Ostsee-Pipelines Nord-Stream-Lecks: Verdacht auf Sabotage
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27. September 2022, 21:26 Uhr
Wissenschaftler und Politiker gehen bei den Nord-Stream-Gaslecks inzwischen von gezielten Attacken aus. Die Ukraine und Polen sprechen von russischer Sabotage. Moskau gibt sich besorgt und schließt Sabotage nicht aus. Dänemark und Schweden haben Krisenstäbe einberufen. Für die Gasversorgung haben die Lecks keine Folgen, der Gaspreis stieg infolge der Lecks aber wieder an.
- Dänemark und Schweden haben aufgrund der Lecks in den Nord-Stream-Pipelines Krisenstäbe einberufen.
- Sicherheitskreise schließen eine Sabotage nicht aus.
- Für die Gasversorgung haben die Lecks keine Folgen, der Gaspreis stieg infolge der Lecks aber wieder an.
Nach drei Lecks in nur kurzer Zeit an den Ostsee-Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 wird ein Sabotageakt nicht ausgeschlossen. Messstationen in Schweden und Dänemark verzeichneten vor dem Entstehen der Nord-Stream-Gaslecks in der Ostsee offenbar kräftige Detonationen unter Wasser. Es bestehe kein Zweifel daran, dass es sich um Sprengungen oder Explosionen handele, sagte der Seismologe Björn Lund dem schwedischen Rundfunksender SVT. Um 2:03 Uhr in der Nacht und 19:04 Uhr am Abend habe es deutliche Detonationen in dem Gebiet gegeben.
Insgesamt wurden an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 drei Lecks entdeckt. An der Leitung Nord Stream 1 befänden sich zwei undichte Stellen nordöstlich der Insel Bornholm, bei Nord Stream 2 gebe es eine undichte Stelle südöstlich der Insel. Betroffen sind sowohl dänische als auch schwedische Gewässer.
Dänemark und Schweden richten Krisenstäbe ein
In Dänemark und Schweden wurden aufgrund der Beschädigungen Krisenstäbe einberufen. Als man von den Lecks erfahren habe, sei das Krisenmanagement zusammengerufen worden, sagte die schwedische Außenministerin Ann Linde der Zeitung "Aftonbladet". Der dänische Außenminister Jeppe Kofod habe sie kontaktiert, virtuelle Treffen seien am Abend geplant. Auf die Frage, was genau passiert sei, sagte sie: "Ich möchte nicht darüber spekulieren. Man muss ganz sicher sein, was passiert ist und wie das unsere Sicherheit beeinflusst."
Auch im benachbarten Dänemark versammelten sich Vertreter mehrerer Behörden im nationalen operativen Stab, um den weiteren Umgang zu erörtern. Außenminister Kofod bestätigte dies nach einem Treffen im Außenausschuss des dänischen Parlaments. Dieser Stab tritt in Dänemark unter anderem bei größeren Krisen, Katastrophen und Terrorangriffen zusammen und soll in solchen Lagen die Zusammenarbeit der Behörden sicherstellen. Auf Twitter veröffentlichten die dänischen Streitkräfte ein Video, das eines der Gaslecks zeigt.
Lecks "äußerst selten": Sabotage nicht ausgeschlossen
Derartige Gaslecks seien "äußerst selten", sagte ein Sprecher der dänischen Behörde der Nachrichtenagentur AFP. Zugleich kündigte er an, aufgrund der Vorfälle die Sicherheitsstufe für die Überwachung der kritischen Infrastuktur des Landes zu erhöhen.
Die Deutsche Presse-Agentur berichtete unter Berufung auf Sicherheitskräfte, es spreche einiges für Sabotage. Sollte es sich um einen Anschlag handeln, würde angesichts des technischen Aufwands eigentlich nur ein staatlicher Akteur infrage kommen. Die dänische Marine und deutsche Spezialisten bemühten sich um Aufklärung.
Ukraine und Polen sprechen von russischer Sabotage
Nach Einschätzung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gehen die Pipeline-Lecks auf gezielte Angriffe zurück. Man wisse inzwischen sicher, "dass sie nicht durch natürliche Vorkommnisse oder Ereignisse oder Materialermüdung entstanden sind, sondern dass es wirklich Attacken auf die Infrastruktur gegeben hat", sagte der Grünen-Politiker bei einer Veranstaltung von Spitzenverbänden der Wirtschaft. Auch Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen sagte, ein Zufall sei "kaum vorstellbar".
Die Ukraine wurde noch deutlicher: Es handele sich um "nichts anderes als einen von Russland geplanten Terroranschlag und einen Akt der Aggression gegenüber der EU", schrieb der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak auf Twitter. Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki sprach von einem "Sabotageakt". Noch seien nicht alle Details bekannt, aber es handle sich "wahrscheinlich um die nächste Eskalationsstufe der Situation in der Ukraine".
Auch die russische Regierung hält einen Sabotage-Akt für möglich. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, es könne keine Option als Ursache ausgeschlossen werden. Man sei "extrem besorgt". Dies sei eine noch nie dagewesene Situation, die dringend untersucht werden müsse.
Eigentümer und Betreiber der Nord Stream: Die fünf Anteilseigner der Nord Stream AG sind Gazprom international projects LLC (eine Tochtergesellschaft der PAO Gazprom), die deutschen Unternehmen Wintershall Dea AG und PEG Infrastruktur AG (E.ON), N.V. Nederlandse Gasunie und der französische Versorger ENGIE. Gazprom international projects LLC ist mit 51 Prozent beteiligt.
Keine Folgen für die Versorgung – Gaspreis steigt wieder
Wie die Bundesnetzagentur bestätigte, gibt es es keine Auswirkung auf die Gasversorgung in Europa, da die Pipelines derzeit nicht in Betrieb sind. Die Nord Stream AG als Betreiber teilte mit, dass es unklar sei, wann das System wiederhergestellt sein werde.
Nach dem Bekanntwerden der Schäden und der Äußerung des Betreibers stieg der Preis für Erdgas in Europa laut der Nachrichtenagentur Reuters wieder an – gegen Mittag lag er mit fast 194 Euro je Megawattstunde um 12 Prozent über dem Wert vom Montag.
Schäden nach Druckabfall festgestellt
In der Nacht zum Montag war zunächst in einer der beiden Röhren der nicht genutzten Pipeline Nord Stream 2 ein starker Druckabfall festgestellt worden. Am Montagabend meldete der Betreiber dann auch einen Druckabfall in beiden Röhren von Nord Stream 1. Durch diese Pipeline lieferte Russland bis zum 31. August Erdgas nach Deutschland.
dpa/AFP(kkö,jan)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 27. September 2022 | 10:30 Uhr