Amtsübernahme vor 50 Jahren Auch in der DDR ein Idol: Chiles sozialistischer Präsident Salvador Allende
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03. November 2020, 05:00 Uhr
Am 3. November 1970 übernahm der Sozialist Salvador Allende das Amt des Präsidenten Chiles. Seitdem war sein Name auch in der DDR fest verankert im öffentlichen Bewusstsein. Man benannte Straßen und Schulen nach dem Politiker. Nach dem Sturz Allendes bot die DDR tausenden Chilenen politisches Asyl. Wer war dieser Mann, der vor allem für die Jugend kurzzeitig zu einem Symbol der Hoffnung auf eine bessere Welt wurde?
Als das Volk 1970 Salvador Allende, den Kandidaten des linken Wahlbündnisses Unidad Popular (UP), mit einer knappen Mehrheit zum Präsidenten wählt, ist Chile ein tiefgespaltenes Land. Die ungleiche Verteilung des Reichtums, den das Land seinen seltenen Bodenschätzen verdankt, sorgt für starke soziale Spannungen und dominiert die politischen Auseinandersetzungen. Allendes konservative und christdemokratische Vorgänger im Präsidentenamt, Jorge Alessandri und Jorge Frei Montalvas, hatten zwar immer wieder reformistische Ansätze formuliert, echte Fortschritte sind jedoch ausgeblieben. Bei Allendes Amtsantritt leidet die Bevölkerung an Hunger und Unterernährung, die Kindersterblichkeitsrate liegt bei rund 30 Prozent.
Salvador Allende: Sohn aus gutem Hause
Für die Chilenen ist Salvador Allende 1970 kein Unbekannter mehr. Dem 1908 als Spross einer gutbürgerlichen Familie Geborenen ist das politische Engagement gewissermaßen in die Wiege gelegt. Im progressiv-liberalen Elternhaus ist politische und soziale Betätigung Familientradition. Schon während seines Medizinstudiums in den 1920er-Jahren ist Allende in studentischen Protestgruppen aktiv, tritt den Freimaurern bei, liest anarchistische Literatur. Anfang der 1930er-Jahre gehört er zu den Mitbegründern der Sozialistischen Partei und wird 1937 Parlamentsabgeordneter.
Hoffnungsträger der kleinen Leute
Die politische Karriere Allendes nimmt nun Fahrt auf, er wird Gesundheitsminister, später auch Senator und erwirbt sich vor allem die Sympathien des einfachen Volkes. Sein empathischer Blick für die Sorgen und Nöte der sogenannten kleinen Leute machen ihn zum Hoffnungsträger.
Allende war nicht nur eine Illusion oder ein Mensch, ein Kandidat, sondern Allende war dieser Mensch, in den wir wie in einen Spiegel sehen konnten!
Bereits 1952, 1958 und 1964 hatte sich Salvador Allende um das Amt des Präsidenten beworben. Immer war er, wenn auch mitunter knapp, gescheitert. Seit 1958 unterstützen zudem die USA - aufgrund Allendes marxistisch-sozialistischer Agenda - seine Gegner nicht nur finanziell. Auf keinen Fall durfte der globale ideologische Gegner Sowjetunion seinen Einfluss in Lateinamerika ausweiten. Ein zweites Kuba musste unbedingt vermieden werden.
Reformen und Umverteilungen
Im vierten Anlauf wird Allende 1970 trotzdem zum Präsidenten gewählt. Doch bei seiner Amtsübernahme steckt das Land in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Allende steht einer Koalition aus Sozialisten, Kommunisten, Liberalen und Christdemokraten vor und setzt auf eine Politik der Verstaatlichung von Schlüsselindustrien. So geht beispielsweise der zuvor in US-amerikanischem Privatbesitz befindliche Kupferbergbau in Staatseigentum über. Und sein politisches Programm verspricht und liefert gerade den Arbeitern und der Unterschicht eine Verbesserung ihrer Lebensumstände. Die Preise für Mieten und Lebensmittel werden eingefroren, Bildung und medizinische Versorgung sind nun kostenfrei, der Besitz von Land wird neu geregelt.
Gegner im In- und Ausland
Der große Hoffnungsträger hat also seine Wahlversprechen gehalten. Doch das Koalitionsbündnis seiner Regierung ist brüchig. Die Linke fordert radikalere Maßnahmen, die Rechte führt einen antikommunistischen Propaganda-Krieg und im Kongress gibt es keine Mehrheit. Zudem unterstützen die USA sowie ausländische Investoren die Opposition und das Militär. Chile ist längst im Visier Washingtons, das um die eigene Vormachtstellung in Latein- und Südamerika bangt. Der Wahlkampf 1970 ist durch die CIA unterwandert und bis zum Putsch 1973 lässt diese nichts unversucht, um der Präsidentschaft Salvador Allendes ein schnelles Ende zu setzen.
Putsch am 11. September
1973 befindet sich Allendes Präsidentschaft dann in einer tiefen Krise. Das Land wird durch die USA wirtschaftlich und politisch isoliert und im Inland regt sich ebenfalls immer mehr Widerstand. Das Militär, das von Allende selbst in die Regierung eingebunden worden war, richtet nun die Waffen gegen den Präsidenten. Am 11. September 1973 kommt es zum Staatsstreich und Salvador Allende nimmt sich während des Putsches im Regierungspalast das Leben. Eine Militärjunta unter der Führung Augusto Pinochets übernimmt nun die Macht und setzt die Verfassung außer Kraft.
Ich wollte nach Hause, aber viele Leute haben mir gesagt: Companero Silva geh nicht nach Hause, es gibt viele Agenten.
Über Nacht sind Allendes Anhänger in Gefahr. Politische Parteien und Gewerkschaften werden verboten, es herrscht Zensur, Menschen "verschwinden". Die Agenten der Militärjunta treiben alle Gegner des neuen Regimes zusammen. Wenige können entkommen, wie Ignacio Silva Vasquez und Hernan Dubo. Beide sind politisch engagiert, der eine Sozialist und der andere Kommunist. Ihnen gelingt die Flucht in das benachbarte Argentinien und von dort weiter in die DDR.
Die Freundschaft Chile-DDR: Solidarität und Propaganda
Salvador Allende hatte bereits 1969 angekündigt, im Falle seines Wahlsieges, die DDR völkerrechtlich anzuerkennen. Seitdem entwickelt Ost-Berlin systematisch Verbindungen zu Chile. Es fließen Kredite in Millionenhöhe, die Handelsbeziehungen sind eng, man pflegt einen regen kulturellen Austausch. Und so ist Chile im öffentlichen Bewusstsein der DDR nicht irgendein Staat am anderen Ende der Welt.
So bleibt es auch nach dem blutigen Putsch in Chile, der insbesondere in den sozialistischen Ländern eine Welle der Solidarität auslöst. Vor allem die DDR engagiert sich für die Flüchtlinge aus Chile, organisiert ihre Ausreise und nimmt mehrere Tausend von ihnen auf. Erich Honecker, dessen Schwiegersohn selbst aus Chile stammt, erklärt das Projekt zur Chefsache. Solidarität mit den Völkern der Welt, vor allem mit den sozialistischen Ländern, gehört in der DDR zur Staatsraison und steht dem kleinen Land gut zu Gesicht.
In der Schule, in der Universität, am Arbeitsplatz gab es viele Aktivitäten für Solidarität mit Chile und wir haben zusammen mit Luis Corvalan eine Tournee gemacht in DDR und in der Tschechoslowakei.
Wunsch und Wirklichkeit
Zwar leben die chilenischen Flüchtlinge in der DDR ähnlich isoliert von den Bürgern wie auch andere Ausländer, die antifaschistische Solidarität mit Chile ist dennoch allgegenwärtig. Schulen, Kasernen oder Straßen tragen die Namen von Allende, dem chilenischen Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda oder dem von den Putschisten ermordeten Sänger Victor Jara. Und tatsächlich kommt unter der Bevölkerung – abseits von Staatsdoktrin und Propaganda – eine echte Sympathie für die chilenischen Ideale auf, eine wirkliche Solidarität mit seinen Menschen und deren oft schlimmen Schicksalen. Entgegen vieler anderer, aufgezwungener Haltungen, musste in Bezug auf Allende und Chile in der DDR vergleichsweise wenig oktroyiert werden.
Exil wird Heimat
Der gelernte Elektrotechniker Ignacio Silva Vasquez und der Sportlehrer Hernan Dubo fingen so mit 30 Jahren in Leipzig ein neues Leben an. Ignacio Silva Vasquez konnte sogar seine Frau und die vier Kinder in die DDR nachholen. Hernan Dubo arbeitete als Bibliothekar und fand neben einer neuen Heimat auch die Liebe. Er engagierte sich in der DDR weiter für Chile. Zusammen mit dem Sohn des inhaftierten Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Chiles kämpfte er für die Freilassung Alberto Corvalans. Die beiden gehören zu den 6.700 Exil-Chilenen, die noch heute in Deutschland leben.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 21. Oktober 2019 | 19:30 Uhr