Lohnlücke zu alten Bundesländern Menschen in Sachsen-Anhalt verdienen 14.000 Euro weniger
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19. April 2024, 12:00 Uhr
Gehälter in Sachsen-Anhalt sind 23 Prozent geringer als in den alten Bundesländern. Ein Volkswirt erklärt, wie der Fachkräftemangel die Lohnlücke in Zukunft verringern könnte und welche Veränderungen Sachsen-Anhalt Hoffnung machen. Mit grafischen Auswertungen der am meisten betroffenen Branchen und der Lohnentwicklung.
- Ein Hauptgrund für die Lohnlücke ist der Mangel an Produktivität in den Unternehmen.
- Die Lohnlücke verkleinert sich seit Jahren nicht.
- Der Fachkräftemangel wird die Lohnlücke wohl verringern, weil der Wettbewerb um qualifizierte Arbeitnehmer steigt.
- Der Strukturwandel könnte eine große Chance für Sachsen-Anhalt sein.
Die Lohnlücke zwischen den neuen und alten Bundesländern bleibt groß. Das geht aus aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor, die MDR SACHSEN-ANHALT vorliegen. Diese Lohnlücke betrifft Sachsen-Anhalt besonders stark. Im Jahr 2023 lag der durchschnittliche Bruttolohn von Vollbeschäftigten in Sachsen-Anhalt bei 47.002 Euro. In den alten Bundesländern verdienten Vollbeschäftigte hingegen durchschnittlich 60.798 Euro – fast 14.000 Euro mehr.
Unternehmen im Osten sind weniger produktiv
Der Hauptgrund für die geringeren Löhne im Osten liege in der geringeren Arbeitsproduktivität, sagt Volkswirt Dr. Steffen Müller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Bei der Produktivität schaut man oft darauf, wie viele Produkte in einem gewissen Zeitraum erzeugt werden. Zum Beispiel: Gehen pro Stunde acht oder zehn neue Autos vom Band?
1991 lag die Produktivität der ostdeutschen Wirtschaft noch bei 45 Prozent der westdeutschen Wirtschaft. In den Folgejahren habe der Osten stark aufgeholt, erklärt Müller. Mittlerweile sei die ostdeutsche Wirtschaft bis auf 80 Prozent der westdeutschen Produktivität herangekommen.
Seit einigen Jahren ändere sich an der Lücke jedoch kaum noch etwas. Das könne man nicht auf mangelnde Motivation der Beschäftigten zurückführen. "Die Ost-West-Forschung zeigt eher, dass es an den Unternehmen liegt", sagt Müller. "Der Westen ist gerade in der Industrie eine sehr, sehr leistungsfähige Region, die selber auch immer produktiver wird. Da aufzuholen ist einfach sehr schwer."
Die Lohnlücke wird nicht kleiner
Wie bei der Produktivität rennt der Osten dem Westen bei den Löhnen mit fast gleichbleibendem Rückstand hinterher. 2009 lagen die Löhne von Vollzeitbeschäftigten in den neuen und alten Bundesländern 11.183 Euro auseinander. Seitdem ist diese Lohnlücke sogar gestiegen. 2014 verdienten Ostdeutsche 13.210 Euro weniger als in den alten Bundesländern. Auch 2022 und 2023 betrug die Lohnlücke etwa 13.000 Euro pro Bruttojahresverdienst.
Bemerkenswert ist, wie deutlich der Durchschnittslohn innerhalb bestimmter Branchen zwischen Ost- und Westdeutschland divergiert. In der Unternehmensführung und -beratung verdient man in Sachsen-Anhalt 39 Prozent weniger als in den alten Bundesländern. In der Rechtsberatung verdient man den Daten zufolge sogar weniger als die Hälfte. Branchen mit einem hohen Anteil an staatlich Beschäftigten wie Bildung, Gesundheit, Pflege und Verwaltung trifft die Lohnlücke hingegen kaum.
Liegt es am Niedriglohnsektor?
Martin Mandel vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Sachsen-Anhalt weist auf die Bedeutung des Niedriglohnsektors hin, in den in Sachsen-Anhalt jedes vierte Beschäftigungsverhältnis falle. Gerade das Gastgewerbe sei hier betroffen, "wo dann meist der Mindestlohn als Nonplusultra angesehen wird. Also oftmals der Lohn nicht höher liegt als die gesetzliche Haltelinie, die der Bundesgesetzgeber eingezogen hat." Die Branchen des Gastgewerbes – mit Ausnahme von Catering – fallen in der Tat unter die zehn schlechtbezahltesten Branchen in Sachsen-Anhalt.
27.216 Euro beträgt der jährliche Bruttodurchschnittslohn von sachsen-anhaltinischen Vollbeschäftigten in Restaurants, Imbissen und Cafés. Damit liegt ihr Einkommen 26 Prozent unter dem Vergleichswert der alten Bundesländer. Die durchschnittliche Lohnlücke zwischen Sachsen-Anhalt und den alten Bundesländern liegt bei 23 Prozent. In anderen Bereichen des Gastgewerbes – Hotels (-11%) und Ferienunterkünften (-22%) – arbeiten Beschäftigte zwar ebenfalls zu Niedriglöhnen, aber die Lohnlücke zum Westen fällt unterdurchschnittlich aus.
Was machen die Gewerkschaften?
Tun die Gewerkschaften angesichts des ausgeprägten Niedriglohnsektors in Sachsen-Anhalt zu wenig? "Definitiv nicht", wehrt sich Martin Mandel von der DGB. Stattdessen seien zu wenige Arbeitgeber in Arbeitgeberverbänden organisiert. "Den Gewerkschaften fehlt der klassische Gegenspieler zur Aushandlung von Tarifverträgen", sagt der DGB-Sprecher. Das führe zu vielen einzelnen Kämpfen um Firmentarifverträge, anstatt über Branchentarifverträge viele Beschäftigte gleichzeitig besserzustellen.
In den alten Bundesländern arbeiten 43 Prozent der Beschäftigten unter Branchentarifverträgen – in Sachsen-Anhalt sind es nur 38 Prozent. Allerdings steht Sachsen-Anhalt generell bei der Tarifbindung vergleichsweise gut da. Wenn man auch die Firmentarifverträge berücksichtigt, arbeiten 51 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden. In den alten Bundesländern sind es durchschnittlich 52 Prozent.
Inflation fraß zuletzt die Lohnsteigerungen
Die Lohnentwicklung in Sachsen-Anhalt reflektiert Errungenschaften der Gewerkschaften. Bis 2021 stiegen die Reallöhne kontinuierlich – also der Lohn, über den Beschäftigte tatsächlich verfügen, wenn man auch die Preissteigerungen berücksichtigt. In den vergangenen drei Jahren übertraf die hohe Inflation aber den Einkommensanstieg. Hoffnung auf erneut steigende Reallöhne macht die deutlich gesunkene Inflationsrate. Im März 2024 lag sie bei 2,2 Prozent.
Die Lohnlücke wird kleiner, der Fachkräftemangel größer
Der Blick in die Zukunft beim Thema Lohnlücke zeigt Licht und Schatten. "Früher war es die Massenarbeitslosigkeit, jetzt wird es der extreme Fachkräftemangel sein, der uns in den nächsten Jahren hier stark zu schaffen machen wird", sagt Wirtschaftswissenschaftler Müller. Laut Prognosen wird der Fachkräftemangel den Osten härter treffen als den Westen. Der Hauptgrund: In den wirtschaftlich unsicheren Wendejahren brachen die Geburtenzahlen ein. Diese Generation fehlt dem Arbeitsmarkt.
"Aber der Fachkräftemangel dürfte einen positiven Effekt auf die Löhne haben. Denn wenn sich Arbeitgeber um weniger Beschäftigte streiten, dann werden sie mit den Löhnen nach oben gehen müssen", sagt Müller. Auf der anderen Seite würden viele Unternehmen diesen Wettbewerb nicht überleben. Staatliche Hilfsprogramme sieht der Volkswirt kritisch, weil sie das Grundproblem der geringeren Produktivität nicht lösten.
Der Strukturwandel macht Hoffnung
Eine große Chance für Sachsen-Anhalt sieht Müller im deutschlandweiten Strukturwandel hin zu mehr Robotik, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. "Das erfordert ganz neue Geschäftsmodelle. Das erfordert neue Produkte. Und es ist immer leichter als aufholende Region dort aufzuholen, wo Dinge gerade im Entstehen sind."
MDR (Tycho Schildbach)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 19. April 2024 | 12:00 Uhr
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