Colonia Dignidad Hat der deutsche Geheimdienst BND Pinochets Putsch unterstützt?
Hauptinhalt
05. September 2023, 05:00 Uhr
Vor 50 Jahren, am 11. September 1973, putschte in Chile das Militär. Es war ein blutiger Staatsstreich mit Tausenden Opfern – und das offenbar unter Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes und der berüchtigten deutschen Sekte "Colonia Dignidad", wie nun FAKT-Recherchen zeigen.
Nachdem der Marxist Salvador Allende im Jahr 1970 mit Unterstützung des Linksbündnisses "Unidad Popular" die Präsidentenwahlen gewonnen hatte, begann sich bereits der Widerstand im rechten Lager aufzubauen – mit Unterstützung aus den USA und der Bundesrepublik.
Denn nach Allendes Wahl wurden Medikamente, Arzt- und Schulbesuche kostenlos, Löhne erhöht, Großgrundbesitzer enteignet. Als er die Kupferminen verstaatlichen ließ, die sich vor allem im Besitz US-amerikanischer Unternehmen befanden, reagierten die USA mit einem Finanzboykott. Mitten im Kalten Krieg wollten sie neben Kuba kein weiteres sozialistisches Experiment in Nord- oder Südamerika. Chile stürzte in eine Wirtschaftskrise. Streiks legten das Land lahm. Finanziert wurden diese auch vom amerikanischen Geheimdienst CIA. Immer wieder kam es zu rechten Terroranschlägen und Putschversuchen.
Was die Akten über Colonia Dignidad zeigen
Nun belegen Fakt-Recherchen erstmals: An der Vorbereitung des Putsches, der schließlich Diktator Augusto Pinochet an die Macht brachte, hatte sich offenbar auch der Bundesnachrichtendienst (BND) beteiligt – durch geheime Waffenlieferungen über die deutsche Sekte "Colonia Dignidad" an die Gegner von Allende.
Vor vier Jahren sind die Akten der Colonia Dignidad, der Sekte im Süden Chiles, freigegeben worden. Der bis dahin geheim gehaltene Bestand im chilenischen Nationalarchiv konnte erstmals ausgewertet werden – und das nahm Jahre in Anspruch. Tausende Seiten und Aktenordner aus den Siebziger- und Achtzigerjahren: Schriftverkehr, Abrechnungen, Telefonprotokolle – das Innenleben einer streng abgeschotteten Organisation.
Das Ergebnis der Auswertung: Fakt liegen offizielle Waffenbestelllisten der "Colonia Dignidad" aus dem Jahr 1970 vor. Diese Waffen wurden in Krefeld in Deutschland bestellt. Waffen wurden demnach seit 1970 ganz legal geliefert: Pistolen der Marke Walter, halb- und vollautomatische Gewehre, Magazine und auch schwere Waffen. Allein eine Bestellung, die sich in den Akten findet, hatte einen Wert von über 126.000 D-Mark.
Absender der Waffen war offenbar die Firma "Siegfried Peters Electronic Krefeld". FAKT hat Siegfried Peters aufgespürt – 50 Jahre später. Telefonisch gibt Peters die Lieferungen nach Chile zu. Diese waren damals durch entsprechende Ausfuhrgenehmigungen legal. Einem Treffen will er nur nach Rücksprache mit dem BND zustimmen.
Die Spur führt in die "Colonia Dignidad". Die sogenannte "Kolonie der Würde" hatte 400 Kilometer südlich von der Hauptstadt Santiago de Chile der deutsche Laienprediger Paul Schäfer mit 300 Anhängern im Jahr 1961 gegründet. Schäfer war mit seinen Getreuen aus Deutschland nach Chile geflüchtet, um einem Haftbefehl wegen Kindesmissbrauchs zu entgehen.
Auf einem riesigen Areal entstand ein landwirtschaftliches Mustergut mit Schule, Krankenhaus und Restaurant. Nach außen eine heile Welt – tatsächlich jedoch ein Regime des Schreckens. Harte Zwangsarbeit, körperlicher und sexueller Missbrauch von Kindern waren an der Tagesordnung.
Bewaffneter Widerstand auch über Sekte aufgebaut
Schäfer war ein überzeugter Antikommunist. Die FAKT-Recherchen zeigen: Als Allende an die Macht kam, begannen auch in der "Colonia Dignidad" die Vorbereitungen des Staatsstreichs. "1970 hatte die Colonia Dignidad begonnen, in der Bundesrepublik Waffen zu besorgen und nach Chile zu verschicken. Oftmals getarnt als caritative medizinische Sendungen", erklärt der Politologe Jan Stehle, der seit Jahren zu den Verbrechen der "Colonia Dignidad" forscht. "In Sauerstoffflaschen, die für das Krankenhaus der Colonia Dignidad deklariert waren, wurden Maschinengewehre und andere Waffen in die Colonia geschickt." Dort seien dann auch Waffen gebaut worden.
1970 hatte die Colonia Dignidad begonnen, in der Bundesrepublik Waffen zu besorgen und nach Chile zu verschicken. Oftmals getarnt als caritative medizinische Sendungen.
Ab 1996 leitete Luis Henríquez Seguel die Ermittlungen gegen die "Colonia Dignidad" im heute demokratischen Chile. Auf deren Areal entdeckte sein Team zwei riesige Waffenlager. "Der Bau der Waffen hat nach Angaben der Colonia-Siedler genau dann begonnen, als die Regierung von Salvador Allende die Macht übernimmt", sagt Seguel. "Der bewaffnete Widerstand wurde also gezielt gegen die Regierung von Präsident Allende aufgebaut."
In einem internen Schreiben der "Colonia Dignidad" von 1970 wird klar, wofür die Waffen verwendet werden sollen: Es geht um die Vorbereitung eines Staatsstreichs. Wörtlich heißt es etwa: "… das ist durchaus möglich, dass sehr viel rotes Blut verloren ginge."
Waffen an Sekte über BND-Mann geliefert?
Doch geschahen diese Vorbereitungen unter Beteiligung des BND? Eine Anfrage beim Bundesnachrichtendienst von FAKT dazu bleibt unbeantwortet. "Der deutsche Geheimdienst BND hat vor allem observiert. Sie haben diese Transaktionen geschehen lassen, sich zurückgehalten und nicht eingegriffen", sagt der ehemalige Ermittler Seguel. "Daraus kann man schließen, dass die Waffenlieferungen und die Herstellung der Waffen ganz im Sinne des Bundesnachrichtendienstes waren."
Seguel hat ermittelt, dass auch Gerhard Mertins Waffen nach Chile geliefert hat. Mertins war ein ehemaliger SS-Mann und blieb nach dem Krieg ein überzeugter Nationalsozialist. Seit 1956 arbeitete er für den Bundesnachrichtendienst und wurde dadurch zu einem der größten Waffenhändler der Welt. Bei der Staatsanwaltschaft Bonn erklärte Mertins 1989 in einer Aussage, er sei vor dem Putsch in Chile vom BND aufgefordert worden, Kontakt zur Colonia herzustellen.
"Der chilenische Geheimdienstchef Manuel Contreras hat ausgesagt, dass Mertins ein großer Freund der chilenischen Diktatur war und dass mit seiner Hilfe Waffen besorgt wurde", sagt Jan Stehle, der am Forschungszentrum Chile-Lateinamerika der FU Berlin tätig ist. "Das heißt, es ist gesichert, dass Gerhard Mertins eine enge Beziehung zur Colonia hatte und, dass über die Colonia Dignidad mit Waffen gehandelt wurde, dass Waffengeschäfte eingefädelt wurden."
FBI und CIA mit deutscher Unterstützung in Chile
Mit den Waffen aus der "Colonia Dignidad" wurde der Putsch vorbereitet, erklärt Samuel Fuenzalida. Er war Agent der DINA, dem chilenischen Militärgeheimdienst unter Augusto Pinochet, der nach dem Putsch in Chile die Macht übernahm. "Ich hatte Kontakt mit Agenten vom FBI und von der CIA, die gekommen waren, um mich zu ehemaligen Gefangenen der Colonia zu befragen", sagt Fuenzalida. "Sie haben mir gesagt, dass die Colonia Pinochets Leute vor und nach dem Putsch unterstützt hat." Es sei auch bekannt gewesen, dass viele deutsche Offizielle in der Colonia waren.
Auch wegen dieser deutschen Unterstützung konnten die chilenischen Militärs den blutigen Putsch gegen Salvador Allende erfolgreich umsetzen. Anschließend übernahm General Augusto Pinochet mit seiner Militärjunta die Führung des Landes und errichtete eine fast 17 Jahre andauernde Diktatur. In dieser Zeit wurden 3.200 Menschen ermordet.
Dieses Thema im Programm: Das Erste | FAKT | 05. September 2023 | 21:45 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/08f9d0bb-0572-40e7-a89e-ceca11783f1e was not found on this server.