Krimi, Sachbuch, Reiseführer Von Kneipe bis Kafka: Mit diesen Büchern den Autor Martin Becker kennenlernen

Bevor er sich in Halle niedergelassen hat, hat Martin Becker für einige Zeit in Prag gelebt und ist zum Experten für das Tschechien der Gegenwart geworden. In seinem neuen Roman hat er sich gemeinsam mit seiner Schriftstellerkollegin Tabea Soergel das Prag des Jahres 1910 erschlossen.

Zu dieser Zeit streift der rasende Reporter Egon Erwin Kisch durch Prag und verewigt die Stadt in seinen Reportagen. Im Roman von Martin Becker wird Kisch allerdings zum Kriminalreporter und löst eigene Fälle. Abwegig ist das nicht, denn bei seinen Recherchen kam auch der reale Egon Erwin Kisch immer wieder mit Gaunern und Ganoven in Kontakt.

Auch in Kischs erstem Fall zeigt sich eine grundlegende Stärke im Schreiben von Martin Becker: Er hat ein Gespür für Details, die soziale Zusammenhänge aufzeigen. In "Die Schatten von Prag" geht es beispielsweise um die Spannungen zwischen Deutschen und Tschechen im Jahr 1910.

Diese Spannungen spürt Kisch besonders deutlich in seinem Redaktionsalltag bei der konservativen Zeitung "Bohemia", die ihren Lesern kein einziges Wort Tschechisch zumuten will. Kisch, der aus einer deutschsprachigen Familie stammt, hat aufgrund seiner Berühmtheit aber eine Sonderrolle inne. Er darf in der Redaktion mit tschechischen Behörden telefonieren – und das sogar auf Tschechisch!

In seinen Romanen zeigt Martin Becker zwei Eigenschaften, die gern tschechischen Schriftstellern zugeschrieben werden: einen Hang zur Melancholie und einen bestechenden, lebensnahen Humor. In "Die Schatten in Prag" zeigt sich das beispielsweise in gewitzten Dialogen. Als Kisch beim ersten Mordfall des Romans noch vor der Polizei am Tatort ist, bemerkt der leitende Inspektor trocken: "Sie sind mal wieder schneller als wir, das muss man ihnen lassen. Demnächst begehen sie noch selbst Morde, damit sie als Erster darüber berichten können."

Wer das Prag über das Jahr 1910 hinaus entdecken will, sollte zu Martin Beckers "Gebrauchsanweisung für Prag und Tschechien" greifen. Dort finden sich viele Empfehlungen, die Stadt und das Land auch abseits der Touristen-Routen zu entdecken: Zum Beispiel bei einem Ausflug ins ehemalige Prager Arbeiterviertel Žižkov, aber auch ins Altvatergebirge oder in die Industriestadt Ostrava, die im 20. Jahrhundert als das "Stahlherz" der damaligen Tschechoslowakei galt.

Und noch ein Tipp: Martin Becker hat auch eine Einführung in die tschechische Literatur geschrieben. Wer sein Buch "Warten auf Kafka" zur Hand nimmt, kann einen neuen Blick auf das Land und seine Literatur werfen – und zwar in Form einer Kneipentour. Becker hat sein Buch passenderweise als literarische Seelenkunde betitelt. Und wo kommt man der tschechischen Seele näher als bei einem Bier in einer Kneipe?

Auf der Kneipentour dürfen die großen Namen der tschechischen Literatur nicht fehlen: Milan Kundera etwa, von dem Becker sagt, er hätte ihm seine Melancholie eingeimpft, noch bevor er ein einziges Mal in Prag gewesen sei. Aber auch der Schriftsteller Jaroslav Hašek, der durch seinen Roman um den "braven Soldaten Schwejk" berühmt geworden ist, kommt vor. Ebenso wie die 2008 verstorbene Lenka Reinerová, die als letzte Vertreterin der deutschsprachigen Literatur in Prag galt und auch mit Egon Erwin Kisch befreundet war.  

Redaktionelle Bearbeitung: Valentina Prljic