oder zwei anderen zusammen.
Und es ist allerhöchste Zeit, dass man sagt: Wir sind im 21. Jahrhundert, es gibt Standards, die sind einfach Lebensrealität. Da muss zum Beispiel eine WLAN-Verbindung in einer solchen Einrichtung existieren, die es ermöglicht, mit Angehörigen zu kommunizieren. Und die Pflegekräfte müssen für solche Ausnahmesituationen so fit gemacht werden, dass sie eine gewisse Routine entwickeln und nicht nur ihre Empathie reinwerfen.
Die Schutzmaßnahmen in den Pflegeheimen, etwa Test- und Maskenpflicht für Gäste, laufen – Stand jetzt – im April aus. Welche Regelungen braucht es in Ihren Augen dauerhaft?
Ich glaube, dass die Pandemie in die Endemie übergegangen ist. Das muss sich entsprechend in den Schutzmaßnahmen widerspiegeln. Fakt ist aber auch, dass die Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeheimen im Regelfall sehr schutzbedürftige Menschen sind, mit denen man sensibel umgehen muss. Wenn man also Maßnahmen nach unten fährt, darf das nicht heißen, Maßnahmen komplett abzuschaffen.
Welche politischen Konsequenzen wünschen Sie sich aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie?
Sachsen-Anhalt ist eines der Bundesländer, das bislang keine Investitionen in die Pflegeeinrichtungen getätigt hat, obwohl entsprechende Vereinbarungen geschlossen wurden. Ich wünsche mir, dass man dieser Verpflichtung ähnlich wie bei den Krankenhäusern nachkommt, dass man die Absicht der Belegung mit einer Person pro Zimmer mit aller Konsequenz verfolgt und dass man die Pflegeeinrichtungen auf dem Weg der Digitalisierung im 21. Jahrhundert begleitet.
Wir müssen das Berufsbild des Altenpflegers modernisieren, müssen sagen, das ist ein toller Job.
Außerdem sollte man den tollen, empathischen Beruf des Altenpflegers weiter nach vorne bringen. Wir müssen das Berufsbild modernisieren, müssen sagen, das ist ein toller Job. Das setzt entsprechende Rahmenbedingungen voraus. Das Land Sachsen-Anhalt ist da auf keinem schlechten Weg, aber dieser Weg ist durchaus noch ausbaubar.
Wie können wir vulnerable Gruppen bei künftigen Infektionswellen oder Pandemien besser schützen?
Es gibt das Sprichwort "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not". Übertragen auf die Pflege heißt das, dass wir uns schon in Zeiten, in denen es die Situation erlaubt, mit allen möglichen Dingen beschäftigen sollten, damit solche Ausnahmesituationen wie die Corona-Pandemie im Ernstfall beherrschbar bleiben. Wir brauchen jetzt ein Fehler- und Aufgabenmanagement in den Pflegeeinrichtungen, um solchen Ereignissen zukünftig noch besser und frühzeitiger begegnen zu können.
Die Fragen stellte Lucas Riemer.
MDR (Lucas Riemer)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 22. Januar 2023 | 19:00 Uhr
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