Theater und Film 75 Jahre DEFA: Carmen-Maja Antoni und ihre ungebremste Spiellust

12. Februar 2021, 04:00 Uhr

Sie war die jüngste Schauspielerin, die mit gerade mal 18 Jahren die Grusche im "Kaukasischen Kreidekreis" von Bertolt Brecht spielte. Dann sollte sie im Laufe ihrer Karriere immer wieder Frauenrollen übernehmen, die teilweise Jahrzehnte älter waren als sie - wie bei der Großmutter in der Strittmatter-Vefilmung "Der Laden". Mit gerade ein Meter fünfzig Körpergröße war sie außerdem immer die Kleinste - aber trotzdem eine der Größten. Über all das ist Carmen-Maja Antoni im Gespräch mit Knut Elstermann.

Als kleines Mädchen durfte sie dem Dichter Bertolt Brecht einmal einen Blumenstrauß überreichen. Da ahnten natürlich beide nicht, weder der Beschenkte noch die aufgeregte Kleine, dass dieses Mädchen später einmal auf der Bühne seine großen Frauenrollen glänzend verkörpern würde. Carmen-Maja Antoni spielte im Alter von gerade mal achtzehn Jahren am Hans-Otto-Theater die Grusche im "Kaukasischen Kreidekreis". Das Theater hatte sie noch während ihrer Schauspielausbildung engagiert. Sie war außerdem die Shen Te in "Der gute Mensch von Sezuan", "Die Mutter" nach Maxim Gorki und schließlich die "Mutter Courage" am Berliner Ensemble, in einer legendären Inszenierung, der sie eine ganz eigene Prägung gab. Noch heute ist sie der Meinung, dass Brecht die besten Frauenrollen überhaupt geschrieben hat. Ins Berliner Ensemble wurde sie 1975 von der Choreografin Ruth Berghaus geholt, wo sie bis 2013 festes Ensemblemitglied war.

Ich glaub schon, dass ich mit den großen Männern des Theaters gut kann. Weil ich stark bin und frech auch. Ich kann mich mit denen messen und das interessiert mich. Ich bin für die kein Jagdmotiv als Frau, sondern ein Kunst-Jagdmotiv.

Carmen-Maja Antoni über Künstler wie Peymann oder Besson

Schon mit Elf Jahren vor der Kamera

Mutig und entschlossen trat Carmen-Maja Antoni aus dem Schatten der großen Vorbilder Therese Giehse, Helene Weigel und Gisela May heraus und gab diesen Figuren etwas von ihrer eigenen Persönlichkeit, von ihrem verschmitzten Witz, von ihrer Stärke, von ihrer Energie. Von 1962 bis 1965 hatte sie an der Filmschule in Babelsberg studiert, als eine der jüngsten Studentinnen ihres Jahrgangs. Dort erhielt sie eine gründliche Ausbildung, die ihr später half, in Stücken so unterschiedlicher Autoren wie Moliere, Shakespeare, Heiner Müller und Peter Handke überzeugend zu spielen. Bis heute verbindet sie auf unnachahmliche Weise Intellektualität mit echter Volkstümlichkeit, eine tiefe Analyse-Fähigkeit mit ungebremster Spiellust.

Elsa (Carmen-Maja Antoni) kann die Neuigkeiten, die ihre Schwester soeben verkündet hat, nicht fassen.
Carmen-Maja Antoni in dem Film "Krauses Braut" Bildrechte: mdr/rbb/Arnim Thomaß

Schon in der DDR war Carmen-Maja Antoni, die im August 1945, im ersten Friedenssommer, in Berlin geboren wurde, eine gefeierte Theaterschauspielerin, die sich in der besten Tradition des Volkstheaters sah, der Commedia dell'arte, der Clowns und Gaukler. Immer und überall die Kleinste, mit weniger als einem Meter fünfzig Größe, und oft auch die Jüngste. Ohne Vater aufgewachsen, den landläufigen Schönheitsidealen nicht entsprechend, spielte sie sich kraftvoll ganz nach vorn. Bereits als Elfjährige stand sie vor der Kamera des DDR-Kinderfernsehens. Es war der frühe Beginn einer professionellen Laufbahn, die bis heute andauert.

Legendäre Nebenrollen bei der DEFA

Ihr Arbeitspensum war und ist erstaunlich. Neben der intensiven Theaterarbeit nahm sie Hörspiele auf, tourte mit Liederabenden und Lesungen, bildete den Schauspielnachwuchs aus und synchronisierte. So begegnet man ihrer Stimme in der Rolle des Küchenjungen im DEFA-Märchenfilm "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" (1973). Bei der DEFA und im DDR-Fernsehen spielte sie fast nur Nebenrollen, manchmal waren es so kurze Auftritte, dass sie selbst den Überblick über ihre zahllosen Figuren verloren hat. Obschon es manchmal nur eine Szene war, die sie aber zu nutzen wusste, prägte sie sich dem Publikum mit ihrer unverwechselbaren Ausstrahlung, mit ihrer Intensität ein.

Nebenrollen hatte sie zum Beispiel als Schulfreundin in "Das Kaninchen bin ich" (1965) von Kurt Maetzig, in "Der Mann, der nach der Oma kam" (1971) spielte sie neben Winfried Glatzeder und Rolf Herricht die Versicherungskassiererin Haubold. In der Filmbiografie "Käthe Kollwitz – Bilder eines Lebens an der Seite" war sie an der Seite von Jutta Wachowiak als Fräulein Lina, der Vertrauten der Künstlerin Kollwitz, zu sehen.

Man fragte an für einen Drehtag: Kannst du das machen? So kommt es nämlich zusammen, dass ich in über 100 Filmen drin bin. Ich mach eine Tür auf, sag' EINEN Satz - und bin in dem Film drin. Ich war erschüttert, in welchen Filmen ich überall drin bin!

Carmen-Maja Antoni über ihre vielen Nebenrollen

Als rüstige "Ein-Meter-Fünzig-Großmutter" im Fernsehen

Carmen-Maja Antoni und Fritz Marquardt
In "Kindheit" spielte Carmen-Maja Antoni die Hauptrolle. Bildrechte: imago images/United Archives

Erst 1987 erhielt sie endlich eine DEFA-Hauptrolle. Siegfried Kühn besetzte sie in seinem autobiografischen Film "Kindheit" als seine selbstbewusste Großmutter, obwohl sie für die Rolle eigentlich viel zu jung war. Doch mit ihrem warmherzigen, schwungvollen Spiel, mit ihrer großen Charakterisierungskunst setzte sie dieser Frau ein schönes, herzhaftes Denkmal. Beim Nationalen Spielfilmfestival 1988 wurde sie dafür als beste Darstellerin geehrt, doch der Film wurde versteckt, weil er auch die DDR-Tabuthemen Flucht und Vertreibung thematisierte.

Wir auf dem Theater konnten als einzige was gucken lassen, was verboten war, ohne dass es verurteilt wurde.

Carmen-Maja Antoni über die Bühne als Ort der Auseinandersetzung in der DDR

Der Ruhm dieser Schauspielerin ist heute sogar noch größer als zu DDR-Zeiten, vor allem Dank großer, erfolgreicher Fernsehproduktionen. Besonders wichtig und teuer ist ihr die rüstige "Ein-Meter-Fünzig-Großmutter" in der stimmungsvollen, dreiteiligen Strittmatter-Verfilmung "Der Laden" (1998), in der sie diese Figur durch einen langen Zeitraum der deutschen Geschichte begleiten durfte.

An der Seite von Iris Berben war sie in der ZDF-Serie "Rosa Roth" von 1994 bis 2013 zu sehen. Und eine riesige Fangemeinde eroberte sie sich als Schwester von Horst Krause in den Filmen über den Dorfpolizisten aus Brandenburg. Wieder spielt sie hier eine sehr glaubwürdige, volkstümliche Figur, die wie mitten aus dem Leben erscheint und doch das Ergebnis ihrer großen, genau durchdachten Kunst ist. Carmen-Maja Antoni ist auch heute sehr gut beschäftigt und "top fit", wie sie sagt. Es ist also zum Glück noch viel von ihr zu erwarten.

Eine Auswahl: Carmen-Maja Antoni in weiteren Nebenrollen als:

  • Jakob/Zwerg in dem DDR-Märchenfilm "Zwerg Nase" (1978)
  • Uschi in Wolfgang Beckers "Das Leben ist eine Baustelle" (1997)
  • Frau im Hospiz in Andreas Dresens "Nachtgestalten" (1999)
  • Bewährungshelferin in Hannes Stöhrs Tragikomödie "Berlin is in Germany"
  • Schwester und schrullige Gaststättenbetreiberin Elsa Krause in der ARD-Fernsehfilmreihe "Polizeihauptmeister Krause"
  • Gefängnisbibliothekarin in dem deutsch-US-amerikanischen Kinofilm "Der Vorleser" (2008)
  • Leichenwäscherin in Michael Hanekes vielfach preisgekrönten Drama "Das weiße Band" (2009)
  • Irmtraud Schäffer in der Krimiserie "Mord mit Aussicht" (Folgen 29 bis 39 der 3. Staffel)
  • Kneipenwirtin Hertha in "Die Känguru-Chroniken" von Dani Levy

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Ronya Othmann
Bildrechte: Paula Winkler
39 min

Ihr Roman „Vierundsiebzig“ gehört auf jede Shortlist der wichtigsten Bücher des Jahres. Darüber ist sich die Kritik einig.

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR Spezial | 20. November 2020 | 18:05 Uhr

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