Heimat- und Kulturvereine Zwischen Elan und Existenzangst
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16. April 2024, 18:12 Uhr
Die Motivation ist groß, der Fördertopf klein: Die Kultur- und Heimatvereine werden größtenteils von Ehrenamtlichen getragen. Der Landesheimatbund Sachsen-Anhalt will sie diese Woche gezielt zusammenbringen und vernetzen. Am Montag fand das erste Treffen statt. Im Porzellaneum Annaburg kamen Probleme auf den Tisch – und Ideen für neue Lösungen.
- Die Heimat- und Kulturvereine treffen sich diese Woche zum Erfahrungsaustausch
- Mit dem Motto #ModernDenken will der Landesheimatbund mit Vorurteilen aufräumen – und stellt auch junge Vereine vor
- In der Vereinsarbeit wird oft ein demokratisches Miteinander im Kleinen sichtbar
Im Annaburger Porzellaneum wird zu Beginn der Woche der Heimat- und Kulturvereine das ausgestellt, was in den Vitrinen der Museen und Gedenkstätten meist nicht zu sehen ist: Das Ehrenamt dahinter. 24 Vereine machen hier den Auftakt der landesweiten Aktionswoche, die dieses Jahr erstmals dezentral stattfindet. Sie sind nach Annaburg gekommen, um sich zu vernetzen und Erfahrungen auszutauschen.
Siegfried Kramer führt durch das Porzellaneum. Er erklärt, wie Porzellan hergestellt wird, zeigt die Werkstatt, in der Kinder und Erwachsene Porzellanfiguren gießen und anmalen können. Eigentlich kommt Kramer vom Bau – und hat sich als Rentner dazu entschieden, im Förderverein Porzellaneum mitzuhelfen. Hier ist er nun für Bau und Umbau eingesetzt, aber auch für Führungen. So schwer sei das mit dem Porzellan gar nicht, meint Kramer: "Das kann eigentlich jeder machen, der Kuchen backen kann."
Nachwuchsmangel und Digitalisierung setzen Vereine unter Druck
Auch, wenn Ehrenamtliche wie Siegfried Kramer ihr Engagement mit Leichtigkeit betrachten – die Vereine in Sachsen-Anhalt stehen vor Herausforderungen. Neben dem immer präsenten Problem mangelnder Finanzierungsmöglichkeiten kämpfen viele Vereine mit fehlendem Nachwuchs. Und gerade in kleinen Orten wie Annaburg kommt standortbedingt zu wenig Publikum hinzu. "Ich habe in Berlin einen Porzellan-Mal-Laden gesehen", sagt Siegfried Kramer, "der genau das macht, was wir auch anbieten - voll die Bude. Schulklassen, Kinder, Eltern, Kindergeburtstag. Aber die haben vier Millionen Leute. Und wir haben 2.800 oder 2.500."
Ich habe in Berlin einen Porzellan-Mal-Laden gesehen, der genau das macht, was wir auch anbieten - voll die Bude.
Auch die voranschreitende Digitalisierung ist ein Diskussionsthema, insbesondere wenn die Vereine von älteren Menschen getragen werden. Dabei kann gerade Digitalisierung nicht nur ein Problem, sondern auch ein Lösungsansatz sein. Das Porzellaneum geht – und da ist ein von Rentnern getragener Verein kein Widerspruch – mit gutem Beispiel voran. Hier wurde ein kontaktarmer Rundgang ausgefeilt: Freier Zugang zum Museum, Infos und Erklärungsvideos am Bildschirm – dafür Videoüberwachung. Aber: Kein Personal mehr, das auf potentielle Gäste warten muss.
Moderne und Tradition muss kein Widerspruch sein
#ModernDenken, so das vom Land Sachsen-Anhalt adaptierte Motto der Woche des Landesheimatbundes, unter dem die Vereine zusammenkommen. Dem Bund geht es auch darum, dem verstaubten Klischee von Heimat- und Kulturvereinen etwas entgegenzusetzen. "Gerade Heimatvereine und Kulturvereine sind sehr innovative und oft sehr moderne Institutionen, die ganz entscheidend in ihren Dörfern dazu beitragen, dass Kultur passiert, dass Menschen zusammenkommen, dass Feste gefeiert werden", sagt John Palatini, Geschäftsführer des Landesheimatbundes, "und natürlich auch Traditionen gepflegt werden." Und er fügt hinzu: "Aber eben modern und nicht als Wiederholung des immer Gleichen."
Heimat – das versteht man hier bei dem Treffen der Vereine nicht zwangsläufig als Verharren oder Konservativsein. Sondern als etwas, das Pflege braucht. Und dem man vielleicht auch etwas zurückgeben will. So kam es auch zur Vereinsgründung von "Vereinfacht", dem mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren mit Abstand jüngsten Verein auf dem Vernetzungstreffen in Annaburg. Der Verein ist aus einem Schulfreundeskreis gewachsen: Junge Leute, die Lust auf ein Musik-Festival zum Mitmachen hatten – und zwar in Annaburg, auch wenn viele von ihnen mittlerweile in Halle, Leipzig oder Berlin leben.
Die Region bietet für die Gruppe auch Vorteile, gerade wenn es um kurze Wege und Kontakte geht, etwa zur örtlichen Musikschule oder zu Leuten mit bestimmtem handwerklichen Geschick. "Man könnte sagen, deswegen sind wir auch hier“, meint Alexander Weiß von Vereinfacht e.V., "um das nachhaltig offenzulegen und zu zeigen, dass das möglich ist. Und dass wir was cooles Miteinander auf die Beine stellen können."
Demokratisches Lernen im Mikrokosmos Verein
Aus dieser Motivation ist vergangenes Jahr erstmals das Festival "con:action" enstanden, bei dem neben Bandauftritten auch darum geht, Musizierende aus der Region zusammen- und auf die Bühne zu bringen. Das Festival soll dabei nicht das einzige Projekt des Vereins bleiben, dem es auch um ein gesellschaftliches Anliegen geht. "Wir versuchen hier Angebote reinzubringen, die eine Perspektive eröffnen. In gewisser Weise nicht nur zu sagen: wie sich manche Strukturen abbauen und dass man gucken muss, wie man hier über die Runden kommt. Sondern etwas proaktiv so vorschlägt und gestaltet, dass man Lust hat, da mitzumachen."
Wir versuchen hier Angebote reinzubringen, die eine Perspektive eröffnen.
Das politische Engagement, der Einsatz der Vereine für ein demokratisches Miteinander, das der Landesheimatbund in dieser Woche betonen möchte – das zeigt sich in der Arbeit der Vereine zumeist nicht durch ein ausgesprochen politisches Projekt als Aushängeschild oder durch eine klare Satzung. Es zeigt sich als gelebte demokratische Praxis: Ob als Zusammenbringen der Generationen in einem Trauer-Café in der Porzellan-Werkstatt oder als Musik-Festival, das Veränderung initiieren möchte – anstatt bei dem Ärger über Schwierigkeiten stehenzubleiben.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 15. April 2024 | 07:30 Uhr