Geschlechtergerechte Sprache Sprachwissenschaftlerin: "Gender-Verbot" schränkt Freiheit ein
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26. Juli 2023, 11:53 Uhr
Kleines Zeichen, große Wirkung – um Satzzeichen mitten im Wort wie in "Professor:innen" wird teils erbittert gestritten. In Sachsen hat zuletzt unter anderem das Kultusministerium ein entsprechendes Verbot für Schulen, Behörden und Projektpartner erlassen. Der Rechtschreibrat verwies zuletzt zwar auf Probleme mit den Satzzeichen, sieht aber noch zu viele Entwicklungen für endgültige Entscheidungen. Dass Satzzeichen neue Funktionen übernehmen, ist an sich nicht ungewöhnlich.
- Rat für deutsche Rechtschreibung sieht noch ungeklärte Fragen bei Satzzeichen im Wortinneren.
- Zwischen Rechtssicherheit für Behörden und einem Generationenkonflikt
- Sprachwissenschaftlerin: Verbote kommen allein von Gegnern geschlechtergerechter Sprache.
Schon mit den Begrifflichkeiten fängt es an. "Eigentlich ist geschlechtersensible Sprache sehr treffend, aber es geht ja auch um Gerechtigkeit", sagt Sabine Krome, Geschäftsführerin des Rats für deutsche Rechtschreibung. "Schon dass man nicht den einen Begriff findet, zeigt ja auch die verschiedenen Facetten, die das Thema hat."
Dabei scheint das Thema nicht nur ein reines Minenfeld zu sein, sondern steckt auch voller Missverständnisse. Denn nicht nur ist das generische Maskulinum selbst eine Form des Genderns. Mit Blick auf geschlechtergerechte Sprache dagegen passe der Begriff "gendern" eigentlich gar nicht, erklärt Renata Szczepaniak, Professorin für historische Sprachwissenschaft an der Universität Leipzig. "Letztlich geht es darum, gerade das Geschlecht nicht als wichtig für die Diskussion anzusehen und eine tatsächlich neutrale Einstellung zu finden." So sollten alle Personen gleichermaßen und unabhängig vom Geschlecht anerkannt und sichtbar gemacht werden.
Was die verschiedenen Sprech- und Schreibweisen so emotional auflädt? Hinter den Zeichen würden auf einer symbolischen Ebene auch Vorstellungen von Gesellschaft, Familie und Ähnliches gesehen, sagt Szczepaniak.
Rechtschreibrat sieht Probleme bei Satzzeichen im Wortinneren
Der Rat für deutsche Rechtschreibung begrüßt grundsätzlich eine geschlechtergerechte Sprache. Für Geschäftsführerin Krome ist klar: "Das generische Maskulinum ist komplett out." Das zeigten etwa Sprachanfragen, die in der Geschäftsstelle eingingen. Wer ist also gegen geschlechtergerechte Sprache? "All diejenigen lehnen das ab, die das Anliegen, alle Menschen gleichwertig zu betrachten, nicht akzeptieren können", sagte Krome.
All diejenigen lehnen geschlechtergerechte Sprache ab, die das Anliegen, alle Menschen gleichwertig zu betrachten, nicht akzeptieren können.
Sie möchte aber differenzieren zwischen geschlechtergerechter Sprache und bestimmten Schreibweisen. Satzzeichen wie Stern, Doppelpunkt oder Unterstrich im Wortinneren sorgten für "Probleme, weil sie die Wortbildung stören, zu großen Teilen aber auch die Grammatik und die Satzbildung". Auch stoßen diese Schreibweisen auf sehr viel größere gesellschaftliche Ablehnung als andere Formen geschlechtergerechter Sprache.
Von Rechtssicherheit für Behörden und einem Generationenkonflikt
Der Rechtschreibrat hat sich daher Mitte Juli in einem Beschluss dagegen entschieden, die Sonderzeichen ins amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung aufzunehmen. Also keine Empfehlung für diese Schreibweisen, aber auch kein eindeutiges Plädoyer dagegen. Zu viele Fragen scheinen noch offen. "Dieses Thema ist noch so im Fluss, dass hier keine endgültige Entscheidung getroffen werden kann", betont Krome.
Dieses Thema ist noch so im Fluss, dass hier keine endgültige Entscheidung getroffen werden kann.
Zugleich sei gerade die Einheitlichkeit des amtlichen Regelwerks eine große Errungenschaft der Rechtschreibreform von 1996. Für Schulen und Behörden gebe es damit für den gesamten deutschen Sprachraum verbindliche Regeln, die Krome nicht in Frage gestellt sehen will. Behörden brauchen Rechtssicherheit, betont sie, in Schulen gehe es um die Lernbarkeit der Rechtschreibung. Es sei aber schon so, "dass die jüngeren Leute weniger Probleme mit diesen Zeichen haben", räumt Krome ein.
Als das sächsische Kultusministerium per Erlass Schulen, Behörden und Projektpartnern Doppelpunkt und andere Zeichen im Wortinneren verbot, folgte die Kritik vom Landesschülerrat umgehend. Der Lehrerverband begrüßte den Beschluss dagegen. "Wir sehen schon, dass es ein Generationsproblem gibt", stellt Krome fest.
Sprachwissenschaftlerin: Forschungsstand wird stark verzerrt
Sprachwissenschaftlerin Szczepaniak wünscht sich eine Versachlichung der Debatte. In der Öffentlichkeit werde der Forschungsstand sehr stark verzerrt, kritisiert sie – gerade auch mit Blick auf die Satzzeichen. "Zeichen nehmen immer schon auch neue Funktionen an", erklärt sie. "Wenn Doppelpunkt oder Stern innerhalb eines Wortes eine neue Funktion übernehmen, ist das nichts Anormales in der Sprache." Selbst der Punkt mit seiner Funktion, Sätze zu trennen, sei aus der historischen Perspektive ein relativ junges Satzgrenzzeichen.
Doch mit den jüngsten Verboten in Sachsen scheint den Gegnern geschlechtergerechter Sprache ein besonderer Clou gelungen. "Die Verbote werden mit der geschlechtergerechten Sprache verbunden, kommen aber eigentlich genau von der anderen Seite", beobachtet Szczepaniak. An Universitäten etwa gebe es lediglich Empfehlungen, die verschiedene Möglichkeiten aufzeigen, wie geschlechtergerechte Sprache aussehen kann – nie aber eine Verpflichtung, das auch anzuwenden.
Die Verbote werden mit der geschlechtergerechten Sprache verbunden, kommen aber eigentlich genau von der anderen Seite.
Die jüngsten Verbote in Sachsen hält die Wissenschaftlerin für realitätsfern. Man müsse sich überlegen, warum man ein solches Verbot ausspreche. Schließlich gebe es Menschen, die die Zeichen gerne verwendeten und andere, die das nicht wollten. Szczepaniak wirbt daher dafür, die Freiheit der eigenen Entscheidung zu lassen. "Das Verbot ist eine Einschränkung der Freiheit des Ausdrucks und in einer demokratischen Gesellschaft hat so etwas eigentlich keinen Platz."
MDR (rnm)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 26. Juli 2023 | 10:00 Uhr