Mehrere Stapel mit Akten liegen auf einem Tisch am Finanzgericht Berlin-Brandenburg. 12 min
Audio: Claudia Thiele vom Landkreis Wittenberg will der Verwaltung Beine machen. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Patrick Pleul
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MDR SACHSEN-ANHALT Sa 08.03.2025 14:48Uhr 11:38 min

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Interview Den Behörden Beine machen: Initiative verlangt eine Reform der Verwaltung

09. März 2025, 12:56 Uhr

Behörden und Verwaltungen sind überlastet und kommen kaum noch hinterher. Dem will die Initiative "Re:form: Zukunftsstaat Deutschland" etwas entgegensetzen und verlangt tiefgreifende Reformen. Schirmherr ist der Bundespräsident. Unterzeichnet haben den Aufruf ehemalige Bundesminister, Verfassungsrichter und Bürgermeister: insgesamt rund 200 Menschen. Eine davon ist Claudia Thiele. Sie arbeitet beim Landkreis Wittenberg, ist dort für die Digitalisierung der Verwaltung zuständig.

MDR SACHSEN-ANHALT: Frau Thiele, gegen einen modernen Staat kann eigentlich niemand irgendwas haben. Woran scheitert das denn bislang?

Claudia Thiele: Da haben Sie Recht, gegen einen modernen Staat kann tatsächlich niemand was haben. Das hat sich auch in unserer Initiative herausgebildet, dass eigentlich alle die gleiche Meinung haben. Nichtsdestotrotz ist der Staatsapparat sehr groß, sehr träge, historisch gewachsen über viele, viele Jahrhunderte, kann man ja schon fast sagen. Darauf basieren Strukturen, die es nicht wirklich ermöglichen, agil zu arbeiten, schnell auf Probleme zu reagieren. Nicht umsonst gibt es den Spruch, die Mühlen der Verwaltung mahlen langsam.

Aufruf Reform Verwaltung
Claudia Thiele vom Landkreis Wittenberg hat den Aufruf für die Verwaltungsreform unterzeichnet. Bildrechte: Claudia Thiele

Claudia Thiele ...ist Referentin für E-Government und Digitalisierung beim Landkreis Wittenberg.

An manchen Stellen ist das mittlerweile auch störend, hinderlich. Neue Technologien machen es natürlich auch möglich, dass man alte Strukturen aufbrechen kann und mittlerweile auch muss. Denken wir an den Slogan: "Wir regieren anders, als wir leben.": Wenn wir uns unsere Lebensrealität angucken, zählen dazu Online-Shopping, Online-Banking, Google, Chat GPT. Wenn ich mir aber die Verwaltung angucke, erkenne ich solche Strukturen dort nur bedingt. Da treffen wir immer noch auf Papierformulare, auf unklare Zuständigkeiten, auf Verwaltung nach Organigramm.

Ich komme aus der Digitalisierung. Dadurch habe ich natürlich auch genau diese Brille auf. Die Daten müssen laufen, nicht die Antragsstelle. Ich liebe diesen Spruch, weil er sehr treffend ist.

Insofern sozusagen auch ein Aufruf an die Beschäftigten in der Verwaltung, sich da zu engagieren. Gibt es was, was Menschen außerhalb von Verwaltung tun können? Wie können wir als Gesellschaft den Menschen in Behörden helfen, voranzukommen?

Auch da habe ich wieder die Digitalisiererbrille auf: Was mir immer wieder begegnet, ist eine starke Skepsis gegenüber neuen Lösungen in der Verwaltung. Stichwort Bund-ID. Das wäre mir wichtig, dass mehr Marketing beispielsweise dafür gemacht wird, weil die Bund-ID an sich eine super Sache ist, aber wirklich häufig hinterfragt wird. Das ist sehr schade.

Wahre Effizienzgewinne kann man eigentlich aber nur dann gewinnen, wenn man wirklich Prozesse digital abbilden kann und auch darf.

Claudia Thiele Initiative "Re:form: Zukunftsstaat Deutschland"

Zudem das Thema 'Digital Only' – das bedeutet, dass man Anträge tatsächlich ausschließlich online stellen kann. Das sorgt auch immer wieder für großen Aufschrei. Wahre Effizienzgewinne kann man eigentlich aber nur dann gewinnen, wenn man wirklich Prozesse digital abbilden kann und auch darf.

Da wünsche ich mir ein bisschen mehr Vertrauen in die Lösungen, die wir anbieten. Und: Dass ich eine Baugenehmigung als Datensatz auf meinem Rechner habe und nicht zwingend einen Ordner im Schrank. Viele brauchen das aber einfach noch.

Was als Ansatz oder Idee außerdem in dem Aufruf zur Initiative dabeisteht, ist: mehr Experimente für den Start von morgen wagen und ausprobieren. Haben Sie da mal ein Beispiel?

Wenn sich mehrere Kommunen zusammentun, um eine Leistung gemeinsam anzubieten. Das ist das Stichwort Shared Service Center. Anhalt Bitterfeld ist ein gutes Beispiel. Der Hackerangriff hat die Verwaltung lahmgelegt. Es wäre ja kein Problem gewesen, dass die Kfz-Zulassung dann einfach bei einer anderen Behörde läuft. Aber die veralteten Strukturen haben das einfach ein bisschen erschwert.

Und es wäre sinnvoll, so etwas mal auszutesten. Durch digitale Lösungen ist es ja sowieso noch viel einfacher, zu sagen: Okay, wir haben ein 'Frontoffice' für die Antragsteller, aber das 'Backoffice' teilen wir uns agil so ein, wo gerade der Bedarf am größten ist. Sodass wir auch nicht überall Mitarbeiter und Maß beschäftigen müssen, sondern das aufteilen können.

Solche Sachen kann man wirklich mal im Kleinen experimentieren. Diese Dinge sind auch skalierbar. Davon brauchen wir mehr.

Die Verwaltung ist im Grunde genommen der Nukleus der Demokratie vor Ort. Jede Kommune, der Landkreis, die Rathäuser, die Bürgerzentren sind der Punkt, wo die Demokratie am spürbarsten ist.

Claudia Thiele Initiative "Re:form: Zukunftsstaat Deutschland"

Was wir auch noch einmal klarstellen müssen, ist: Warum ist Verwaltung eigentlich so wichtig?

Die Verwaltung ist im Grunde genommen der Nukleus der Demokratie vor Ort. Jede Kommune, der Landkreis, die Rathäuser, die Bürgerzentren sind der Punkt, an dem die Demokratie am spürbarsten ist.

Der Bund und das Land sind eben einfach sehr weit weg. Ich bin auch ein kommunaler Vertreter, habe darum wieder auch diese Brille auf. Aber ich sehe es ja selber: Die Bürger haben dann ihren Ansprechpartner hier vor Ort. Und die Verwaltungen sind ja auch zuständig für Sicherheit, für Ordnung, für das ganze Thema Daseinsvorsorge. Und sie sind einfach eine sehr, sehr wichtige Säule unserer funktionierenden Gesellschaft.

Das heißt im Umkehrschluss, dass auch eine Bürokratie an sich nichts Schlechtes ist, weil sie darauf achtet, dass Regeln eingehalten werden?

Bürokratie ist sogar notwendig. Bürokratieabbau ist auch notwendig. Wir sind ein sehr überreguliertes Land. Das ist richtig. Aber jede Regel basiert auf einer Ursache. Man muss im Grunde genommen an die Prozesse, an die Ursachen, an die Regeln ran. Und nicht – wie in den USA, wo man sich ja quasi nur Zahlen anguckt und dann radikal einfach absägt, um zu sparen –, ohne überhaupt die Prozesse zu kennen. Das ist eigentlich ein Garant für Chaos. Ich bin gespannt, wie sich das noch weiterentwickelt. Aber so funktioniert es nicht.

Jetzt sehen wir die Initiative und den Aufruf dazu. Es ist ja nicht der erste Aufruf und die erste Initiative dieser Art. Die gibt es so ähnliche auch schon von anderen Organisationen. Viele Leute wissen, wo die Probleme sind. Was macht Sie denn zuversichtlich, dass Sie mit dem Aufruf jetzt etwas ändern können?

Aus meinen Augen ist das die erste Aktion, die dermaßen konzertiert und auch Ebenen-übergreifend abläuft. Weil wir ja aus allen kommunalen Ebenen kommen, Bund, Land, Landkreis, Staat, Sachbearbeiter, Bürgermeister. Wir haben einen Tenor, wir sind uns einig. In meinen Augen ist das tatsächlich so noch nicht da gewesen. Deshalb stecke ich große Hoffnung rein.

Wir sind in Koalitionsverhandlungen. Es wird sich einiges bewegen. Es steht ein Digitalministerium im Raum. Wir haben Entwürfe für ein mögliches Gesetz, was eine Rahmenstruktur vorgibt für die IT-Infrastruktur. Es gibt so viel Potenzial in diesem Aufruf, auch für die kommende Regierung, dass das nicht ungehört bleiben darf.

Die Fragen stellte Marcel Roth.

Mehr zum Thema Verwaltung und Bürokratie in Sachsen-Anhalt

MDR (Marcel Roth, Hannes Leonard)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 08. März 2025 | 17:00 Uhr

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