Anne Zohra Berrached
Die Regisseurin Anne Zohra Berrached Bildrechte: imago/Steve Bauerschmidt

Regisseurin Anne Zohra Berrached Warum wir mehr Frauen in der Regie brauchen

06. März 2021, 04:00 Uhr

Nur eine von vier Regieführenden ist weiblich. Die Regisseurin Anne Zohra Berrached aus Erfurt glaubt, Frauen trauen sich das Ellenbogengeschäft Regie zu wenig zu. Mit ihrem Film "24 Wochen" über das Tabu-Thema Spätabtreibung sorgte sie 2017 für Aufsehen. Ihr aktueller Film "Die Welt wird eine andere sein" feierte gerade auf der Berlinale Premiere und rückt die Frau eines Attentäters des 11. Septembers in den Mittelpunkt.

"Es ist gerade ein bisschen hip, eine weibliche Regisseurin auf einen Film zu setzen", erzählt die Regisseurin Anne Zohra Berrached. "Viele Sender suchen ganz massiv nach Regisseurinnen. Das war vorher auf keinen Fall so. Es ist jetzt gerade viel leichter, als Frau in die Branche reinzukommen."

Vorher, das war vor Bewegungen wie "ProQuote Film" für Chancengleichheit in der Filmbranche oder #MeToo gegen Sexismus. Viele Ungerechtigkeiten in der Filmbranche sind so sichtbar geworden. Wie "ProQuote Film" in einer Studie offenlegt, arbeitet nur die Hälfte aller Frauen, die an Filmhochschulen ausgebildet werden später in ihrem Beruf. Bspw. sind während des Regie-Studiums noch 44 Prozent der Studierenden weiblich – von den Regieführenden später aber nur noch 23 Prozent Frauen. Bei den Männern verschiebt sich das Verhältnis gegenteilig: Bei ihnen ist der Anteil im Beruf sogar höher als noch in der Ausbildung.

Den Grund hierfür vermutet Berrached vor allem in der unterschiedlichen Sozialisierung der Geschlechter: "Regie ist ein Beruf, wo man Ellenbogen haben muss, wo man klar sein muss, wo man organisiert sein muss. Und all das können Frauen. Sie trauen sich das manchmal nur nicht zu. Der andere, auch sehr große Faktor ist, dass es uns natürlich auch nicht zugetraut wird." Während bei Frauen gezweifelt werde, wird Männern eher ein Film mit hohem Budget anvertraut, erzählt die 38-Jährige.

Es ist ein Beruf, wo man Ellenbogen haben muss, wo man organisiert sein muss. Und all das können Frauen. Sie trauen sich das manchmal nur nicht zu.

Anne Zohra Berrached, Regisseurin

Vielfältige Filme brauchen vielfältige Filmschaffende

Auch wenn die Produktionsbedingungen für Regisseurinnen gerade besser werden, sei es als Frau immer noch schwerer. Trotz erfolgreicher Filme spürt Anne Zohra Berrached diese Zweifel an ihr noch oft. Wenn man ihr fast belehrend etwas erklärt beispielsweise. Oder wenn ihr Machtwort am Set als hysterisch bezeichnet wird. Überhaupt werde die emotionale Seite vieler Frauen als Nachteil dargestellt. Dabei könne genau das ein großer Vorteil sein, argumentiert die Regisseurin: Erst durch unterschiedliche Perspektiven seien viele verschiedene Filme möglich. "Das würde uns allen den großen Strauß der Art der Filme vergrößern", so Berrached.

Viele Frauen sind sehr emotional. Und das kann ein unheimlicher Vorteil sein.

Anne Zohra Berrached, Regisseurin
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Bei der erträumten Vielfalt sind wir allerdings noch lange nicht angekommen. Laut "ProQuote Film" macht der Anteil weiblicher Sprechrollen im Film gerade einmal ein Drittel aus. Für Berrached müsse sich erstmal etwas an den Inhalten aktueller Filme ändern, damit nachfolgende Generationen von Frauen sich das Filmemachen zutrauen: "Ich glaube, dass sich grundsätzlich etwas auch vor der Kamera ändern muss, damit sich etwas hinter der Kamera ändern kann."

Filme sozialisieren uns. So können starke Frauenfiguren helfen, das nötige Selbstbewusstsein für die Regie zu entwickeln, findet Berrached. Dass Frauen in der Regie automatisch solche Geschichten erzählen, glaubt die Regisseurin dagegen nicht: "Ich glaube, dass viele Frauen immer noch gewisse Ungerechtigkeiten sogar unterstützen in den eigenen Filmen. Und ich würde mich davon nicht ausnehmen." Die Strukturen unserer Gesellschaft seien auch in den Filmemachenden stark verankert. Berrached selbst sei beispielsweise erst spät aufgefallen, dass bis auf ihren neuesten Film keine People of Colour in ihren Geschichten zu sehen sind.

Ich kann selber mithelfen, die Welt zu verändern. Und für die nächste Generation Frauen zu schaffen, die sich mehr zutrauen, Berufe zu machen, wo sie Ellenbogen brauchen und die Kraft haben, gegen Ungerechtigkeiten anzugehen.

Anne Zohra Berrached, Regisseurin

Wenn Frauen an ihre Grenzen stoßen

In ihren Filmen bringt Berrached die weiblichen Protagonistinnen gerne an ihre Grenzen. "Zwei Mütter" zeigt die gesellschaftlichen und rechtlichen Hürden für ein lesbisches Paar, Eltern zu werden. "24 Wochen" konfrontiert eindringlich mit dem Tabu-Thema Spätabtreibung. Beide wurden von der Kritik hoch gelobt und räumten Filmpreise ab. An der Hochschule Potsdam Babelsberg hatte man das nicht vermutet: Hier wurde der Bewerberin Anne Zohra Berrached nur mitgeteilt: "Irgendein Talent haben Sie schon. Aber Filmregisseurin, das wird bei Ihnen nichts." Stattdessen wurde sie als eine von sieben Bewerberinnen an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg genommen.

Ich habe mich nie entschlossen, Regisseurin zu werden. Ich habe es einfach gemacht.

Anne Zohra Berrached, Regisseurin

Berracheds aktueller Film "Die Welt wird eine andere sein" hatte auf der Berlinale Premiere und rückt die Frau eines der Attentäter des 11. Septembers in den Mittelpunkt. Ein Zeitungsartikel brachte sie auf das Thema: "Ich habe sehr viel recherchiert über diesen Fall, hab die Recherche zur Seite gelegt und habe meinen eigenen Liebesfilm von diesem Paar entstehen lassen. Von dem Moment, wo sie sich getroffen haben, bis zu dem Moment, wo sie anfängt rauszufinden, ihr Mann ist in irgendetwas verstrickt, was sie selber nicht begreifen kann." Wie ihre bisherigen Filme konfrontiert auch "Die Welt wird eine andere sein" das Publikum mit moralischen Fragestellungen: Muss man immer zu seiner Liebe, seiner Beziehung stehen? Oder gibt es auch Momente im Leben, wo man sich gegen Liebe entscheiden muss?

Migrationsgeschichte und DDR-Vergangenheit mit Vorteilen

Dass Berrached Halb-Algerierin ist, war auch ohne Arabisch-Kenntnisse für den Film von Vorteil, erzählt sie: "Dass ich aus zwei Kulturen komme, und dann bin ich auch noch aus dem Osten – ich bin in der DDR groß geworden, war sieben als die Mauer fiel – das war eigentlich immer ein Vorteil für das Filmemachen." Berrached wurde 1982 in Erfurt als Tochter eines algerischen Gastarbeiters geboren. Verschiedene Kulturen und Religionen zu kennen und sogar verschiedene Wirtschaftssysteme erlebt zu haben, sei etwas Besonderes: "Wie aus Sozialismus auf einmal Kapitalismus wird, das erlebt zu haben, ist etwas, was einen prägt und was ein großer Vorteil ist für alles, was ich tue im Leben. Ich bin stolz drauf, dass ich das miterleben konnte."

Dass ich aus zwei Kulturen komme und dann auch noch aus dem Osten, das war immer ein Vorteil für das Filmemachen.

Anne Zohra Berrached, Regisseurin

Mutige Filme mit Haltung

Auch wenn die Premiere ihres aktuellen Films auf der Berlinale anders abläuft als in den Vorjahren, kann Berrached der Corona-Krise etwas Gutes abgewinnen: "Wir in der Filmbranche haben es verdammt gut. Es wird so viel gedreht, wie noch nie." Allerdings vor allem für Fernsehen und Streaming-Anbieter. Filme, die nicht für den großen kommerziellen Markt entstünden, sondern um auf Festivals und in Programmkinos zu laufen, hätten es gerade nicht leicht, erzählt Berrached: "Der Arthouse-Film verschwindet."

Für die Zukunft des Films in Deutschland wünscht sich die Regisseurin mutigere Filme: "Radikaleres Kino, Filme mit einer Haltung, die in eine Richtung gehen, die auch kontrovers ist". Für solche Filme brauche es diversere Regieführende, Menschen mit interessanten Blickwinkeln: "Dafür brauchen wir auch Frauen, die Filme machen." Mehr Frauen in der Regie, das könnte zu kontroverseren Filmen führen, Filme, wie die von Anne Zohra Berrached. In jedem Fall zu vielfältigeren Filmen. Der Weg dahin zeichnet sich bereits ab.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 05. März 2021 | 18:05 Uhr