Wurzen Was macht eigentlich das Bundessortenamt?
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21. September 2020, 12:35 Uhr
Ämter gibt es bekanntlich viele in Deutschland. Vom Bundessortenamt dürften die wenigsten Zeitgenossen bereits gehört haben, dabei müssen alle im Handel erhältlichen Obst-, Gemüse- und Zierpflanzensorten die Prüfung durch das Amt bestehen. Außerdem leistet das Bundessortenamt einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der genetischen Vielfalt der Kulturpflanzen. So werden am Standort in Wurzen über 1.500 verschiedene Obstsorten gesammelt.
Wurzen. An der Ausfallstraße Richtung Torgau führt eine unauffällige Einfahrt zur Prüfstelle des Bundessortenamtes (BSA). Auf den ersten Blick erinnert Vieles an eine Gärtnerei oder Baumschule. Wachsen dort doch Kern-, Stein- und Beerenobst in ordentlichen Reihen auf insgesamt 25 Hektar.
Die Prüfstelle Wurzen ist einer von sieben Standorten des Bundessortenamtes, von denen sich allein vier in Mitteldeutschland befinden, die anderen drei sind in Niedersachsen und Baden-Württemberg angesiedelt. Diese ungleiche regionale Verteilung ist historisch gewachsen.
Aufgaben des Bundessortenamtes:
- Sortenschutz für neue Obstsorten: Neuzüchtungen werden nach strengen Prüfkriterien beurteilt. Nur wenn sie wirklich neu, stabil und unterscheidbar sind, kann ein Sortenschutz, also ein Patent, auf die neue Sorte erteilt werden.
- Sortenregistrierung: Sowohl neue als auch alte Sorten werden in eine offizielle Sortenliste (Gesamtliste der Obstsorten) eingetragen. Nur die in dieser Liste aufgeführten Sorten dürfen in Deutschland auch verkauft werden.
- Sortenerhalt: Regelmäßig wird überprüft, ob geschützte Sorten vom jeweiligen Züchter noch dem im BSA hinterlegten Standardmuster der Sorte entsprechen. Gegebenenfalls kann ein Sortenschutz von der Behörde auch widerrufen werden.
- Erhalt genetischer Ressourcen: Das BSA wirkt bei den Gendatenbanken für Obst, Zierpflanzen und Reben mit, indem es Pflanzensorten sammelt und für zukünftige Generationen erhält.
Obstvielfalt in Wurzen
Der Standort Wurzen ist auf Obst spezialisiert. Von Äpfeln über Birnen, Kirschen, Pflaumen bis zu verschiedenen Beeren findet sich dort fast alles, was an Obst hierzulande angebaut werden kann. Darunter auch Exotisches wie Gojibeere oder Wildobst wie Holunder. Den größten Raum nimmt jedoch die Lieblingsfrucht der Deutschen ein: Der Apfel. 600 von etwa 2000 in Deutschland erhältlichen Sorten werden dort angebaut. Weltweit geht man sogar von 15.000 bis 20.000 Apfelsorten aus, von denen allerdings viele in ihrer Existenz bedroht sind.
Stefan Eschke ist Pomologe, also Obstfachmann, und betreut die Apfelsorten in Wurzen. Persönlich findet er es schade, dass sich die große Sortenvielfalt des Apfels im Handel so gar nicht widerspiegelt.
Im Supermarkt findet sich eben der Konsensapfel, der die Ansprüche an Aussehen, Größe und Haltbarkeit der meisten Konsumenten vereint. Das ist leider etwas langweilig. Beim Bier wird die regionale Vielfalt geschätzt, warum nicht auch beim Apfel?
Wer Lust auf ungewöhnliche Äpfel hat, sollte dem nächstgelegenen Wochenmarkt oder Hofladen einen Besuch abstatten. Oder man pflanzt sich selbst eine spezielle Apfelsorte in den Garten.
Tipp Beim BSA können Sie gegen ein kleines Entgelt Edelreiser von Obstbäumen erwerben, auf denen kein Sortenschutz liegt und die in den Reisermuttergärten nicht erhältlich sind. Diese können Sie dann selbst veredeln. Nicht nur Privatleute, sondern auch Baumschulen nutzen diesen Service gern.
Sortenunterscheidung
Der Laie unterscheidet Apfelsorten vor allem anhand ihres Aussehens: Farbe, Größe und Geschmack spielen dabei die Hauptrolle. Die Prüfer vom BSA jedoch berücksichtigen bis zu 47 verschiedene Pflanzenmerkmale, um eine neue Apfelsorte zu prüfen. Das reicht von der Wuchsform des Baumes über die Farbe der Rinde und der Blüte, der Ausprägung des Blattrandes bis zum Berostungsgrad der Frucht oder der Größe der Lentizellen auf der Fruchtoberfläche... um nur einige Kategorien zu nennen.
Profi- und Amateursorten
All diese Merkmale werden über mehrere Jahre geprüft, sechs Bäume bei Kreuzungssorten und 11 bei Mutationssorten einer neuen Apfelsorte angebaut. Erweist sich die Sorte dann als neu, unterscheidbar, homogen und beständig, wird das Sortenschutzrecht erteilt. Dieses Zuchtpatent läuft nach 30 Jahren aus. Für die Sortenprüfung zahlen die Züchter eine hohe vier- bis fünfstellige Summe ans BSA.
Neben diesen professionellen Zuchtsorten gibt es auch die sogenannten Amateursorten. Das sind neu entstandene, teilweise auch gefundene Sorten, die durch das BSA zwar in die Gesamtliste der Obstsorten eingetragen werden. Danach dürfen Pflanzen dieser Sorten in den Handel gelangen. Ein Sortenschutzrecht dieser Sorten besteht durch dieses vereinfachte Verfahren jedoch nicht, jeder darf diese Pflanzen handeln oder vermehren.
Wozu noch neue Apfelsorten?
Doch warum werden überhaupt noch mehr Apfelsorten gezüchtet, wenn es denn schon so viele gibt? "Zum einen hat das etwas mit dem Sortenschutz zu tun, denn nur auf neue Sorten gibt es auch ein Patent, mit dem die Züchter Geld verdienen können", sagt Stefan Eschke. "Zum anderen wird in letzter Zeit verstärkt an allergikerverträglichen Äpfeln geforscht, sowie an Sorten, die mit den Bedingungen des Klimawandels zurecht kommen."
Was geschieht mit der Ernte?
Zur Erntezeit tragen die vielen Bäume und Sträucher des Bundessortenamtes üppig. Die Früchte, die nicht für die Sortenprüfung gebraucht werden, gehen entweder an Pomologen, an Baumschulen als Anschauungsmaterial für die von ihnen verkauften Gehölze oder sie werden an Schulen, Flüchtlingsheime und andere soziale Einrichtungen gespendet. Im Vergleich zum konventionellen Obstanbau ist der Ernteaufwand jedoch deutlich höher, denn schließlich sind all die unterschiedlichen Sorten auch zu verschiedenen Zeitpunkten reif.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Garten | 20. September 2020 | 08:30 Uhr