Feuerwehrmann Ralf Seeber vor einem Feuerwehrwagen.
Der inzwischen pensionierte Feuerwehrmann Ralf Seeber erzählt im Podcast "Bücher in Asche" vom Brand der Weimarer Herzogin Anna Amalia Bibliothek und einer besonderen Rettungsaktion. Bildrechte: Johannes Krey

Interview mit Feuerwehrmann Brand der Anna Amalia Bibliothek in Weimar: "Das wichtigste Buch ist gerettet worden"

02. September 2024, 10:52 Uhr

Der neue Podcast "Bücher in Asche" blickt zurück auf den Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, bei dem vor 20 Jahren zehntausende Bücher zerstört wurden. Eines der wertvollsten, die Lutherbibel von 1534, konnte durch eine mutige Aktion vor den Flammen gerettet werden. Feuerwehrmann Ralf Seeber erinnert sich im Interview mit MDR KULTUR zurück, wie er das Buch gemeinsam mit dem damaligen Bibliotheksdirektor in Sicherheit brachte – und warum er dafür Kritik bekam.

MDR KULTUR: Haben Sie Erinnerungen an den Notruf, der bei Ihnen in der Brandnacht eingegangen ist?

Ralf Seeber: Ich war an dem Tag im 24-Stunden-Dienst mit meiner Wachabteilung. Wir waren damals elf Mann in der Schicht, zwei sind Rettungsdienst gefahren. Das heißt, übrig sind dann acht Leute, die zum Feuer fahren können. Wir hatten eigentlich den ganzen Tag gut zu tun. Die Feuerwehr ist ja eigentlich den ganzen Tag beschäftigt, entweder mit Fortbildung, mit Ausbildung oder damit, Geräte zu prüfen. Das ist unser tägliches Geschäft.

Es gibt bei der Feuerwehr nicht den Helden. Es gibt eine Mannschaft, die zusammenarbeitet. Das ist immer Teamarbeit.

Feuerwehrmann Ralf Seeber

Wir waren zum Zeitpunkt der Alarmierung, 20:25 Uhr, beim Abendbrot. Das Stammhaus, wo es gebrannt hat, hat eine Brandmeldeanlage, die automatisch eine Weiterleitung direkt zur Feuerwehr macht. Und das ist passiert. Für uns gibt es dann eine vorgeplante Ausrückeordnung, nach der der Löschzug zur ausgelösten Brandmeldeanlage fährt. Und ich betone immer wieder: Die Feuerwehr fährt nicht gucken, auch wenn diese Brandmeldeanlagen vielmals eine Fehlauslösung haben. Wir nehmen das immer ernst. Auch dort haben wir das sehr ernstgenommen.

Es ist ja was anderes, ob man zu einem Scheunenbrand gerufen wird oder zur Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Gibt es da so einen Moment, wo man denkt, das ist jetzt eine andere Hausnummer?

Den gibt es eindeutig. Man sagt sich schon: "So ein Scheiß jetzt". Ich sage das jetzt mal so salopp. Aber es spult auch sofort eine Ablaufgeschichte im Kopf ab: Welche Maßnahmen sind sofort einzuleiten? Wer kann dich unterstützen? Bei mir geht da der Puls runter. Ich konzentriere mich völlig auf die Aufgabe.

Hatten Sie mit der Bibliothek vorher Berührungspunkte?

Ja. Man muss sich vorstellen, die Feuerwehr geht in Schwerpunktobjekte regelmäßig zur Begehung rein. Hier geht es darum, dass die Kolleginnen und Kollegen eine Ortskenntnis kriegen vom Gebäude. Wie ist das Gebäude aufgebaut? Wo ist zum Beispiel eine Annahmestelle für die Wasserversorgung? Das hat man regelmäßig gemacht.

Wir haben die Bibel nicht gerettet, wir haben die Bibel in Sicherheit gebracht.

Feuerwehrmann Ralf Seeber

Ich war sicherlich sechs, sieben Mal in dem Haus zu so einer Begehung. Wir haben auch Übungen gemacht. Da lernt man zwar bestimmte Sachen kennen, aber die haben sich auf bauliche Zustände und Zuwegungen beschränkt – die haben sich niemals darum gekümmert, wo die Lutherbibel steht. Feuerwehrleute gehen alle mal ins Museum, aber dass sie auf den ersten Blick die Lutherbibel von 1534 erkennen, ist nicht möglich. Deshalb gibt es ja Spezialisten in den Bibliotheken.

Weimarer Lutherbibel von 1534: ein dickes aufgeschlagenes Buch
Die Weimarer Lutherbibel von 1534 zählt zu den wertvollsten und berühmtesten Büchern der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar. Bildrechte: Klassik Stiftung Weimar

Es gab im Laufe des Feuerwehreinsatzes die Entscheidung, dass niemand mehr die Bibliothek betreten darf. Aber dann wurden Sie gefragt, die kostbare Lutherbibel zu retten. Wie haben Sie das damals abgewogen?

In dem Moment, als ich die Information bekommen habe, dass die Bücherbergung eingestellt wird, steht der Bibliotheksdirektor da, kriegt das mit und sagt: Wir müssen die Lutherbibel retten. Ich habe nicht wirklich überlegt, ob ich das mache. Ich habe überlegt, ob das eine sichere Aktion ist. Das habe ich für mich bewertet und habe gesagt: Ja, Herr Direktor, aber ich weiß nicht, wie die Lutherbibel aussieht. Wenn, dann müssen wir die zusammenholen. Das war ja ein Bereich, der nicht vom Brand betroffen war. Es bestand aber die Gefahr, dass sich das Feuer dahingehend ausbreitet – keine Frage.

Mann schaut ins Licht vor einem großen Bücherregal
Michael Knoche war von 1991 bis 2016 Direktor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar und erlebte den Brand aus nächster Nähe mit. Bildrechte: MDR/Joachim Neumann

Dann sind wir dahin. Er hat mir fünf Bibeln gegeben und hat sich fünf Bibeln genommen. Dann sind wir wieder raus. Das war eine Aktion von zwei Minuten. Das ist jetzt nicht eine Geschichte gewesen, die eine halbe Stunde gedauert hat, wo wir uns wirklich über den Befehl hinweggesetzt haben, sondern es hat in der Situation mit den Leuten und mit der Aufgabe gepasst. Ende der Durchsage. Ich würde das immer wieder so machen.

Ich bin dafür kritisiert worden, auch von Feuerwehrleuten, die gesagt haben, wie können Sie den Bibliotheksdirektor in Gefahr bringen? Ich sage, wenn es eine Gefahr gegeben hätte, wäre ich dort nicht hingegangen, schon gar nicht mit dem Bibliotheksdirektor.

Feuerwehrmann Ralf Seeber

Das wären Schlagzeilen gewesen.

Ja, das wären Schlagzeilen gewesen. Weder Herr Knoche [damaliger Bibliotheksdirektor, Anm. der Red.] noch ich haben jemals über diese Handlung gesprochen. Trotzdem ist es medial sehr intensiv betrachtet worden.

Ich halte es für wichtig, dass die Leute sehen, es gibt nicht nur zwei Helden. Es gibt auch bei der Feuerwehr nicht den Helden. Es gibt eine Mannschaft, die zusammenarbeitet. Das ist immer Teamarbeit. Ich werde immer darauf angesprochen, wenn es um diese Geschichte geht. Ich gehe mittlerweile damit um und sage: Wir haben nicht die Bibel gerettet, wir haben die Bibel in Sicherheit gebracht. So ist das.

Ein Mann mit Brille, kurzen Haaren und hellblauem Hemd und eine Frau mit schwarzer Kleidung und türkisen Haaren stehen in einer historischen Bibliothek und blicken in die Kamera. 2 min
Bildrechte: MDR/Dominique Wollniok

Es ist schon lustig, dass Sie sagen, das wurde in den Medien so hochgeschaukelt. Auch eine Zeitzeugin, die vor Ort war, hat uns berichtet, dass es ein besonderer Moment war, als Sie und Herr Knoche nochmal reingegangen sind.

Für die Bevölkerung ist das, glaube ich, eine gute Geschichte in der ganzen Dramatik gewesen, weil man kann sich an etwas festhalten. Wenn man jetzt eine Zahl sagt, wir haben 50.000, 60.000 oder 70.000 Bücher gerettet, dann ist das eine Zahl. Aber zu sagen, das wichtigste Buch ist gerettet worden, ist schon eine andere Hausnummer. Aber man darf es trotzdem nicht überbewerten.

Das Interview führten Tino Dallmann und Romina Nikolić für MDR KULTUR. // Redaktionelle Bearbeitung: lig, vp

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Lesezeit | 19. August 2024 | 09:05 Uhr

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