
MDRfragt Mehr Arbeit für Lehrer finden viele angemessen
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08. April 2025, 14:00 Uhr
Sollten vor allem ältere Lehrkräfte im Kampf gegen Unterrichtsausfall mehr Stunden vor der Klasse stehen? Oder an anderen Schulformen unterrichten als denen, für die sie ausgebildet sind? Gegen diese Pläne wird von Dienstag an in Sachsen protestiert. Bei MDRfragt finden viele den Vorstoß angemessen. Allerdings sind sich dabei Eltern und Lehrkräfte nicht immer einig.
- Im MDRfragt-Stimmungsbild gibt es eher Zuspruch für die Pläne des sächsischen Kultusministers, mehr bei Eltern als bei Lehrkräften.
- Gymnasiallehrer an Oberschulen arbeiten lassen? – Kommt eher gut an.
- Lehrerin oder Lehrer halten nur wenige für einen attraktiven Beruf, am wenigsten Lehrkräfte selbst.
Sollten Lehrkräfte mehr als bisher arbeiten, um den Unterrichtsausfall zu mindern? Entsprechende Pläne des sächsischen Kultusministeriums kommen einer aktuellen MDR-Umfrage zufolge eher gut an: So gab ein Großteil der mehr als 19.000 Befragten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen im MDRfragt-Meinungsbarometer an, es wäre angemessen, die Lehrkräfte zu mehr Stunden vor der Klasse zu verpflichten (65 Prozent). Knapp ein Drittel (29 Prozent) hält den Vorstoß für unangemessen.
Eltern finden mehr Arbeit für Lehrkräfte besser als Lehrkräfte selbst
Dabei finden Befragte, die angaben, selbst Eltern schulpflichtiger Kinder zu sein, die Idee für mehr Unterrichtsstunden deutlich häufiger angemessen (67 Prozent) als diejenigen, die selbst Lehrkraft sind oder früher waren (47 Prozent).
Die Pläne würden in Sachsen aktuell vor allem ältere Lehrkräfte betreffen, sowie Beschäftigte, die spezielle Funktionen und Zusatzaufgaben übernommen haben. In beiden Fällen gibt es bisher Nachlässe bei der Zahl der Stunden, die Lehrkräfte vor der Klasse stehen müssen. In Sachsen-Anhalt hatte das Bildungsministerium schon vor einiger Zeit durchgesetzt, dass alle Lehrkräfte eine Stunde mehr arbeiten müssen – und sieht nach eigenen Angaben einen Effekt auf die sogenannte Unterrichtsversorgung. Auch die neue Thüringer Landesregierung will eine andere Schulpolitik fahren, und erntet dafür ebenfalls einiges an Zuspruch aus der MDRfragt-Gemeinschaft.
Hinweis
An dem aktuellen Stimmungsbild von MDRfragt haben sich rund 19.300 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beteiligt. Das Meinungsbarometer ist nicht repräsentativ, aber aussagekräftig für die Stimmungen im MDR-Sendegebiet. Zudem erlauben die Begründungen und Kommentare der Befragten, die Stimmungstendenzen einzuordnen.
Alles zur Methodik, den Mitmachmöglichkeiten und den Ergebnissen gibt es am Ende dieses Artikels.
In Sachsen sorgen die aktuellen Pläne des Kultusministeriums für einige Diskussionen. Gewerkschaften haben von Dienstag an mehrere Tage zu Demonstrationen in Leipzig, Chemnitz und Dresden aufgerufen, um dagegen zu protestieren.
Bei MDRfragt fällt das Stimmungsbild aus dem Bundesland, in dem die Pläne umgesetzt werden sollen, nicht aus der Reihe: Die Befragten in Sachsen blicken ähnlich auf die Pläne wie die Befragten im gesamten MDR-Sendegebiet. Konkret geben sechs von zehn Befragten (63 Prozent) im Freistaat an, sie fänden es angemessen, wenn Lehrerinnen und Lehrer in der aktuellen Situation mehr Unterricht geben müssen. Ein Drittel findet das eher unangemessen (31 Prozent).
Doch wie begründen die Befragten ihre Sicht? Da ist zum Beispiel MDRfragt-Mitglied Anja (30) aus Dresden, die einen Kommentar geschrieben hat, der zur Meinung vieler Teilnehmenden passt: "Lehrkräfte im Staatsdienst – verbeamtet oder nicht – verdienen verdammt gut und sollten dafür auch etwas leisten. Es muss kein Unterricht stattfinden, wie es der Lehrplan vorsieht, aber man kann in solchen Stunden an sozialen Themen arbeiten." Der Verdienst und die finanzielle Sicherheit werden oft als Argument genannt, warum Lehrkräfte gerade in Zeiten fehlender Kolleginnen und Kollegen mehr Unterrichtsstunden geben könnten.
In schwierigen Zeiten müssen Lehrkräfte auch die Komfortzone verlassen.
Und auch Lehrkräfte finden es durchaus angemessen, wenn sie mehr Unterricht geben. Ein Beispiel ist Nicole (43) aus dem Landkreis Meißen, meint aber, im Gegenzug könnten Lehrkräfte an anderer Stelle entlastet werden: "In schwierigen Zeiten müssen Lehrkräfte auch die Komfortzone verlassen. Allerdings hat der Staat dafür gesorgt, dass Lehrkräfte übermäßig mit anderen Dingen belastet sind als zu unterrichten. Lehrer sollten das tun, wofür sie qualifiziert sind. Der ganze Kram drumherum kann auch von geringer qualifizierten Personen erledigt werden."
So ganz richtig findet Nicole die Pläne des Kultusministeriums auch nicht, wie sie ergänzt. Schließlich habe der Staat viele Jahre zu wenig Lehrpersonal eingestellt und damit erst die aktuelle Mangelsituation ausgelöst, "und schiebt nun die Lehrer vors Loch. Von Wertschätzung und Zukunftslösungen ist man da weit entfernt".
Luise (34) aus dem thüringischen Eichsfeld, selbst Mutter von Schulkindern, schreibt, dass es schon in Ordnung geht, wenn Lehrkräfte weniger Zeit haben, Unterrichtsstunden zu planen und auszuwerten, weil sie mehr vor der Klasse stehen: "Mehr Unterrichtsstunden zulasten der Vor- und Nachbereitung ist gut, weil in erster Linie Unterricht stattfinden muss. Alles muss sich dem unterordnen. Da muss man auch auf neu eingeführte Experimente verzichten. Mir ist weniger 'guter' Unterricht alter Schule lieber als gar kein Unterricht."
Ganz anders sieht das Frank aus dem Erzgebirgskreis, der sich auch beim MDRfragt-Meinungsbarometer beteiligt hat. Er schreibt: "Vorsicht! Lehrer könnten sonst die Lust an Ihrem Beruf verlieren und aufhören."
Und MDRfragt-Mitglied Elisabeth (32) aus dem Landkreis Görlitz schreibt: "Die Arbeit an Oberschulen ist schon unter den jetzigen Bedingungen kaum leistbar. Mehrarbeit würde ganz sicher zu mehr krankheitsbedingten Ausfällen führen. Ist das gewollt?"
Gymnasiallehrer an Oberschulen? – Gilt eher als gute Idee
Hört man dem sächsischen Kultusminister Conrad Clemens zu, dann wäre die Antwort auf Elisabeths Frage "Nein". Der CDU-Politiker erhofft sich von den zusätzlichen Wochenarbeitsstunden für bestimmte Lehrkräfte, dass deutlich weniger Unterricht ausfällt. Von Personalmangel sind besonders die Oberschulen betroffen, deswegen will der Minister auch verstärkt Lehrkräfte an diese Schulform abordnen, die von Hause eigentlich Gymnasial- oder Grundschullehrer sind.
Auch diesen Vorstoß hält eine Mehrheit der MDRfragt-Gemeinschaft für richtig: Konkret begrüßen es sechs von zehn Befragten (60 Prozent), wenn Lehrkräfte im Kampf gegen den Personalmangel auch an Schulformen eingesetzt werden, für die sie ursprünglich nicht ausgebildet wurden. Ein Drittel (34 Prozent) lehnt das ab.
Manches Elternteil in der Befragung versteht gleichzeitig nicht, warum nicht die Ausbildung von Lehrkräften geändert wird. So meint nicht nur Tom (34), ein Vater aus Dresden: "Das Studium ist von vornherein geteilt, zum Beispiel in Grundschule und Gymnasium. Warum erhalten nicht alle Studenten den gleichen Zugang zu Wissen, werden dafür zu Allroundern?"
Ganz grundsätzliche Bedenken hat zum Beispiel MDRfragt-Mitglied Henrike (30) aus dem Landkreis Stendal: "Es ist total unangemessen, da nicht weit gedacht. Das Problem wird nicht an der Wurzel gepackt. Es ist eher eine Problemverschiebung als eine Problemlösung."
Und manche, wie Johanna (29) aus Dresden, sehen im Vorstoß des sächsischen Kultusministers den Beweis, dass längeres gemeinsames Lernen oder Schulformen gestärkt werden müssten, die das erleichtern. Sie schreibt: "Es ist super hilfreich, wenn Lehrerinnen auch in anderen Schulformen unterrichten. Weil das eigentlich zeigt, wie praktisch Gesamtschulen sind. So könnten fehlenden Lehrer oder Ausfälle besser kompensiert werden, weil alle Lehrer die gleiche Grundlage haben."
Job an Schule gilt überwiegend als unattraktiv
Und auch wenn mehr Arbeit und Abordnungen an andere Schulformen aus Sicht der Befragten als vertretbar gelten, gilt der Lehrer-Beruf als Ganzes derzeit eher als unattraktiv: Weniger als jede und jeder Vierte (23 Prozent) meint im MDRfragt-Meinungsbild, dass der Job aktuell attraktiv ist. Rund dreimal so viele (68 Prozent) finden den Lehrer-Beruf aktuell hingegen unattraktiv.
Was an dem Lehrer-Job alles unattraktiv ist, fasst der Kommentar von MDRfragt-Mitglied Tina (32) aus dem Weimarer Land zusammen: "Die Bedingungen sind eigentlich eine Garantie für den Burnout: Tägliche Kämpfe mit schlecht erzogen Kindern, zu wenig Personal, marode Schulen, zu knapper Haushalt, Eltern, die die Noten ihrer Kinder einklagen und dann auch noch mit dem halben Bein im Gefängnis, falls mal jemandem was passiert. Das klingt wirklich sehr unattraktiv."
Für Annika (42) aus Leipzig kommt hinzu: "Es ist schwierig, den Arbeitsplatz zu wechseln. Das passt nicht mehr in die heutige Zeit. Zumal Uni-Abschlüsse teilweise in anderen Bundesländern nicht komplett anerkannt werden und ausgebildete Fächer nicht unterrichtet werden dürfen."
Ganz anders sieht das Moritz aus Magdeburg. Der 32-Jährige schreibt: "Geregelte Arbeitszeiten, Ferien, eine Anstellung im öffentlichen Dienst oder eine Verbeamtung sind durchaus attraktiv. Weiterhin gibt es keine Schichtarbeit oder Arbeit an Wochenenden und Feiertagen."
Vor allem Lehrkräfte selbst finden ihren Beruf unattraktiv
Ob der Job im Klassenzimmer eher attraktiv oder unattraktiv ist, wird noch einmal unterschiedlich beantwortet, je nachdem, ob die Befragten selbst Eltern von Kita- und Schulkindern oder selbst Lehrerin oder Lehrer sind. Tatsächlich halten diejenigen, die den Beruf mal für sich gewählt haben, ihn aktuell für unattraktiver als jene, die als Eltern von Schulkindern auf den Job blicken. So finden auch Eltern den Lehrer-Beruf aktuell überwiegend unattraktiv, zwei von drei Befragten mit Kita- und Schulkindern (68 Prozent) sehen das so. Doch bei den Lehrkräften ist der Anteil mit drei Viertel der Befragten sogar noch höher.
Warum finden jene, die den Job ausüben – oder noch auf dem Weg dahin sind – so unattraktiv? Das haben einige Befragte in den Kommentaren beantwortet. So schreibt Anne-Marie (32) aus Sachsen-Anhalt: "Ich studiere zwar selbst Lehramt, aber so erlebe ich auch, wie unattraktiv es ist. Man macht ein schweres Studium über Jahre, wird dann im Referendariat regelrecht ausgebeutet und auch dann muss sich noch mit vielen Aufgaben befassen, für die wir gar nicht ausgebildet sind." Ein 34-Jähriger aus Magdeburg schreibt: "Als Lehrer kann ich aus erster Hand sagen: Wir sind schon jetzt über unserem Limit. Ich arbeite 50 Stunden pro Woche (Unterricht, Vor-/Nachbereitung, Elternarbeit, Schulentwicklung). Wie viel soll da noch obendrauf kommen?"
Isabell (31) aus Erfurt schreibt: "Ich finde meinen Beruf grundlegend sehr attraktiv, weil ich ihn liebe. Ich finde dennoch, dass es immer Dinge gibt, die verbessert werden können. Die größten Probleme, die ich aktuell sehe, sind der Mangel an Lehrpersonal und die immer größer werdenden Anforderungen, die zwar ungefiltert an die Lehrkräfte weitergegeben werden, für die es aber oft keine angemessenen Unterstützungsangebote gibt (es sei denn man hat eine sehr engagierte Schulleitung, die sich durch Anträge etc. kämpft und diese Unterstützung einfordert)." Isabell meint, dass es schwer sei, den Bedürfnissen jedes Kindes gerecht zu werden, erst recht, wenn mehrere Kinder besonderen emotionalen und sozialen Förderbedarf hätten, wenig oder kein Deutsch sprächen oder gar aggressiv seien.
Und eine Lehrerin aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt, findet, das aktuelle Pensum sei für sie und viele Kolleginnen und Kollegen kaum zu bewältigen: "Ich unterrichte sieben Klassen und drei Kurse, bin Klassenlehrer, Vertrauenslehrer und Vorstandsmitglied des Fördervereins. Mehr geht nicht, wenn ich nicht in einem halben Jahr ein psychisches Wrack sein möchte."
Über diese Befragung
Die Befragung: "Handys verbieten, Noten erzwingen: Wie soll Schule sein?" lief vom 21. bis 24. März 2025. Insgesamt haben 19.300 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mitgemacht.
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.
Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach bewährten wissenschaftlichen Kriterien und Methoden anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen.
Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland. MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | FAKT IST! aus Erfurt | 02. April 2025 | 20:15 Uhr