Massive Versorgungslücken Neue Prognose: Über 500.000 Sachsen-Anhalter bald ohne Zahnarzt
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05. Februar 2024, 12:24 Uhr
Schwierigkeiten bei der Terminfindung oder Probleme, überhaupt einen Zahnarzt oder eine Zahnärztin zu finden: In Sachsen-Anhalt sollen die Auswirkungen des Mangels im zahnmedizinischen Bereich in den kommenden Jahren immer deutlicher werden. Wie ernst die Lage werden könnte – und was dagegen getan wird.
- Vielerorts in Sachsen-Anhalt droht bald eine zahnärztliche Unterversorgung.
- Hauptproblem: Beträchtlicher Teil der Zahnärzteschaft findet keine Nachfolge.
- Zahnärzteverband hofft auf finanzielle Unterstützung der Landesregierung.
Bis zum Jahresende 2030 könnte es für mehr als 500.000 Menschen in Sachsen-Anhalt keine zahnärztlichen Behandlungskapazitäten mehr geben. Das geht aus der am Montag veröffentlichen Prognose "Versorgungsatlas 2030" der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt (KZV LSA) hervor, die MDR SACHSEN-ANHALT vorab vorlag. Laut den neuen Prognosedaten werden in den kommenden sieben Jahren rund 600 Zahnärztinnen und Zahnärzte aus der vertragszahnärztlichen Versorgung ausscheiden. Das sind rund 40 Prozent der heute aktiven Zahnärzteschaft. Demgegenüber wird nur mit knapp 200 neuen Niederlassungen oder Anstellungen gerechnet.
Die Folge: Die bereits heute vorhandenen Engpässe in der Versorgung – besonders im Landkreis Börde und im Jerichower Land – werden sich bis zum Jahr 2030 auf viele weitere Regionen im Land ausbreiten.
Rein rechnerisch findet in wenigen Jahren jeder und jede Vierte in Sachsen-Anhalt niemanden mehr, der im Schmerzfall die Zähne behandelt oder eine Vorsorgeuntersuchung anbietet. Hinter diesem Durchschnittswert verbergen sich allerdings große regionale Unterschiede. Besonders dramatisch fällt die Prognose für das Jerichower Land, die Altmark und den Landkreis Mansfeld-Südharz aus.
Vielerorts in Sachsen-Anhalt droht zahnärztliche Unterversorgung
Die Prognosen basieren zum einen auf den zu erwartenden Zu- und Abgängen der Zahnärztinnen und Zahnärzte in Sachsen-Anhalt, zum anderen auf der aktuellen Bevölkerungsprognose des Landes. Diese wurde im Juni 2021 veröffentlicht und beinhaltet unter anderem die Großansiedlung von Intel bei Magdeburg noch nicht. Jochen Schmidt, Vorstandsvorsitzender der KZV LSA und selbst noch praktizierender Zahnarzt in Dessau-Roßlau, befürchtet daher, dass die regionale Versorgung noch schlechter werden könnte als prognostiziert – mit weitreichenden Folgen insbesondere für die ländliche Bevölkerung:
Zum Jahresende 2030 wird laut Berechnungen der KZV LSA für acht der 14 Landkreise und kreisfreien Städte rein rechnerisch eine drohende oder akute Unterversorgung bestehen. Dass die zahnärztliche Versorgung noch ausreichend ist, wird lediglich für Halle, den Landkreis Anhalt-Bitterfeld und Dessau-Roßlau angenommen. Die Bauhausstadt sticht dabei laut KZV LSA aus der Statistik besonders heraus, weil die zahnmedizinischen Angestellten der dortigen Großklinik ebenfalls eingerechnet werden, an der Grundversorgung jedoch nicht regulär teilnehmen.
Um eine 100-prozentige zahnärztliche Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, müssen laut KZV LSA bis zum Jahr 2030 rund 340 zahnärztliche Vollzeitstellen in Sachsen-Anhalt besetzt werden. Mit Blick auf die zunehmenden Teilzeitanstellungen liegt die tatsächliche Zahl der Zahnärztinnen und Zahnärzte, die zum Schließen dieser Versorgungslücke benötigt werden, noch darüber.
Ruhestandswelle rollt, aber zahnärztliche Nachfolge fehlt
Einer der Hauptgründe für die zunehmenden Versorgungsengpässe ist der hohe Altersschnitt der Zahnärztinnen und Zahnärzte in Sachsen-Anhalt. Aktuell ist bereits die Hälfte mindestens 55 Jahre alt, über ein Drittel hat bereits das 60. Lebensjahr überschritten.
Ein beträchtlicher Teil der Zahnärzteschaft steht also unmittelbar vor dem Ruhestand und damit auch vor der Frage, was mit der eigenen Praxis geschieht. Denn laut KZV LSA wird statistisch nur in vier von zehn Praxen eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger gefunden, die den Patientenstamm übernimmt und weiter versorgt. Immer mehr Patientinnen und Patienten beklagen laut KZV-Vorstandsvorsitzenden Schmidt schon heute längere Wartezeiten oder Anfahrtswege. In die Praxen drängen zudem immer mehr Schmerz- und Notfallpatienten. Und auch die Zahl derer, die auf der Suche nach einem Zahnarzt sind, steigt stetig.
Die Zahnärzteschaft und ihre Praxismitarbeitenden haben in den zurückliegenden Jahren so viel für die Menschen erreicht. Und nun blicken wir einer düsteren Zukunft entgegen. Das ist für alle an der Versorgung Beteiligten im Land überaus frustrierend.
Probleme bei zahnärztlicher Versorgung lange bekannt
Dass sich innerhalb weniger Jahre ein gravierender Versorgungsengpass entwickeln wird, ist keine neue Erkenntnis. Bereits 2020 erschien die 1. Auflage des "Versorgungsatlas 2030". Schon damals, so argumentiert die KZV LSA, habe man darauf hingewiesen, dass die Versorgungsproblematik ohne unterstützende Anstrengungen der Landesregierung nicht zu bewältigen sei. Im Januar 2023 wurde die Landesregierung bei einem Landtagsbeschluss gebeten, die Zahnarztverbände bei Maßnahmen zur Vermeidung einer möglichen Unterversorgung zu unterstützen.
Mitte Juni 2023 hat die Landesregierung wiederum um eine detaillierte Überarbeitung des ursprünglichen "Versorgungsatlas 2030" durch die KZV LSA gebeten, "um eine Beurteilung der prospektiven Entwicklung der vertragszahnärztlichen Versorgung an den gesetzlich geltenden Vorgaben vornehmen zu können." Diese Überarbeitung liegt der Landesregierung nun vor. Angesichts der aus Sicht der KZV LSA "alarmierenden Prognose" hofft Jochen Schmidt, dass zeitnah neue Maßnahmen auf den Weg gebracht werden. Denn momentan würde die bröckelnde Versorgungslage scheinbar nicht in der Politik ankommen.
Die Landesregierung muss ihre Verantwortung für die Sicherung und Gewinnung von Fachkräften im zahnärztlichen Bereich wahrnehmen. Schließlich können wir uns keine Zahnärztinnen und Zahnärzte "backen".
In anderen Bundesländern haben die Landesregierungen laut KZV LSA den großen Bedarf bereits erkannt und handeln entschlossener.
Lösungsansätze gegen die drohende Unterversorgung
Um die zahnärztliche Versorgung in Sachsen-Anhalt zu fördern, existiert bereits seit 2010 eine Reihe von Ansätzen. Dazu gehören laut KZV unter anderem Kooperationen mit Hochschulen, Landkreisen und Gemeinden sowie finanzielle Förderungen bei Praxisübernahme oder -neugründung und auch für diejenigen, die in versorgungsschwachen Regionen ihre Zulassung über das vollendete 65. Lebensjahr hinaus fortführen.
Seit September 2022 werden zudem jährlich zwölf Stipendien für ein Zahnmedizin-Studium an der Universität Pécs (Ungarn) mit einer anschließenden Tätigkeitsverpflichtung von mindestens fünf Jahren in Sachsen-Anhalt vergeben. Im Sommer 2027 sollen die ersten Stipendiatinnen und Stipendiaten ihr Studium abschließen, aktuell sind beide Förderjahrgänge voll besetzt. Aus Sicht von Jochen Schmidt ein Modell, das sich mit mehr finanzieller Unterstützung schnell ausbauen lassen könnte:
Doch die bereits ergriffenen Maßnahmen sind laut KZV LSA allein nicht ausreichend, um den zukünftigen Bedarf zu decken. Für Jochen Schmidt wäre daher auch die Einführung einer Landeszahnarztquote – vergleichbar mit der Landarztquote im hausärztlichen Sektor – eine wirksame Maßnahme, um zahnärztlichen Nachwuchs zu gewinnen und an Sachsen-Anhalt zu binden.
MDR (Manuel Mohr), dpa
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 05. Februar 2024 | 07:40 Uhr
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