Tierhalter geben auf Angst vor Höfesterben in der Landwirtschaft: "Mussten die Notbremse ziehen"
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20. März 2024, 10:38 Uhr
Vor zwei Jahren entschloss sich die Agrargenossenschaft Cobbelsdorf, sich von der Schweineproduktion zu verabschieden – zu groß waren die Verluste wegen dauerhaft niedriger Preise. Der Betrieb ist nicht der einzige, der die Reißleine gezogen hat: Die Zahl der Schweinezüchter ist um fast zehn Prozent zurückgegangen. Nach den Schweinehaltern rollt eine Welle der Marktbereinigung auf die Milchproduzenten zu.
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- In Köselitz im Landkreis Wittenberg wurden jahrzehntelang Schweine gehalten. Vor zwei Jahren war Schluss damit. Die Preise für Ferkel waren einfach zu niedrig.
- Die Schließung ist kein Einzelfall: In ganz Sachsen-Anhalt sinkt die Zahl der Schweinezüchter.
- Nun macht auch der Milchpreis Sorgen.
Wenn Egbert Laaß durch den verwaisten Schweinestall in Köselitz geht, wird er wehmütig. Blitzblank wurde die Anlage verlassen, Sonnenlicht flutet die Ställe, unberührtes Spielzeug hängt an den Gittern. Zwischen Futterspendern und Gittern haben Spinnen erste Netze gebaut. Die Anlage könnte mit wenig Aufwand sofort wieder in Betrieb genommen werden; es ist alles noch da und wartet eigentlich nur auf neue Schweine. Doch für die Agrargenossenschaft Cobbelsdorf ist das Kapitel Sauenhaltung abgeschlossen.
Sauenhaltung in Cobbelsdorf: Aus nach 40 Jahren
Vor fast genau zwei Jahren, im April 2022, sind die letzten von einst 1.260 Sauen ausgestallt worden. Das Kapitel Schweineproduktion in Köselitz fand damit ein Ende – nach 40 Jahren. Anfang der 1980er-Jahre wurde die Schweinezucht von der Vorgänger-LPG hier aufgebaut, der Betrieb immer wieder modernisiert und ausgebaut. Um die 40.000 Ferkel pro Jahr hat Köselitz verkauft. Doch der Preisverfall ging zuletzt weit über das hinaus, was man unter dem normalen Schweinezyklus versteht, also schwankenden Preisen, die leicht unter oder über der sogenannten Nullllinie der Erzeugerpreise liegen und sich irgendwie wieder ausgleichen.
Preise für Ferkel im Keller geblieben
Die Entscheidung fiel schwer, hing doch die Existenz von 14 Familien an der Arbeit in der Sauenzuchtanlage. Monatelang hat der Vorstand der Agrargenossenschaft Cobbelsdorf sie vor sich hergeschoben, immer in der Hoffnung, dass die Preise für Ferkel wieder steigen würden. Doch sie blieben niedrig. Während die Kosten bei knapp 60 Euro pro Ferkel lagen und mit der Verteuerung von Energie und Futter 2022 auf zirka 80 Euro stiegen, blieben die Preise die Ferkel im Keller.
Am Tiefpunkt wurden gerade noch 18 Euro für ein junges Schwein gezahlt. "Wir haben 2021 700.000 Euro Minus allein mit der Schweinehaltung eingefahren. Wenn wir nicht die Notbremse gezogen hätten, wäre es 2022 weit über eine Million gewesen", ist sich der Vorstand der Agrargenossenschaft Cobbelsdorf, zu der die Sauenzuchtanlage gehörte, sicher. "Das kann niemand dauerhaft durchhalten." Zwei Jahre nach dem Aus weiß Egbert Laaß: Es war die richtige Entscheidung.
Wir haben 2021 700.000 Euro Verlust eingefahren allein mit der Schweinehaltung. Wenn wir nicht die Notbremse gezogen hätten, wäre es 2022 weit über eine Million gewesen.
Immer weniger Betriebe, die Schweine halten
Auch wenn die Zahl der Schweine im Land 2023 langsam wieder gestiegen ist und im Herbst mit knapp 972.000 Tieren fast wieder auf Vorjahresniveau lag, so nimmt doch die Zahl der Betriebe weiter ab. Laut Statistischem Landesamt gab es 2023 neun Prozent weniger Schweine haltende Betriebe in Sachsen-Anhalt. Laut Landesbauernverband ist bei seinen Mitgliedern die Zahl der Schweinehalter von 170 auf 150 im vergangenen Jahr gesunken. "Man muss sich nur hier im Landkreis umgucken", sagt Egbert Laaß. "Wenig weiter hat auch eine Anlage in unserer Größe geschlossen, aus den gleichen Gründen, zur gleichen Zeit wie wir."
Schwierige Rahmenbedingungen
Es sind die Rahmenbedingungen und die dauerhaft niedrigen Erzeugerpreise, die die Betreiber zur Aufgabe zwingen. Dazu gehören Vorschriften, die teure Investitionen nötig machen, umfangreiche Dokumentationen, Auflagen und nicht zuletzt zunehmender Personalmangel. Die Agrargenossenschaft Cobbelsdorf hat ihre defizitäre Schweinehaltung lange Zeit mit den besser laufenden Sparten Ackerbau und Milchproduktion sowie mit ihrer Ökodomäne quersubventioniert. Zuvor hatte die Schweinehaltung im Trockenjahr 2018 noch das Minus im Ackerbau ausgeglichen.
Inzwischen sind auch die Getreidepreise nach einem kurzen Hoch 2022 wieder gefallen. Landwirte bleiben auf ihrem Getreide sitzen, weil der Markt gerade geflutet wird mit dem Getreide US-amerikanischer Kapitalgesellschaften. Die haben in der Ukraine wertvollen Schwarzboden und Teile der dortigen Landwirtschaft aufgekauft. Für das dort billig und mit hier verbotenen Chemikalien produzierte Getreide hat die Europäische Union die Zölle erlassen; europäische Landwirte können mit dieser Billigkonkurrenz nicht mithalten. Einer der Hintergründe für die europaweiten Bauernproteste.
Marktbereinigung in der Tierhaltung
"Man kann gut und gerne von einer Marktbereinigung sprechen", formuliert Egbert Laaß. "Es ist immer eine Frage, wie lange man das durchhalten kann. Nach den Schweinen trifft es jetzt die Milchproduzenten." Denn auch die Milchpreise sind wieder im Sinkflug nach einem kurzen Hoch um den Jahreswechsel 2022/2023. "Bei uns werden jetzt statt 52 nur noch 42 Cent pro Liter gezahlt. Diese 10 Cent machen 40.000 Euro im Monat aus", rechnet der Vorstand vor, während er durch die 500er Milchviehanlage führt, wo die Kühe gemütlich ihr Futter kauen.
Die Anlage in Cobbelsdorf stehe allerdings nicht zur Disposition. "Wir haben hier vor knapp 20 Jahren einen neuen Stall gebaut, da müssen wir jetzt durch", weiß Egbert Laaß. "Aber wer jetzt investieren muss, der geht dieses Risiko nicht ein und schmeißt das Handtuch." Sicherheit gebe es keine, die Preisentwicklung ist völlig unkalkulierbar, was für neue Auflagen aus der Politik kommen, ist ebenso ungewiss.
Gut im Geschäft
Auch wenn die Milchpreise wieder gesunken sind und die Erzeugerkosten durch Preissteigerungen bei Futter und vor allem Energie gestiegen, ist die Agrargenossenschaft Cobbelsdorf mit diesem Betriebsteil gut im Rennen. "Die Strukturen passen, wir haben gute Flächen und machen weiter", verkündet Egbert Laaß. "Was mich allerdings wundert, ist, dass die Molkereien mitmachen beim Drücken der Preise. Schließlich sind sie ja auf den Rohstoff Milch angewiesen, und der kommt nicht mehr, wenn die Betriebe schließen." Die Marktbereinigung sei eine Preisgeschichte. Wer keine entsprechenden Erlöse habe, der müsse aufgeben.
MDR (Annette Schneider-Solis) | Erstmals veröffentlicht am 16.03.2024
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 17. März 2024 | 17:00 Uhr
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