
Pionierinnen Frauen der Jahrhundertwende werden wiederentdeckt
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20. April 2025, 15:24 Uhr
Kennen Sie Gabriele Reuter? Wissen Sie, wer die Frau mit der dunklen Hochsteckfrisur ist, die Max Klinger wieder und wieder porträtiert hat? Oder haben Sie schon mal eine Oper von Ethel Smyth gehört? All diese Frauen haben im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen gewirkt, waren Bestsellerautorinnen, Pionierinnen des Expressionismus oder berühmte Komponistinnen. Trotzdem gerieten ihre Namen in Vergessenheit. Jetzt wird ihr Werk wieder gewürdigt.
- Im Zuge der Wiederentdeckung von Frauen werden auch die Werke der Weimarer Schriftstellerin Gabriele Reuter wieder veröffentlicht.
- Auch die Gedichte der Leipziger Lyrikerin Elsa Asenijeff, bislang bekannt durch die Porträts Max Klingers, rücken wieder in den Fokus.
- Ebenso wird die Musik der britischen Komponistin Ethel Smyth wieder aufgeführt.
Im Jahr 1895 erschienen in Deutschland gleich zwei Romane über tragische Frauenfiguren. Doch während der eine, "Effi Briest" von Theodor Fontane, noch heute zum literarischen Kanon gehört, ist der andere kaum bekannt: Gabriele Reuters Buch "Aus guter Familie". Der Roman war mit 28 Auflagen der erste Bestseller des S. Fischer-Verlags. Er erzählt schonungslos vom Schicksal der jungen Agathe, die an den starren Rollenbildern der wilhelminischen Gesellschaft zerbricht.
Gegenstück zu "Effi Briest" neu aufgelegt
Ende 2024 hat der Reclam-Verlag das berühmteste Werk der Weimarer Autorin Gabriele Reuter endlich neu herausgebracht. Ein Buch, von dessen Erzählkunst und psychologischer Tiefe Thomas Mann und Sigmund Freud gleichermaßen schwärmten. Und eines von vielen Beispielen, die zeigen, wie einstmals bekannte Frauenfiguren aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen neu entdeckt werden.
Viele von ihnen gerieten nach ihrem Tod für Jahrzehnte in Vergessenheit. Jetzt, so der Schriftsteller Tobias Schwartz, der die Neuauflage von Reuters Roman angeregt hat, sei die Zeit günstig: "Ich glaube, es haben immer mehr Leute verstanden, dass Literatur keine männliche Domäne ist. Gute Literatur ist geschlechterunabhängig."
Gute Literatur ist geschlechterunabhängig.
Innovative Lyrikerin statt nur "Muse" Klingers
Auch die Leipziger Lyrikerin Elsa Asenijeff war lange ein Geheimtipp. Man erinnerte die selbstbewusste Literatin vor allem als Muse Max Klingers. Dabei waren die beiden in künstlerischer Hinsicht ebenbürtig. Asenijeff beschäftigte sich in ihren Erzählungen und Gedichten mit der Liebe, der Unterdrückung der Frau, aber auch mit der gestörten Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt. Im expressionistischen Stil, mit viel Symbolik und großer sprachlicher Finesse.
Die Literaturwissenschaftlerin Nane Pleger widmete ihr in Leipzig mehrfach literarische Abende. Erst in den letzte fünf Jahren, sagt sie, habe die Forschung sich wieder verstärkt Elsa Asenijeff zugewendet. Und so fand im Februar 2025 auch die erste wissenschaftliche Tagung zu ihrem Werk im Literaturhaus Leipzig statt.
Musik von Ethel Smyth wird wieder aufgeführt
So wie Asenijeff kam auch die britische Komponistin Ethel Smyth Ende des 19. Jahrhunderts ins damals sehr liberale Leipzig – als erste Frau, die am Konservatorium Komposition studierte. Obwohl ihre Konzerte und Opern zu Smyths Lebzeiten hundertfach aufgeführt und von der BBC übertragen wurden, vergaß man sie bald.
Es ist vor allem der Frauenbewegung zu verdanken, dass Smyths Werke seit den 1980er-Jahren, vor allem aber in jüngster Vergangenheit wieder erklingen. Zuletzt zum Beispiel in Karlsruhe, Schwerin oder am Staatstheater Meiningen, wo ihre Oper "The Wreckers" zur Aufführung kam. Die Zeit dafür ist reif, sagt die Dirigentin Eva Meitner, die musikalische Pionierinnen wie Smyth faszinierend findet: "Ethel Smyth ist alles andere als ein bisschen Liebreiz. Das ist stark, das ist mitreißend, kraftvoll. Egal, was sie macht, es ist immer groß gedacht und gedanklich komplex."
Ethel Smyth ist alles andere als ein bisschen Liebreiz. Das ist stark, das ist mitreißend, kraftvoll.
Henriette Goldschmidt zum 200. Geburtstag neu entdecken
Die Aufzählung der Frauen, die vor mehr als einem Jahrhundert in Mitteldeutschland für ein neues weibliches Selbstbewusstsein stritten, ließe sich fortführen
Oder ganz aktuell: Die Leipziger Publizistin und Pädagogin Henriette Goldschmidt, Begründerin der ersten Hochschule für Frauen, mehrerer Kindergärten und Bildungsvereine. In diesem Herbst jährt sich ihr Geburtstag zum 200. Mal. Anlass genug mehr herauszufinden über den Namen, dem man bisher vielleicht nur auf Straßenschildern begegnet ist.
Da ist zum Beispiel die Chemnitzer Malerin Martha Schrag, die in ihren Gemälden und Grafiken Zeugnis ablegt von der Industrialisierung und dem Alltag der sich schindenden Arbeiter. An sie erinnert seit 2022 eine Gedenktafel in ihrer Geburtsstadt Borna.
Quelle: MDR KULTUR (Lydia Jakobi)
Redaktionelle Bearbeitung: op
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 21. April 2025 | 13:15 Uhr