Eine junge Frau mit hochgestecktem Haar in roter Bluse und Absatzschuhen sitzt auf einer Art halbgefülltem Heißluftballon auf einer Theaterbühne.
Das Thema Abtreibung wird in der Inszenierung am Theater in Dessau in zwei Monologen verhandelt. Bildrechte: Claudia Heyse

Uraufführung "Am Rande des Orbits" Theaterpremiere über sexuelle Selbstbestimmung in Dessau

von Sandra Meyer, MDR KULTUR

10. November 2023, 15:28 Uhr

Am Dessauer Theater gibt es an diesem Wochenende eine Uraufführung – zu einem kontroversen und gleichzeitig oft verdrängten Thema: Das Stück "Am Rande des Orbits" dreht sich um Schwangerschaft, Abtreibung und Frauenrechte. Zugleich ist es ein partizipatives Theaterprojekt, bei dem authentische Stimmen aus der Dessauer Bevölkerung eingeflossen sind. So möchte das Theater einen Ort des Austauschs über die vermeintlichen Tabuthemen schaffen.

Auf der Bühne herrscht eine nächtliche Atmosphäre. Zwei Frauen finden nicht in den Schlaf, getrieben von Gefühlen und Gedanken über ihr Selbstverständnis, ihren weiblichen Körper, über Sex, Schwangerschaft und Abtreibung. Es sind virulente Themen, die die Regisseurin Sahar Rezaei gemeinsam mit der Autorin Nora Deetje Leggemann zu einem Theaterstück entwickelt hat: "Es gibt verschiedene Themen, die in dem Stück auftauchen. Einmal das Thema Abtreibung, das sehr präsent ist in dem Stück, und einmal das Thema Schweigen", so Rezaei. "Über welche Themen spricht man? Über welche Themen schweigt man? Und wie kann man überhaupt damit anfangen, über bestimmte Themen zu reden?", fragt die Regisseurin.

Partizipatives Theater als Begegnungsort

Aus der Erkenntnis, dass es für viele schwierig ist, über diese Themen zu reden, entstand die Idee zum Theaterstück. Das Besondere: Für die Recherche wurden Menschen in Dessau nach ihren Gedanken zum Thema befragt. In diesem partizipativen Theater sieht die 1991 im Iran geborene Regisseurin, die seit sieben Jahren in Deutschland lebt und seit dieser Spielzeit die Schauspielleitung am Anhaltischen Theater übernommen hat, große Chancen: "Ich glaube, wenn man für Themen, über die man normalerweise nicht so gerne redet, einen Raum schafft, dann baut man eine völlig andere Beziehung zum Zuschauer auf." Für sie sei es ein Ziel des Theaters, mehr mit den Einwohnern der Stadt, Kulturinteressierten oder auch jüngeren Menschen in Kontakt zu kommen.

Zwar waren es am Ende nur Dessauer Frauen, die sich auf den Aufruf im Internet gemeldet haben – leider kein einziger Mann, bedauert Rezaei – dennoch habe sie eine beeindruckende Offenheit erlebt. Die Aussagen sind dann nicht nur in den Text eingeflossen, sondern tauchen auch als reale Stimmen in der Inszenierung auf. Das macht das Stück authentisch.

Eine junge Frau mit langem braunem Haar steht auf einer Theaterbühne, im Hintergrund ist die unabgeschickte Chatnachricht "Können wir reden" auf eine Leinwand projeziert.
In die Inszenierung sind auch authentische Stimmen von Dessauerinnen eingeflossen. Bildrechte: Claudia Heyse

Parallele Perspektiven sind zu sehen

Gleichsam lag in der Inszenierung eine besondere Herausforderung, denn die beiden Protagonistinnen treten auf der Bühne nicht in einen Dialog, sondern reflektieren sich im Selbstgespräch. Zwei Monologe unterschiedlicher Perspektiven laufen parallel, in derselben Nacht, derselben Stadt und spiegeln sich dabei, erzählt die Dramaturgin der Inszenierung, Luise Vollprecht: "Es gibt eine junge Frau, die das Ganze erlebt, aus der Situation einer möglichen Betroffenen. Und es gibt die andere Frau, die distanzierter auf das Ganze blickt, die recherchiert, die sozusagen die ganzen Hintergrundinformationen und Fakten zu dem Thema bereitstellt."

Theaterabend als Reflexionsraum

Letztlich ist das Thema natürlich nicht auf Dessau beschränkt, sondern omnipräsent. Deshalb auch der Titel "Am Rande des Orbits". Die Inszenierung fügt sich ein in den Kontext um Abtreibungsverbote in Polen und den USA oder in Deutschland die Diskussion um den Artikel 219a, der das Werbeverbot für Abtreibungen regelt. "Es ist eine Debatte, die weltweit geführt wird, sehr emotionalisiert streckenweise, mit sehr verhärteten Fronten auf beiden Seiten", so Dramaturgin Vollprecht.

Politisch aufgeladen, öffentlich skandalisiert oder als Tabuthema verschwiegen – zwischen diesen Polen dreht sich auch die Inszenierung, die nicht nur mit Ton-Collagen arbeitet, sondern auch mit Licht, Musik und Soundeffekten.

Atmosphärisch verdichtet, versucht man so das Dilemma der Frauen zwischen äußerem Anspruch und innerer Prägung, zwischen medialer Darstellung und direktem Erleben zu zeichnen. Antworten gibt es an diesem Abend nicht – nur die Hoffnung, die Besucherinnen und Besucher mögen sich ihre eigenen Gedanken machen.

Zwei Menschen in Raumanzug-artiger Kleidung mit Vogelkopfmasken stehen auf einer Theaterbühne und blicken auf eine Kugel, die von der Decke hängt. Darauf sind Bilder einer Demontration zu sehen und auf einem Demoplakat die Aufschrift "Keep Abortion Legal".
"Keep abortion legal" appelliert ein projeziertes Demoplakat im Bühnenbild. Bildrechte: Claudia Heyse

Weitere Informationen zu "Am Rande des Orbits"

Schauspiel von Nora Deetje Leggemann
Uraufführung am 10. November 2023

Anhaltisches Theater Dessau
Altes Theater
Lily-Herking-Platz 1
06844 Dessau-Roßlau

Regie: Sahar Rezaei
Bühne und Kostüme: Viviane Niebling
Musik: Sara Trawöger
Video: Aileen Krause
Dramaturgie: Luise Vollprecht
Besetzung: Anja Bothe, Mona Georgia Müller

Aufführungstermine:
Fr, 10. November 2023, 19 Uhr
So, 26. November 2023, 19 Uhr
Sa, 2. Dezember 2023, 19 Uhr
So, 7. Januar 2024, 18 Uhr
Mo, 8. Januar 2024, 11 Uhr
Fr, 12. Januar 2024, 19 Uhr

Quelle: MDR KULTUR (Sandra Meyer)
Redaktionelle Bearbeitung: hro

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 10. November 2023 | 07:40 Uhr

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